Von Matthias Bosenick (11.11.2015)
Schnell mal alle fünf Bücher in zweieinhalb Wochen gelesen, trotz der Werbung in einem Gruftmagazin angesprochen gefühlt, trotz des „Spiegel-Bestseller“-Stickers nicht zurückgeschreckt und trotz des miserabel übersetzten ersten Bandes fasziniert genug gewesen, um dran zu bleiben: Ein reizendes Konglomerat aus Versatzstücken unzähliger Vorlagen ist Ben Aaronovitch da mit seiner Mär um den zur Zauberei fähigen Police Constable Peter Grant im London der Gegenwart gelungen. Die Reihe hat so viele Vorzüge, dass ihre Nachteile kaum ins Gewicht fallen, obwohl sie offenkundig sind. Aber das sind die Zeichen der Zeit: Mittelmaß ist das neue Gut, man ist ja schon dankbar, dass hier Gut mal das neue Sehr Gut sein darf. Und man ist hier darüber hinaus eben aufs Heftigste gefesselt.
Aaronovitch gibt seinem Peter Grant ein eher ungewöhnliches Setting und eine beinahe beiläufige Normalität, die auch jenseits der Magie nicht überall selbstverständlich ist – leider: Grant ist schwarz, was nicht einmal die erste Information ist, die man über ihn bekommt, aber für die Handlung nicht unerheblich. Er hält sich nicht lang damit auf, sich über seine magischen Fähigkeiten zu wundern, sondern nimmt sie hin und lebt mit ihnen, obwohl sich sein Leben von Stund an radikal verändert. Schließlich muss er in das Haus einziehen, von dem aus die Magie-Abteilung der Metropolitan Police arbeitet: Das „Folly“, das er mit seinem Vorgesetzten Thomas Nightingale und der schweigsamen, aber latent bedrohlich wirkenden Hausdame Molly sowie dem Hund Toby zu teilen hat. An seine Seite gesellt sich bald seine Ausbildungskollegin Lesley, die im Verlauf der Geschichte ebenfalls ihr Talent zur Zauberei entdeckt und zwangsweise im Folly einquartiert wird. Einst war sie Ziel seiner erotischen Fantasien, bis sie im Verlauf eines Kampfes gegen einen gesichtslosen Magier, der fortan zu einer Art ultimativem Endgegner mit Schwächen wird, ihrerseits Teile ihres Gesichtes verliert. Außerdem kommt ihr mit Beverley eine Flussgöttin mit erheblicher Ausstrahlung ins Gehege.
Damit beginnt die Sache: Peter muss den Krieg zwischen zwei Göttern der Themse schlichten, darum dreht es sich in „Die Flüsse von London“, dem Auftakt. Obgleich er sich erst in seine neue Identität hineinrütteln muss, erringt er eine angenehme Souveränität im Umgang mit sowohl seinen Fähigkeiten als auch den übernatürlichen Begegnungen. Das macht es angenehm, sich mit ihm zu identifizieren. Einzig im Umgang mit Frauen ist er weniger souverän, da stolpert er in seine raren amourösen Aktivitäten eher hinein, als dass er sie aktiv auslöst. Doch auch das macht ihn sympathisch, als Weiberheld gefiele er deutlich weniger. Und auch als Magier und als Polizist ist er nicht frei von fehl und begeht so manche Unachtsamkeit. Sonst wären die Bücher sicherlich dünner.
Das wären sie auch, wenn Aaronovitch eine anstrengende Eigenschaft weniger hätte: Geschwätzigkeit. Mehr als die Hälfte der Bücher nehmen gesellschaftliche und politische Betrachtungen ein, Analysen der Polizeiarbeit, Methodik, Geschichte, Kommentare. Bisweilen sind die typisch Britisch, also schwarz-lakonisch, also witzig, aber oft einfach nur der Vollständigkeit halber so ausführlich abgefasst, dass sie langweilen. Auf die Spitze treibt es Aaronovitch im vierten Band, aber dazu später mehr.
Der erste Band nun ist von Karlheinz Dürr übersetzt. Sein Aaronovitch ist manierlich und verklemmt, auch der Lesefluss hakt allenthalben. „Verflixt“, das ist das schlimmste Schimpfwort, und das angesichts bestialischer Babymorde und explodierter Köpfe. Ein Witz ist zwar erkennbar, er geht aber viel zu oft verloren. Ab dem zweiten Buch „Schwarzer Mond über Soho“ übernimmt Christine Blum die Übersetzung. Viel besser, die Sprache fließt jetzt, und mit ihr die Geschichten.
Die Handlung setzt genau dort an, wo der erste Band endet: Der Gesichtslose entwickelt sich zum Angstgegner, während Peter in der Jazzszene bei unvermittelten Todesfällen magische Hintergründe wahrnimmt. Im dritten Buch „Ein Wispern unter Baker Street“ begibt sich Peter wortwörtlich in den Untergrund und entdeckt mit der Hilfe eines Feenmannes zwischen Ubahntunneln und Abwasserkanälen ein unterirdisches Volk.
Im vierten Band „Der böse Ort“ geht Aaronovitch die Luft aus. Hier wird ein weiterer Schwachpunkt seiner Erzählkunst deutlich: die Verzettelung. Das hat er mit vielen Thriller-, Fantasy- und Kriminalschriftstellern gemein, dass er seine Figuren nicht das zwingend Logische oder Plausible tun, sondern sie Umwege gehen lässt, damit die Handlung länger dauern kann. Die Hauptgeschichte dreht sich um einen Architekten, der in einem vom Abriss bedrohten Sozialbau Magie abzapfen wollte. Parallel lernt Peter Baumgeister kennen und nimmt an einem Frühjahrsritual der inzwischen friedlichen Flussgötter teil. Dieser Zweig allerdings ist nahezu absolut frei davon, zur Handlung zu gehören, sondern lediglich Schmuckwerk, das offenbar dringend aus dem Kopf des Autors herausmusste. Dabei ist die Sache mit dem Haus und dem Gesichtslosen an sich extrem spannend. Nicht zuletzt, weil sich Lesley plötzlich aus einem nachvollziehbaren Grund auf den gesichtslosen einlässt. Aber bis dahin langweilt man sich im Nebel der Themse.
Gottlob fängt sich Aaronovitch im jüngsten Teil „Fingerhut-Sommer“ wieder. Er lässt Peter London verlassen und auf blauen Dunst hin in einem Fall ermitteln, der nicht offenkundig magisch ist. Irgendwo auf dem Land, an der Grenze zu Wales, verschwinden zwei Mädchen. Beverley, eine Tochter der Themsegöttin, steht ihm nicht nur unterstützend zur Seite. Peter hat in einem Mix aus Familientragödie, Dorftratsch und Feenköniginnenwillkür zu ermitteln. Unsichtbare Einhörner und undurchschaubare Bienenflüsterinnen sind nicht die einzigen Widerstände, denen er sich ausgesetzt sieht. Mit seinem unbedarften Mut bringt Peter zwar wieder viel durcheinander, kommt aber anders als die herkömmlich arbeitende Polizei zu Lösungen.
Auch hier punktet Aaronovitch, indem er seinen Peter der Tatsache gewahr sein lässt, dass es für andere in seinem Umfeld nicht selbstverständlich ist, was er für Einblicke in alternative Realitäten hat. Seine Kollegen sprechen nur von „absurdem Scheiß“, wenn er „Magie“ sagen würde. Aaronovitchs Form von Magie übrigens ist auch keine okkulte, sondern eine wissenschaftliche: der nächste Pluspunkt. Er setzt Sir Isaac Newton an den Anfang der magischen Bewegungen in England und lässt Peter im Sinne des Energieerhaltungssatzes über die Quellen seiner Macht und deren Grenzen sinnieren. Über Aleister Crowley hingegen lacht man im Folly. Über Harry Potter auch.
Der nächste Pluspunkt ist, dass Aaronovitch Peter in popkulturellen Gefilden wildern lässt, jedoch nicht so nerdig, dass es ein Showlaufen der Anspielungen wird. Alles, was dem Nerd heilig ist, findet Einzug, von Terry Pratchett über Star Wars bis Doctor Who, was nicht Wunder nimmt, wenn man weiß, dass Aaronovitch für jene Serie Skripte schrieb. Auch der modernen Technik verschließt er sich nicht, die Polizei arbeitet selbstverständlich mit Computern, Software und Mobiltelefonen neuester Generationen. Aaronovitch verankert seine Handlung also so sehr in der Gegenwart, dass es schwerfällt, die Reihe überhaupt im Fantasy zu verorten – wieder ein Pluspunkt.
Der „Fingerhut-Sommer“ hat eine ganz andere Atmosphäre als die anderen Bände. Das liegt an der Landschaft, am freien Blick außerhalb der dräuenden Metropole, an Gegend und Wetter, an der Liebe zu Beverley und den gewagten Fortschritten in der Ermittlung. Das Grün des Umschlags trifft die Stimmung gut. Eigentlich möchte man gerne länger dort verweilen, aber ach, man hat bis zum nächsten Band „The Hanging Tree“ zu warten, der erst im nächsten Sommer erscheinen soll. Hoffentlich kommt zwischendurch niemand auf die Idee, Peter Grant zu verfilmen, das kann nicht klappen. Die Comics sollen ja auch schon nicht so treffend sein.