Von Matthias Bosenick (25.01.2016) / Auch veröffentlicht auf Kult-Tour – Der Stadtblog
Intelligent, inkonsequent und ambivalent vom Kindergeburtstag zur „Wetten dass..?“-Kulisse: Deichkind im Jahre 2016 sind längst nicht mehr die Anarcho-Truppe, als die sie vor zehn Jahren in die Schlagzeilen der Musikpresse kamen. Die kritischen Inhalte und klugen Zitate überwiegen zwar (gottlob) noch, doch zelebrieren die Dance-Hopper in der zweiten Hälfte den tumben Hedonismus und widersprechen sich in vielen Aspekten selbst. Zudem ist die Show nicht mehr als nur eine Show, eine glattpolierte zudem; von einem Konzert kann keine Rede sein, da niemand ein Instrument bedient. Die richtig durchgeknallten Deichkind-Elemente kommen zumeist nur von Videoeinspielungen, lediglich im ersehnten Abschlusstrack „Remmidemmi“ lassen sie die Korken mit Effekt knallen. Aalglatt und fast ohne ein Staubkörnchen, aber eine geile Party für 5000 Leute.
Deichkind sind die Meister der Slogans, sowohl der geborgten als auch der selbstgemachten, die dann sogar – der Ritterschlag für jeden Aphoristiker – in den allgemeinen Sprachgebrauch übergehen. „Leider geil“, „Bück dich hoch“, „Arbeit nervt“, „Illegale Fans“, „Denken Sie groß“ und „Like mich am Arsch“ sind gute Beispiele dafür. Unter diesen Slogans verstauen Deichkind in der Regel kritische Ansichten und setzen ihre subjektiven Statements in die Welt. Im Idealfalle fordern Deichkind ihre Fans, so diese denn zuhören, zur Selbstreflexion auf. Blöd nur, wenn man Wasser predigt und Wein trinkt.
„Like mich am Arsch“, fordern Deichkind und kritisieren damit den unreflektierten Social-Media-Gebrauch. Im gleichen Atemzug fordern sie die 5000 Leute auf, die Arme in die Luft zu recken, und zwar alle. Also wie jetzt? Mit „Bück dich hoch“ gehen Deichkind die gegenwärtigen Strukturen im Arbeitsleben an, die Selbstaufgabe und Mitläufertum einfordern, und mit „Denken Sie groß“ verpönen sie den Hyperkapitalismus. Gleichzeitig werden sie selbst zu sauberen Entertainern ohne Schmuddelimage und Raum für Zufälle, aber mit kargen Bühnenelementen, die wie im Fernsehen Videos und Grafiken anzeigen können. Das verkauft sich natürlich besser, weil man jetzt als durchgestylt gilt und bei Massenmenschen damit einfach viel besser ankommt. Bück dich groß, denken Sie hoch.
An der fetten Musik indes ist nichts auszusetzen. Deichkind wildern in gegenwärtigen Charts- und Clubsounds und nutzen diese perfekt produziert und überzeugend arrangiert für sich. Da hört man Hip Hop, Trap, Dubstep, Deephouse, Techno, sogar EBM und Schlager. Fein gemacht – aber ausnahmslos nicht live gespielt. Die Musik kommt komplett vom Band, nicht von der Band. Die ist nur dazu da, ihre Texte ins Mikro zu drücken, sich nach jedem Song neu zu kostümieren und einigermaßen choreografiert mit anderen Leuten herumzutanzen. Also machen Deichkind nichts anderes als etwa Helene Fischer. Das muss man einfach mal so nüchtern feststellen.
Das führt zurück zum sauberen Entertainment: Die Kostüme sind längst nicht mehr mit Gaffa und Müll zusammengetapet, sondern uniform geschneidert und mit Leuchtdioden versehen. Zwar dreht mal jemand mit einem gepimpten Gokart eine Runde auf der Bühne, trägt mal einer ein überdimensionales Gehirn, zieht mal eine Polonäse mit „Leider geil“-Luftballon und Ganzkörperanzug für Ferris MC durch das Publikum und hüpfen zwei an Seilen von der Decke, doch richtig spannend ist es auf der Bühne ansonsten nicht weiter. Das alles haben Deichkind nämlich bei Daft Punk oder den Pet Shop Boys abgeguckt. Zudem egalisieren die Kostüme die Protagonisten: Wer weiß, wer von der Gruppe sich da wirklich gerade im Publikum aufhält, denn unter dem blinkenden Tetraeder über der Rübe erkennt man ja niemanden. Angeblich ist an diesem Abend Das Bo als Gast dabei, das muss man wohl glauben.
Hatte man in der ersten Hälfte noch mehr Spaß mit dem Kopf als mit den Augen, kippen Deichkind in der zweiten Hälfte in den Hedonismus. Saufen, saufen, saufen, „Roll das Fass rein“, „Niveau weshalb warum, wer uns fragt, bleibt dumm“. Möglich, dass da in Wahrheit eine Hedonismuskritik verborgen ist, beim Publikum und beim Rezipienten kommt die jedoch nicht an (das Publikum setzt die Aufforderung zum Feiern um und der Rezipient sucht immer noch den doppelten Boden). Zudem gestalten sich die Songs hip-hop-lastiger und anstrengender für die Ohren. Schrill, kreischig, überdreht. Keine Atempause, selbst die gesampelten Achtziger-Hits „Sunshine Reggae“ von Laid Back und „The Power Of Love“ von Frankie Goes To Hollywood bieten nur rudimentär Gelegenheit zum Luftholen.
Im Deichkind-Kosmos finden sich überdies noch mehr Zitate: Die Bandlogos von Black Flag und den Dead Kennedys etwa, gängige Werbesprüche in „Powered By Emotion“ und alle möglichen popkulturellen Anspielungen in den Texten. Man muss gut aufpassen beim Feiern, das steht bei Deichkind auf der Haben-Seite.
Das feiernde Publikum zeigt letztlich mehr Deichkind-Seele als Deichkind selbst. Viele kommen verkleidet, in selbstgebastelten Kostümen und mit bunten Knicklichtern. Manche tragen blinkende Tetraeder auf dem Kopf. Allen ist gemein, dass sie Bock auf Party haben, und Party machen sie auch. Zwei Stunden fette Sounds und steile Beats, da wogen und hüpfen die Massen. Letztlich macht es aber keinen Unterschied, ob man das im Club hat oder wie hier mit ein paar Animateuren. Oder doch: Alle sind da wegen Deichkind, und eigentlich wegen „Remmidemmi“.
Der Überhit von vor zehn Jahren kommt am Schluss, und da fahren Deichkind alles auf, was man bis dahin vermisste: Hüpfburg und Trampolin, irre Masken, Trubel auf der Bühne und ein mit einem Sack voller Federn bewaffneter Käptn unterwegs im Schlauchboot auf den Händen der Zuschauer. Yippie Yippie Yeah. Die Leute spielen nach dem Schlusspfiff zum großartigen Video des Bonus-Tracks „Selber machen lassen“ noch lange mit den Federn herum. Deichkind zeigten übrigens auch vor dem Konzert schon Geschmack bei der Videoauswahl („Life On Mars?“ von David Bowie!). Und jetzt: bitte ein Kontrastprogramm. Irgendetwas anderes, nur nicht wieder „So’ne Musik“. Egal, was: Hauptsache, irgendwas mit Gitarre.