Tom Jones – Spirit In The Room – Island/Universal 2012

Von Matthias Bosenick (08.08.2012)

Späte Werke alter Musiker! Seit der „American Recordings“-Serie von Johnny Cash haben Konsumenten besondere Erwartungen daran und sehen uncool gewordene Musiker in einem Stilwechsel eine Chance für einen neuen Hype. Manche so banal, dass sie schlichtweg das Konzept von Johnny Cash kopieren, wie Willie Nelson oder Gunter Gabriel, letzterer zumindest mit der Transferleistung, das Ganze auf Deutsch zu machen. Chris Rea wiederum nutzte das Ende seines Plattenvertrags zu einem Befreiungsschlag und machte statt Radiogedudel glaubwürdigen Blues. Dann gibt es noch die, die kontinuierlich sie selbst geblieben sind und ihr Gesicht nie verloren haben, somit ohnehin nie uncool wurden, wie Patti Smith oder Bob Dylan. Oder die Orientierungslosen, von denen nur jedes fünfte bis siebte Album gut ist, wie Neil Young. Ganz schlimm die Uncoolen, die es niemals versucht haben, etwas zu ändern, und auf Lebenszeit langweilen oder nerven. So dicht am Cash-Konzept und doch so eigenständig wie Tom Jones seit „Praise & Blame“ ist aber kaum jemand.

Unter den Uncoolen war Tom Jones schon immer einer der Coolen. Hits wie „It’s Not Unusual“ oder „Help Yourself“ kann man auf alternativ ausgerichteten Partys spielen und die Leute haben Spaß daran. An so etwas wie dem Puls der Zeit war der walisische Tiger zudem alle zehn Jahre mal, in den 80ern mit The Art Of Noise und dem Prince-Cover „Kiss“, in den 90ern mit der Kollaborationsplatte „Reload“ und dem Dance-Hit „Sex Bomb“ in Kooperation mit Mousse T. Weitgehend unbekannt indes ist sein Cover des Rolling-Stones-Meisterwerks „Gimme Shelter“ mit New Model Army. Jedenfalls gelang es Jones, immer wieder mit einigermaßen gefälligen Liedern im Blickpunkt der öffentlichen Aufmerksamkeit zu stehen. Mit den letzten Labelwechsel zu Island indes vollzog Jones zudem einen musikalischen und inhaltlichen Wechsel: Er coverte auf „Praise & Blame“ Lieder über Gott und Spiritualität, die nach dunklem und schwer belastetem Blues und Gospel klangen. Seine Stimme war kaum wiederzuerkennen, weil man sie in dem Kontext einfach nicht erwartete. Und man war weggeblasen: Zwar ist die Musik nicht bis zum Letzten virtuos, dicht, rauh, fett oder verspielt oder klingt nach ungeteerter Wüstenstraße, aber doch genügend, um genau diese Stimmungen aufkommen zu lassen.

Auf „Spirit In The Room“ setzt Jones das Konzept fort. Es scheint, als setze sich der Tiger mit dem Leben auseinander, und das so ernsthaft, dass man ihm seinen Zweifel, seine Überzeugung, seine Inbrunst vollständig abnimmt. Das neue Album ist noch karger als der Vorgänger und damit noch düsterer und dringlicher. Wie bei Cash überrascht und überzeugt Jones‘ Liederauswahl: „Bad As Me“ vom gleichnamigen niegelnagelneuen Album von Tom Waits ist dabei, das erste schnellere Stück zur Hälfte des Albums und nicht ganz so versponnen wie das Original, also glaubhaft dargeboten. „Tower Of Song“ von einem weiteren er selbst gebliebenen Alten, Leonard Cohen. Außerdem Songs von Paul Simon und Paul McCartney. Die Deluxe-Edition hat drei weitere Stücke, die das Album störungsfrei abrunden.

Wer auch immer wegen „Sex Bomb“ dieses Album kauft, wird sich verwundert die Ohren reiben. Wer sich allerdings darauf einlässt, wird belohnt: Tom Jones überzeugt als alter Mann, der seinen Stil weit nach dem Zenit seiner Karriere komplett verändert hat. Großartig, nichts weniger als das.

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