Von Matthias Bosenick (27.06.2012)
Da muss etwas passiert sein mit und bei Patti Smith: Auf „Banga“ hält sie die Rebellin zurück. Von Poesie-Punk (1975) über Rock (1996) zu – ja, Pop, oder? Dabei sind die inhaltlichen Zutaten geblieben: Literatur („Banga“ ist der Hund von Pontius Pilatus in dem Roman „Der Meister und Margarita“ des sowjetischen Schriftstellers Michail Afanassjewitsch Bulgakow), Religion, Umweltzerstörung, Geschichte, Tod, Freunde. Offenbar regt der Zustand der Welt die 61-Jährige aber nicht mehr so sehr auf wie früher. Macht nichts: „Banga“ ist trotzdem ein tolles Album geworden.
Denn obgleich Smith ihre Mitmusiker – LennyKaye ist seit ihrer ersten Stunde als Musikerin dabei, Jay Dee Daugherty immerhin seit dem Debütalbum und Tony Shanahan seit dem Comeback 1996 – eher gebremst agieren und viele Lieder einfach nur wunderschön sind, lässt sie die Wölfe bisweilen knurrend im Studio umherstreifen, aber nicht angreifen. Das Ergebnis überzeugt, wenn man sich erstmal darauf eingelassen hat, dass man es nicht mit einem losbrechenden Rockalbum, aber dennoch mit einer besonderen Art von Rockmusik von Patti Smith zu tun hat. Dann verzeiht man auch den einmaligen Ausflug in die 50er-Schnulze.
À propos Mitmusiker: Television-Chef Tom Verlaine ist wieder mal mit an Bord, bei zwei Stücken. Smith und er kennen sich aus dem CBGB’s und teilten schon oft Bühnen und Studios. Selige Zeiten, Mitte der 70er Jahre, als im CBGB’s der US-Punk entstand, mit Bands wie Talking Heads, Blondie und den Ramones. Ja, Punk, wie Patti Smith damals auch. Bis auf die Ramones würde heute keine der Bands mehr dem Punk zugeordnet werden. Ein weiterer prominenter Gast ist Johnny Depp, der auf dem Titelstück nicht Gitarre, sondern Schlagzeug spielt. Und Smith lässt ihre Kinder Jackson und Jesse mitmachen.
Da Smith Künstlerin in vielen Bereichen ist, gibt es „Banga“ auch als Buchversion mit Gedichten, Texten und Fotos und dem Bonus-Track „Just Kids“, alles komplett lohnenswert. Wobei „Just Kids“ gerne um einen Track nach vorne hätte geschoben werden können: Das Neil-Young-Cover „After The Gold Rush“ mit dem Kinderchor wäre der schlüssigere Abschluss für das Album geworden.
So gehört Smith zu den wenigen aufregend gebliebenen Musikern über 60. Darauf, dass sie so alt ist, würde bei ihr niemand kommen; ein Thema ist es bei ihr erstrecht nicht. Smith entzog sich von Anfang an den üblichen Bewertungskriterien einer Frau im Musikzirkus. Sie macht relevante Kunst, ihr gebührt Respekt. Sie passt sich nicht an. Sie gehört zu den Guten, in Haltung und Produkten.