Von Matthias Bosenick (08.03.2016)
Schon spannend, was einem gelegentlich in den Briefkasten kommt: Harry Payuta, ein Sitar-Spezialist aus Bremen, präsentiert sein elftes Soloalbum „Sweet Gloom“, das er mit dem Percussionisten Denis Barzaga Ilizastiqui aus Kuba aufnahm, und zwar im Baskenland. Und nichts an dieser Information ist ein Scherz, obwohl das Cover aussieht wie von jemandem gestaltet, der glaubt, dass Albumcover so aussehen, weil er davon mal gehört hat, aber zu faul war, mal zu Recherchezwecken in einen Plattenladen zu gehen, der weiter weg ist als die Drogerie mit ihren Billig-Best-Ofs um die Ecke, und der seinen zwölfjährigen Neffen bat, mal mit Gimp seine Ideen umzusetzen. Das musikalische Ergebnis ist ein irrsinniger Mix: Payuta benutzt die Sitar nicht wie weiland George Harrison auf seinem dritten Drogentrip, sondern wie ein Popsonginstrument, und die Rhythmen dazu erinnern an die Karibik, aber an die latent schwermütige, nicht die hedonistische Vorstellung davon. Krauses Zeug.
Natürlich schwingen beim Sitarklang immer dezente Rauchschwaden mit. Harrison war schließlich nicht der einzige, der entsprechende Verknüpfungen schuf. Bei Payuta indes ist der Kontext ein anderer, da drängen sich solche Analogien nicht in den Vordergrund, sondern machen sich lediglich dezent bemerkbar. Schließlich begleitet ihn hier ein kubanischer Percussionist, und dessen Rhythmen eignen sich auch ohne rasendes Tempo nicht zum zugedröhnten wegchillen. Da rasselt es und shuffelt, da drängen sich Begriffe auf wie Merengue, Cha Cha, Salsa und Son, ohne dass man sich damit wirklich auskennt und somit überprüfen kann, ob Barzaga Ilizastiqui sich solcher Rhythmen wirklich bedient. Payuta spielt hier nicht nur Sitar, sondern auch die akustische Gitarre, und er übernimmt den Gesang zu den Songs. Das sind wirklich welche, mit Popstrukturen, aber ohne den Pophabitus, dafür sind die Stücke zu ernsthaft, melancholisch gar. Mit dem „Buena Vista Social Club“ hat das nichts am Stetson.
Zuerst ist man etwas irritiert, dass genau solche Musik aus den Boxen schallt. Gar nicht psychedelisch oder sonstwie klischeehaft. Dann ist man bald etwas befremdet davon, dass der Sound so unfassbar klar ist. Gitarre und Sitar klingen so klinisch klirrend, als wären sie mit dem Skalpell in die Tonspuren geritzt. Diese absolute Klarheit schmerzt fast in den Ohren, zudem sorgt sie dafür, dass alle Songs gleich klingen. Nur im Klang, also nicht in Komposition oder Tempo oder so. Bald gewöhnt man sich daran und dringt dann zu den bedeckt gehaltenen, fast dunklen Songs vor. Da Barzaga Ilizastiqui sehr variantenreich darin ist, seinen Instrumentenpark zu bedienen, kommt über die Laufzeit des Albums gottlob kaum Monotonie auf. Man muss sich halt darauf einlassen, es mit einem Album zu tun zu haben, dessen Musik aus nur drei Instrumenten besteht, die nicht Gitarre-Bass-Schlagzeug sind, sondern Gitarre-Sitar-Percussion. Das ist schon was anderes. Aber auch nichts für jeden Tag.
Sieht man sich das Cover an, mag man kaum glauben, es bei Payuta mit einem Musiker zu tun zu haben, der mit „Sweet Gloom“ nicht nur sein elftes Soloalbum veröffentlicht, sondern schon diverse Bands und Kooperationen durch hat und also mannigfaltige Spuren in der Musikgeschichte hinterließ. Harry Payuta. Aus Bremen. An der Sitar. Seine Vernetzungen reichen bis hin zu Grobschnitt, Amon Düül II und The Perc Meets The Hidden Gentleman. Über den Weltmusikkanon hinaus wird man ihn vermutlich kaum wahrnehmen. Umso besser, dass die Post einem zu solch einer Horizonterweiterung verhelfen kann.