Von Matthias Bosenick (12.11.2016)
Stanley Kubrick verfilmt das „Nesthäkchen“: Ein Junge, der aussieht wie ein Mädchen, terrorisiert in Zeiten des ersten Weltenbrandes angesichts autoritärer Eltern sein Umfeld. Fazit: Arschlöcher zeugen Arschlöcher. Als Erklärung für politische Führerfiguren ist das reichlich kurz gedacht und als Film reichlich langatmig. Auch der wohlgepriesene Soundtrack von Scott Walker erzeugt bei Leuten, die schon mal avantgardistische Musik gehört haben, nur für Schulterzucken. Immerhin, die Bilder sind ansprechend und manche One-Liner erinnerungswürdig. Ansonsten wundert man sich, warum Brady Corbet daran zehn Jahre lang gearbeitet haben will.
Beinahe der gesamte Film ist dunkel. Man kennt das ja von anderen Filmen, in denen Kinder eine Rolle spielen, in der sie außerkindliche Kräfte walten lassen. So spukig ist dieser Bengel hier nicht, aber die Atmosphäre unterstellt ihm, es zu sein. Die Geschichte spielt während des ersten Weltkriegs. Der Vater des Bengels ist US-amerikanischer Regierungsmitarbeiter und werkelt in Paris daran, die Deutschen zurückzudrängen. Verheiratet ist der Mann mit einer deutlich jüngeren polyglotten Deutschen, die die meiste Zeit damit verbringt, in ihrem heruntergekommenen riesengroßen Herrenhaus die Hausmädchen und das Kind zu gängeln. Weder miteinander noch mit dem Kind gehen die Eltern liebevoll um, einzig die Hausmädchen und die Französischlehrerin zeigen einige Wärme. In drei Etappen zeichnet Corbet nun die Diktatorwerdung dieses Jungen nach: Als kirchlicher Steineschmeißer, der zur Entschuldigung gezwungen wird, als Busengrabscher, dem der Vater versehentlich beim Bestrafen einen Arm bricht, und als Muttermörder, der bei Tisch das Gebet verweigert. Danach ist Prescott, so der erst spät fallende Name des Jungen, Hitler.
Für diese drei Etappen lässt sich Corbet Zeit. Er zeigt politische Dialoge und umständliche Erziehungsmethoden. Der eher schweigsame Bengel reagiert darauf, wie ein vernachlässigter und gegängelter Bengel eben reagiert: Er rebelliert in Kleidungsstil, mit Verweigerung und Starrsinn sowie mit latenter Gewalt. Das kam zur vorletzten Jahrhundertwende häufiger vor, dass Eltern gehobener Klassen ihre Kinder distanziert aufzogen; zum Diktator wurden davon die wenigsten, gottlob. Sicherlich zeigt eine solche Erziehung Folgen, die einige heute Lebende von ihren großmannssüchtigen Großvätern kennen können. Aus diesen wenigen Kindertraumata lässt sich ein Hitler indes nur grobmaschig stricken.
Corbet bedient sich einer Bildsprache, die in Sachen Kameraführung, Schnitttempo und Bildausschnitt nicht selten an Stanley Kubrick erinnert. Auch die dazugehörige Musik lässt jenen Vergleich aufkommen. Scott Walker sprang zwar in den vergangenen 40 Jahren von „The Sun Ain’t Gonna Shine Anymore“ zu Doom-Metal mit SunnO))), aber wirklich verstörend ist der gefeierte Score nicht. Da haben Dmitri Schostakowitsch und Apocalyptica schon Ähnliches fabriziert. Was keine Abwertung der Musik sein soll, gut ist sie. So hat man in den Sequenzen mit der Musikuntermalung zumindest eindrucksvolle Kinomomente.
Lockmittel für den Mainstream, der sich hiervon allerdings verhohnepiepelt fühlen dürfte, sind Schauspieler wie Kindervampir Robert Patinson oder Thronspieler Liam Cunningham, Indiefilmfans hingegen freuen sich über Yolande Moreau, die ihre Wandelbarkeit einmal mehr ausspielt. Gegen die Schauspieler allgemein lässt sich nichts sagen, sie sind gut und ansehnlich und haben so manches Bonmot auf der Zunge; Pattinson als Hausfreund Charles sagt besoffen beim Billard: „Schlimm sind nicht die Einzelnen, die Böses tun, sondern die Vielen, die Gutes nicht tun.“ Später stellt ausgerechnet Pattinson auch den Führer dar, schöne Pointe.
Um schwer zu sein, ist die Kost nicht üppig genug; zu viele Nahrungsergänzungsmittel strecken den Brei. Da hat sich jemand ambitioniert ins Biz gewagt und einen obschon in Summe bemerkenswerten, so doch nicht sehr relevanten Film unter die Piranhas geworfen. Okay. Nächster!