Von Matthias Bosenick (03.12.2016)
Überraschend familienfreundlich, also für andere wiederum enttäuschend blutarm, und erfreulich charakterentwickelnd gestaltet sich der südkoreanische Zombiefilm „Train To Busan“. Akribisch bedient sich der Plot bei Katastrophenfilmen wie „Airport ’78“ und wendet jede erdenkliche Wendung an, die einem nebst Zombiezähnen in den Kopf kommt, wenn man sich das Geschehen rund um den Plot „Zombies im Zug“ ausmalt. Hier geht es weniger um Splatter als um die Grundlage der ersten Zombiefilme, die Gesellschaftskritik nämlich. Und die erhebliche Spannung, die sich darauf aufbaut, dass man vor irrsinnigen schnellen Blutsaugern um sein Leben und das seiner Liebsten rennen muss.
Die Grundgeschichte ist schnell nacherzählt: Ein Zug startet von Seoul aus in Richtung Busan und hat einen infizierten Gast an Bord, der schnell eine Epidemie in das hermetische System des rollenden Raumes bringt. Es ergeben sich zwei Lager, das der hirntoten Infizierten und das der Gesunden. Erstere sind mordlüstern, zweitere haben einen verständlichen Überlebensdrang, und so hoffen sie, heil im hoffentlich nichtinfizierten Busan anzukommen. Dabei passieren sie ausgerottete Zombiestädte und passiert ihnen das ein- oder andere lethale Unglück, bis hin sogar zur Spaltung der Gesellschaft der Lebenden.
Das allein wäre so etwas wie „Snakes On A Snowpiercer“, doch gibt sich Sang-Ho Yeon damit nicht zufrieden. Er führt Charaktere und Schicksale in den Plot ein, ganz wie es die Katastrophenfilme aus Hollywood seinerzeit vormachten: Das Paar mit der schwangeren Frau, den geschiedenen Fondsmanager mit Tochter, die alternden Schwestern, die hoffnungsvolle Sportmannschaft, den egozentrischen Geschäftsmann, den Obdachlosen. Sie alle treffen aufeinander wie Feindbilder in der Gesellschaft, müssen aber gemeinsam überleben. So bringen sie sich gegenseitig zum nachdenken und dazu, sich für ihren Nächsten einzusetzen. Jedenfalls die meisten, einige fällen eben die Entscheidung, egoistisch zu werden oder zu bleiben. So entwickeln viele von ihnen Eigenschaften zugunsten des Gemeinsinns, die sie über das eigene Überleben stellen.
Die diese Veränderungen begleitenden Dialoge treffen großartig ins Mark des Neoliberalismus und offenbaren die zweite Ebene, die sich kritisch mit der Welt auseinandersetzt. Ein weiteres Beispiel sind die Berichterstattungen des Regimefernsehens, das angesichts sich zermetzelnder Menschen davon spricht, dass keine Gefahr für Leib und Leben besteht. Nicht zuletzt der Mitarbeiter des Fondshändlers wirft die nicht irrelevante Frage auf, ob die Katastrophe, die einem Biounternehmen entsprang, womöglich sein Werk sei, da er doch dessen Aktien versetzt hatte.
Die dies alles begleitende Action konzentriert sich weniger aufs Blutvergießen oder Gedärmefressen. Hier wetzen die Untoten unzombiemäßig flink herum, wie in „28 Days Later“, und türmen sich bisweilen zu Kadaverwellen auf. Die Gewalt gegen die Monstren beschränkt sich auf Boxkampfszenarien, sie lässt die Zerstückelung aus. Dafür fliegen andererseits auch mal brennende Züge herum, stürzen Untote blutgiereig aus Hubschraubern, ergießen sich Zombietsunamis aus zerberstenden Fenstern, breakdancen sich die Gebissenen ansehnlich zu Menschenfressern. Der Film selbst nimmt das Tempo der Toten auf, die besinnlich-nachdenklichen Momente durchbricht er noch vor einer auch nur ansatzweise einbrechenden Gähnattacke mit anderen Attacken. Lediglich zum Schluss drückt er etwas zu intensiv auf die Tränendrüse.
Interessant sind die Zirkelschlüsse in der Handlung. Bisweilen tauchen Aspekte zweimal auf; so bekommt der ganze Film mehr Gewicht und hat wenig Willkürliches, alles scheint durchdacht zu sein. Mag sein, dass der ausbleibende Splatter für Enttäuschungen sorgt. Andererseits tut es auch mal ganz gut, einen Zombiefilm zu sehen, bei dem man nicht permanent weggucken will, sondern konzentriert der Geschichte folgen kann. Tut nicht weh, hat aber viele packende Szenen und bleibt auch weit nach Verlassen des Kinos noch hängen. Das ist doch auch was.