Von Matthias Bosenick (04.10.2016)
„Going, Going …“ beginnt mit dem Outro. Mit vier Outros sogar. Denen folgen dann noch 16 Stücke, die musikalisch in allen Lebensphasen von The Wedding Present verankert sind. Die Engländer sind ja schon lange nicht mehr die reinen Schrammelkönige wie in den Achtzigern, sondern auch harmonische Indierocker mit Tiefgang und Dunkelheit. Und auch mal Spaß. An Sexualität sicherlich, wenn er denn schon so oft betrogen wird, der David Gedge. Die Rückkehr der Frauenstimme im Duettgesang ist erfreulich, das Album gut, und wer etwas Geld investiert, bekommt es als Büchlein mit Bonus-CD. Man kann von The Wedding Present ja nie genug bekommen.
Mit dem Alter wird man langsamer, doch bedeutet das nicht, dass man an Wucht und Ausdruckskraft verliert; das lernte man schon bei NoMeansNo (die kürzlich leider ihren Ruhestand bekanntgaben), das gilt auch für The Wedding Present. In den über 30 Jahren ihrer Existenz (die Lücke mal eingerechnet) machten sie einige musikalische Erweiterungen mit; grobe Verschiebungen gab es nicht, aber man findet viele der abgesteckten Wegmarken auch auf dem erst neunten Album wieder. Berühmt wurden die Engländer seinerzeit für ihr irrwitzig schnelles Gitarrenspiel, das ihnen den Ruf einbrachte, die Könige des Schrammelrocks zu sein. Der schabernackige Song „Secretary“ in der Albummitte legt dafür Zeugnis ab. Als… fast einziger.
Spätestens 1991 auf „Seamonsters“, dem Einstiegsalbum des Rezensenten, ließen The Wedding Present in ihrer Musik Raum für Dunkelheit, und zwar so verstörend tiefe, dass man in der Musik beinahe zu versinken drohte. Vielleicht liegt es an der Gewohnheit des Hörers, aber auf „Going, Going …“ erhält die Dunkelheit, die es hier tatsächlich gibt, keine solche Schwärze mehr. Sie ist eher Anthrazit und weniger beklemmend, also eher melancholisch als depressiv, streckenweise gar schwelgerisch traurig (nicht weinerlich!). Ach ja, die unerfüllte Liebe!
Was auch zum Sound der Band gehört, ist das explosive Losrocken mit tiefbrummendem Bass. Da schüttelt man gern sein Haupthaar zu. Manchmal kommen diese Schübe auch überraschend inmitten einer Ballade und wirken damit noch effektiver. Die elektrische Slidegitarre in „Emporia“ etwa verleiht dem Song zum Ende hin einen unerwarteten Krawall. Ein überraschend präsentes Instrument ist auf diesem Album das Piano, und besonders erfrischend ist, dass mit Katharine Wallinger endlich wieder eine Frauenstimme den Grummelgedge begleitet.
Auch die kompakten Rocksongs der Zeit nach der Pause treten hier wieder auf. Damit deckt das Album die Kreativität aller Bandepochen ab. Ja, das bedeutet auch, dass „Going, Going …“ keine neue Epoche einleitet. Das ist aber nicht so schlimm, das ist lediglich eine Feststellung, denn wer sein hohes Niveau immerhin hält, macht nichts Schlechtes. Das wendige „Teen Sleep“ mit dem munteren Gitarrenlauf stellt da die einzige Ausnahme dar, indem es quasi sämtliche Epochen in sich vereint und daraus etwas Neues generiert. Interessant ist, dass die Band ihr Album mit vier instrumentalen Balladen eröffnet, bevor es den angesprochenen Reigen startet. Wer also nur mal eben in ein paar Stücke reinhören will, soll sich davon nicht beirren lassen: Es geht anders weiter. Und hört dann wiederum balladesk auf, aber mit Stimme.
Als Pledger erhält man das Album wahlweise auch als Buch mit Bonus-CD, auf der ausgewählte Songs in hörenswerten alternativen Versionen (Piano, Streichquartett, Akustik, Live) enthalten sind. Eine zusätzliche DVD enthält das gesamte Album ohne die Bonustracks. Und David Gedge signierte das Cover. Amtlich, solide, kraftvoll, verlässlich, aber nicht mehr so experimentell, trotzdem gut: The Wedding Present sind einfach immer noch eine geile Band.