Von Matthias Bosenick (06.11.2017)
Dieser Film wirkt in der Nachbetrachtung eindrucksvoller als in der Betrachtung. Fast zweieinhalb Stunden kaum Handlung, einige filmische Ästhetik und grandiose Spitzen gegen die westliche Gesellschaft fordern das Sitzfleisch heraus, belohnen aber mit Erkenntnissen, die man als kritischer Beobachter gern abnickt und die man in dem doch weitaus komplexeren Drehbuch ausmacht, das man erst rückblickend würdig erfasst. Anhand des zeitgenössischen Kunstbetriebs entblößt der Schwede Ruben Östlund hier das egozentrierte Individualverhalten des ursprünglich einmal sozialen Wesens Mensch. An vielen Stellen hätte man sich indes Straffungen gewünscht, der Wucht der Inhalte zum Vorteil.
Hauptfigur Christian ist Kurator eines modernen Kunstmuseums in Stockholm. Sein Verhalten ist überraschend ambivalent: Einerseits wundert er sich in einer beinahe kindhaft-beiläufigen Art durchs Leben und manövriert sich in ungute Situationen hinein, andererseits arbeitet er sich aus denen dann verbal dergestalt rhetorisch geschickt heraus, dass man nur respektvoll staunen kann. Der Film begleitet ihn auf zwei Ebenen, privat und dienstlich, und etwas rätselhaft ist, dass es zwischen diesen Ebenen kaum Verknüpfungen gibt. Privat wird ihm sein Telefon gestohlen, das er trackt und als Folge einer Wurfpostaktion in einem Sozialbrennpunktwohnblock zurückerhält, damit aber auch andere Reaktionen auslöst. Er lässt sich sexuell auf eine Journalistin ein, die mit einem Schimpansen zusammenwohnt. Seine zwei Töchter kommen gelegentlich zu Besuch. Beruflich hat er die Ausstellung zum titelgebenden Kunstwerk „The Square“ zu promoten und lässt zwei Web-4.0-Nerds freie Hand, die einen Youtube-Skandal mit einem explodierenden Kind auslösen.
Viel Zeit vergeht in diesem Film damit, dass Östlund einfach nur zeigt. In typisch skandinavischer Tradition besteht der Großteil der Szenen aus unbewegten Kamerabildern, die nicht einmal immer das Geschehen einfangen, das man dann nur aus dem Off hört. Auf diese Sehweise muss man sich einlassen und hat dann Freude daran. Vieles, was Östlund nun zeigt, ist aber so redundant und hohl wie die geldschwere Gesellschaft, die er porträtiert. Das macht den Film zwar in sich schlüssig, aber auch sehr zäh. Trotz der vermeintlichen Absurditäten, die Östlund einbaut, etwa das Baby im Konferenzraum; das wirkt zu aufgesetzt, um irrwitzig zu sein.
Dafür sind die Dialoge und kolportierten Inhalte in voller Wucht treffend. Der vermeintliche Tölpel Christian dreht so manchen verbalen Angriff auf seine Person zum Nachteil des Attackierenden um. Insbesondere die im Kunstbetrieb vorgebrachten Vorgehensweisen sind, das wissen Involvierte, absolut zutreffend, da ist nichts übertrieben, inklusive der immanenten Widersprüchlichkeit.
Erzählerisch ist Östlund gut im Weglassen, er schlüsselt manche dramatischen Sequenzen nicht auf und spielt mit den Erwartungen der Zuschauer. Zudem – und das macht „The Square“ besonders – stellt man im Nachhinein fest, wie oft der Film sich selbst bestätigt. Das quadratische Kunstwerk ist als Raum des Miteinanders und der Hilfsbereitschaft konzipiert, und genau dagegen verstoßen sämtliche Personen permanent, sogar der Youtube-Film. Voll zutreffend indes verhält sich der Cheerleading-Trainer von Christians Tochter mit seinen Anti-Ego-Statements; zudem tritt die Gruppe ebenfalls in einem Quadrat auf. Die heftigste Szene zum Thema Hilfsbereitschaft und Zivilcourage ist die vielfach zitierte mit dem Performancekünstler, der im Rahmen eines Banketts als Gorilla auftritt und seine Show allmählich ins Debakel driften lässt: Beistand kommt erst, als keine Gefahr mehr droht.
So richtig Spaß hat man an dem Film aber trotzdem nicht. Das liegt nicht nur an den Längen, sondern auch daran, dass man sich mit dem omnipräsenten Christian einfach nicht identifizieren kann. Der Typ ist einem von Anfang an egal. Und die gesellschaftskritische Haltung hat man mit etwas Verstand sowieso, da sieht man sich eher bestätigt als überzeugt. Die zu Überzeugenden sehen sich einen solchen Film ohnehin niemals an. Schöner Randeffekt bei aller Kritik am Synchron: Hauptdarsteller Claes Bang spricht sich selbst auf Deutsch.