Der Bunker – Nikias Chryssos – D 2014

Von Matthias Bosenick (05.11.2015)

Dem Film eilt der selbstherrliche Ruf voraus, dass man ihn entweder hasse oder liebe. Damit macht man sich es einfach, wenn man meint, Obskurität allein sei ausreichend, um im Idealfalle geliebt zu werden. Der Schuss kann gepflegt nach hinten losgehen, wenn man nicht mehr als das zu bieten hat. „Der Bunker“ hat; zum unumwundenen Lieben reicht aber auch das nicht aus, es gibt schließlich unendliche Welten zwischen Hass und Liebe. Licht und Ton sind brillant, viele Ideen sind besonders; und doch: Nachhaltig behält man diesen Film über die Familie, die in einem Bunker lebt und einen wohnungslosen Studenten in ihre teilweise ungesetzlichen Erziehungsmethoden einbindet, wohl nicht im Herzen.

Der große Pluspunkt ist, dass die bizarren Elemente nicht platt wie in einem Abiturabschlussfilm zusammengetragen wirken, weil sie nämlich filmisch extrem hochwertig dargestellt sind. Chryssos kennt sich aus mit Perspektiven und Blickwinkeln, mit Farbgebung und Lichtführung, und außerdem mit Musikeinsatz, denn der Soundtrack ist berauschend gut und passend. Zudem lässt Chryssos seinem Personal Zeit und damit seinen Ideen Wirkungsraum. Gegen Ende jedoch wünscht man sich ein baldiges solches, weil es bis dahin dann doch nicht genügend Identifikationsanker gab, um dem Verlauf kontinuierlich folgen zu wollen.

Was auch an den bizarren Elementen liegt. In ihrer Folge sind diese Dinge zwar nicht vorhersehbar, aber zunächst einigermaßen schlüssig. Und doch lässt Chryssos die Figuren selbst in nicht wirklich nachvollziehbaren Bahnen kreisen; das mag auch daran liegen, dass die Schauspieler laut „Klaus“-Darsteller Daniel Fripan (am 4. November 2015 beim Filmfest Braunschweig) viel improvisieren durften. Zur Handlung: Ein Namenloser Student bekommt für seine Forschungen Unterschlupf in der Wohnung einer dreiköpfigen Familie, die jedoch unterirdisch in einem Bunker im Wald liegt. Nimmt sich der Kontakt zu den Eheleuten zunächst spießig-familiär aus, tritt spätestens mit dem Sohn Klaus das Absurde auf den Plan. Klaus soll acht Jahre alt sein, wird aber von einem zu dem Zeitpunkt Achtundzwanzigjährigen dargestellt. Die Eltern zwingen ihn vergeblich zum intensiven Lernen, damit er US-Präsident werden kann. Sie wollen den Studenten einspannen, damit das Ziel doch noch erreicht wird. Der ist erst von der Brutalität des strafenden Vater und der Kälte der dies fördernden Mutter abgeschreckt, lässt sich aber bald selbst auf dieses Spiel ein, weil er damit tatsächlich Lernfortschritte beim eher unwilligen Klaus erzielt. Sexuelle Gefälligkeiten der Mutter befeuern außerdem des Studenten Forschungsgeist und Lehrmotivation. Die ohnehin permanent bedrohlich wirkende Konstellation zerbricht jedoch, als sich der Student tatsächlich aus dem irrsinnigen Kreis verabschieden will.

Als wäre ein erwachsener Achtjähriger nicht schon grotesk genug, nimmt ihn seine Mutter regelmäßig an die Brust. Rat holt sie sich bei einer Entität namens Heinrich, die offenbar mitsamt ihrem Volk in einer Wunde am Beim der Mutter haust und aus ihrem Munde mit tief verzerrter Stimme spricht; mithin die großartigste Idee in diesem Film. Abends liest der Vater, unglaublich schlecht als Clown geschminkt, aus einem mächtig überalteten Witzebuch vor und kommentiert die Pointen mit eigenen Analysen.

Mit diesem Wahnwitz übertreibt es Chryssos nicht, der Film schrammt nicht permanent über die Grenze zum gerade noch Möglichen hinweg. Trotzdem findet er keine konsequente Linie darin, was „Der Bunker“ sein soll: Heinrich könnte eines der gruseligsten Elemente in einem Film seit langem sein, aber dafür ist der Kontext zu albern. Jedoch wieder nicht humorig genug, um eine gelungene Komödie zu sein. Denn dafür steckt wiederum zu viel Drama in der Handlung. Tja.

Dennoch, gerade dieser Mix empfiehlt „Der Bunker“ für eine internationale Rezeption. Er hat so viel Eigenständigkeit, dass ihm das Deutschsein, seine geografische Positionierung völlig egal ist. Vielleicht funktioniert „Der Bunker“ beim zweiten Betrachten besser, wenn man eher weiß, worauf man sich zu konzentrieren hat.