Von Matthias Bosenick (05.10.2017)
Das war ein Abschied mit eingebauter Auferstehung, wenn man mal ehrlich ist: Die Wiederkunft von LCD Soundsystem war absehbar. Und selten sehnte man ein Comeback überhaupt herbei, schon gar nicht so innig wie das von James Murphy und Konsorten. „American Dream“ hat alles, was man an LCD Soundsystem liebt, und sogar noch viel viel mehr. Hier hat der Pop die Dunkelheit der wavigen Achtziger, die Disco die Virilität der funkigen Siebziger, die Komposition die Tiefe und Komplexität der intellektuellen Kunst und der Sound die Atmosphäre der tiefgründigen Seele. Unter allem liegt ein fordernder Groove. Hier tanzt man sich schlau.
Schon in der zweiten Single „Losing My Edge“ legte Murphy 2002 seine Einflüsse für jedermann offen: Er zählt unverhohlen auf, wen er verehrt, und nimmt damit jenen den Wind aus den Segeln, die diese Vorbilder in der Musik heraushören und ihn als schlichten Kopisten schimpfen wollen. Der Schuss geht nach hinten los. Wie nur sehr wenigen Musikern nach dem Jahr 2000 gelingt es Murphy, aus diesen heraushörbaren Einflüssen etwas zu kreieren, das noch viel eindeutiger LCD Soundsystem als dessen Vorbilder ist. Die Eigenständigkeit verdankt Murphy vermutlich seinem Alter: Geboren 1970, begann er seine musikalischen Aktivitäten mit LCD Soundsystem erst im hohen Alter von 32 Jahren (nicht seine musikalische Aktivität überhaupt, die begann er circa 1988). Das distanzlose Ungestüm hatte er da längst hinter sich gelassen, gelassen näherte er sich selbst in kreativem Ausdruck. Er hat niemandem etwas zu beweisen. Die richtig gute Musik, sagte einst ein anderer Musiker, wird heutzutage von Männern über 40 gemacht. „American Dream“ (selbstverständlich ein vielfach mit Assoziationen belegter Titel) bestätigt diese Einschätzung.
Wie schon auf den ersten drei (oder sieben) Alben geht Murphy seine Songs reduziert an und türmt sie im Laufe der Spielzeit zu epischen Monumenten auf. Hier sitzt jeder Sound, dezent getupft das Keyboard, dezent gezupft die Gitarre, dezent gelupft der Bass, und alsbald lassen die Musiker ihre Expertisen galoppieren. Man gerät in einen Sog, kann nicht stillsitzen, beginnt, mit den Armen zu rudern und stampft schon bald rhythmisch durch den Raum. Man verliert sich in einer Musik, die gleichzeitig hypnotisch und unterschwellig aggressiv ist.
Alle Beteiligten hatten Lust auf „American Dream“, das hört man. Und sie machen zumindest fast nichts falsch. Einflüsse reichen von den Talking Heads über Wave, Synthiepop und Electro bis zum Afrobeat, und doch hat man es natürlich jederzeit mit LCD Soundsystem zu tun. Keine Effektheischerei, die hedonistische Party bliebt im Keller, Daft Punk spielen schließlich im House, und doch hat die dunkle Melancholie, die dem Album eine gehaltvolle Basis gibt, nichts Depressives. Das ist Musik von Erwachsenen für Erwachsene, die unter dem Begriff etwas anderes verstehen als die, die meinen, erwachsen zu sein.
Lediglich den Rauswerfer hätte man sich sparen können, die zwölf plätschernden Minuten „Black Screen“ zerstören trotz des verheißungsvollen Anfangs etwas den energetischen Schub, den die neun Tracks davor verabreichten. Und letztlich erscheint einem der Abstand zwischen den jüngsten beiden LCD-Veröffentlichungen nicht, als wäre „Amercian Dream“ ein Comeback: Erst vor drei Jahren erschien mit „The Long Goodbye“ das Abschiedskonzert aus dem Film „Shut Up And Play The Hits“ von 2012 als Fünfach-LP. Schade nur, dass die Vorabsingle „Christmas Will Break You Heart“ auf „American Dream“ nicht enthalten ist: Die 7“ ist inzwischen unbezahlbar.