Von Matthias Bosenick (28.08.2017)
Ist Siebziger-Jahre-Progrock aus Deutschland eigentlich automatisch Krautrock? Auch, wenn er von Engländern gespielt wird? Die Band Nektar starteten diverse Briten 1969 in Deutschland, mit allem, was dazugehört: Weltraum- und Fantasy-Themen, ausuferndes Gegniedel, Soli mit allen verfügbaren Instrumenten inklusive Orgel, Tracklängen um die 20 Minuten. Nach einer zwanzigjährigen Pause bis zum Jahr 2000 waren sie seitdem bis 2016 aktiv, zumindest noch mit zwei Gründungsmitgliedern. „Live In Bremen“ beinhaltet einen Auftritt aus dem Jahr 2015, der alle Qualitäten und Epochen der Band abbildet, bloß etwas dünner. Wüsste man nicht, dass das Material authentisch ist, wäre das Album langweilig. So ist es ein Dokument.
Gefühlt gibt es von Nektar mehr Live- als Studioalben, daher erzeugt die Ankündigung von „Live In Bremen“ zunächst ein Schulterzucken – insbesondere, wenn man die Information im Hinterkopf hat, dass es bei Nektar seit jeher sehr stark auch um die Lichtshow geht, die eine CD naturgemäß nicht übermitteln kann. Doch dann fällt auf, dass auf diesem Doppelalbum letztmalig Sänger und Gitarrist Roye Albrighton zu hören ist, Mitgründer von Nektar und 2016 verstorben. Von den Gründern ist jetzt folglich nur noch Schlagzeuger Ron Howden an Bord, Keyboarder Klaus Henatsch (unter anderem von Jane) und Bassist Tom Fry sind noch keine zehn Jahre dabei – sofern es Nektar ohne den Sänger überhaupt noch gibt, da ist wohl noch keine Entscheidung gefällt. Wenngleich die Band von 1976 bis 1978 schon einmal ohne Albrighton auskam (auf „Magic Is A Child“ sang Dave Nelson, die Songs findet man deshalb auch auf keinem Live-Album).
Aber 2015 im Meisenfrei Blues Club zu Bremen war noch alles gut und die Lust am eigenen Repertoire aus allen Epochen ungebremst. Und das hört man. Das Verstiegene zelebriert das Quartett ausufernd auf den – man muss sie im Bandkontext so nennen – Hits aus den Siebzigern, allem voran auf „A Tab In The Ocean“ vom zweiten Album und auf „The Dream Nebula“ vom Debüt, beides aus dem Jahr 1972. Da wechseln die psychedelischen Stimmungen, Harmonien und Rhythmen, was das Zeug hält, und das hält eine Menge. So stellten sich Fans von Yes, King Crimson und Pink Floyd damals den Progrock vor, und so bedienten auch Nektar die Bedürfnisse, nicht nur als Kopisten, sondern originär.
Das Kopistische kam dann nach der Reunion. Den wenigsten Progrockbands gelang der Schritt in die Achtziger, geschweige denn in die Zeit danach. Entweder verzettelten sie sich in Synthiegedudel oder versuchten sich an kompakten Radiorocksongs. Ganz schlimme Vertreter mixten beide Entwicklungen, ganz schlaue versuchten, den alten Geist beizubehalten, und verloren sich doch in Beliebigkeit. Die Seele altert und lässt sich nicht mehr so unbeschwert rekonstruieren. Ein bisschen ist es auch mit Nektar so, die neueren Songs rocken zwar recht knackig bis groovig, aber man hört doch deutlich heraus, dass nicht nur das Publikum mit den alten Sachen am meisten anfangen kann. Immerhin lockern die jüngeren Songs die Setlist etwas auf, teilweise in alte Songs verquickt, nicht einfach nur nacheinander. Spannender Selbstremix, die Songs leben, die Band bemüht sich nicht um reine Musealisierung.
Man muss zudem feststellen, dass eine im Jahr 2015 gespielte Musik dieser Art reichlich veraltet wirkt. Wüsste man nicht, dass insbesondere die dudeligen Passagen authentisch sind, legte man die Doppel-CD gelangweilt beiseite: So etwas hat man in den vergangenen 50 Jahren einfach schon zu oft gehört. Das Wiedererkennen bleibt zudem lediglich den Afficionados vorbehalten, weil Nektar anders als manch andere Progvertreter keine allgemeingültigen Hits hervorbrachten. Nicht zuletzt ist der Sound etwas dünn, aber das nimmt der Fan zugunsten des Dokumentarischen gern hin.
„Live In Bremen“ erscheint als vierte Nummer im Rahmen der Sireena-Reihe „On Stage“. Die anderen drei sind: Corky Laing’s Mountain mit „Live In Melle“, Nine Below Zero mit (man mag’s kaum glauben) „Live In Gifhorn“ sowie Kofi Baker’s Cream Experience ebenfalls mit „Live In Bremen“.
01 A Tab In The Ocean (von „A Tab In The Ocean”, 1972)
02 Band Introduction
03 Doctor Kool (von „Book Of Days“, 2008)
04 King Of The Deep (von „Book Of Days“, 2008)
05 Recycled (Excerpt) (von „Recycled“, 1975)
01 The Dream Nebula (Part 1+2) (von „Journey To The Center Of The Eye“, 1972)
02 Desolation Valley (von „A Tab In The Ocean”, 1972)
03 Waves (von „A Tab In The Ocean”, 1972)
04 Time Machine (von „Time Machine“, 2013)
05 Now (von „The Prodigal Son“, 2001)
06 Cast Your Fate (von „…Sounds Like This“, 1973)
07 The Debate (von „Evolution“, 2004)
08 Man On The Moon (eigentlich „Man In The Moon“ vom gleichnamigen Album, 1980)
09 Good Day (von „…Sounds Like This“, 1973)