Von Matthias Bosenick (12.06.2015)
Der Film fängt noch viel beschissener an, als man zu fürchten wagte: US-Amerikanische heile Welt, glückliche Familie mit zwei Kindern, davon ein frisch verliebter Teenager, der unbeholfen von seiner Auserwählten Abschied nimmt. Alles in Pastell, in altbekannten Dialogen, mit Dudelmucke unterlegt, kitschig-süßlich arrangiert. KOTZ!!! Das ist unfassbar schlimm. Das Allerschlimmste daran ist, dass das zwar ironisch aussieht, oder besser: dass man hofft, es sei zumindest ironisch gefärbt, dass es aber komplett ernst gemeint ist. Die wollen einem ernsthaft als Rahmenhandlung zu einem Dinosaurier-Actionfilm so einen kindertauglichen RomCom-Schwachsinn andrehen. Und bei dieser Rezeptur bleibt es: Keine Figur ist auch nur halbwegs durchdacht, sie agieren und reden allesamt und durchgehend stereotyp. Damit sind auch fast alle Zwangsgags vorhersehbar. Inklusive dem Showdown, und dabei fällt einem ein, dass es ja auch noch animierte Dinosaurier in dem Film gibt. Ja, die Reptilienpassagen sind ansehnlich und turbulent und besonders in 3D sehenswert. Sie rechtfertigen aber den gehirnschmelzenden Scheiß drumherum nicht.
Es ist halt blöd, wenn die Zielgruppe nicht eindeutig sein darf, weil man das Produkt so breit wie möglich vermarkten will. Und genau das merkt man dem Film einfach an. Kinder sind hier die Hauptfiguren. Um Gottes Willen. Sicher, Jungs finden Dinos geil, aber dann soll man für die einen Extrafilm drehen. Oder aus dem Material zurechtschneiden.
Seltsam am zeitgenössischen Hollywood ist, dass in dieser Industrie Milliarden von Dollars stecken, aber für vernünftige Drehbuchautoren keine Kohle übrig ist. Warum zum Henker muss die Rahmenhandlung von Special-Effects-Filmen immer so extrem nach Baukasten aussehen? Dafür braucht man kein Script, um die tausendfach gesehenen Versatzstücke anderer Blockbuster willkürlich zu arrangieren. Inklusive der Dialoge, Charakterkonstellationen und Pseudoemotionen. Das, liebe Filmgucker, ist Verarschung des Publikums. Ganz offensiv. Aber das Publikum schluckt es.
Es ist so banal und hanebüchen: Die beiden Kinder sind Neffen einer Jurassic-World-Managerin, die auf sie aufpassen soll, aber aus Businessgründen keine Zeit dafür findet und ihnen deshalb eine smartphoneversessene Ego-Blondine an die Seite stellt. Klar büxen die Jungs aus. Der Ex-Lover der Tante ist dies genau deshalb, weil er – wie sie moniert – zum ersten Date in Hawaii-Shorts aufschlug, „wer macht denn sowas“, genau, wer ist denn so oberflächlich und verkauft das auch noch als allgemeingültig? Dieser Typ ist ein „Indiana Jones“-geschulter actiongeladener Gutmensch und der Retter der Insel. Dann gibt’s noch seinen ebenfalls moralischen Kollegen, einen machtgeilen Militärarsch, einen skrupellosen Wissenschaftler, einen ebenso skrupellosen Parkchef, einen latent eigensinnigen Wachmann, die emotional angeditschte Topmanagermutter der Kinder (die geheime Scheidung der Eltern konterkariert immerhin die heile Welt des Anfangs) sowie massenhaft Dinofutter.
Die eigentliche Handlung gibt dann das Trickstudio vor: Man hat vermeintlich gezähmte Velociraptoren, die der Kriegstreiber als Waffe einsetzen will, man hat einen hungrigen T-Rex, man hat einen haiefressenden Meeressaurier und man hat eine Neuzüchtung namens Indominus Rex. In der stecken à la Coca-Cola geheime DNA-Zutaten, die ihm „Predator“-artige Superkräfte verleihen: Er kann sich tarnen und kalt stellen, er kann denken, planen, aus Lust töten, Ereignisse vorhersehen, an vielen Orten gleichzeitig sein, Menschen hinter Autos wittern, Kinder entkommen lassen, die Größe ändern, mit Velociraptoren sprechen sowie vor dem Zubeißen so lange herumbrüllen, bis die Helden verschwunden sind. Außerdem ist er so lange unsterblich, wie das Geld für den pixelgenerierten Showdown reicht. Dieses Tier wütet sich nun fröhlich durch den Park und zermetzelt Brontosaurier, befreit Flugsauerier, öffnet Parkfahrzeuge, stellt bewaffneten Männern Fallen. Richtig ernst meinen die Macher die Katastrophe indes nicht, sonst ließe der Indominus nicht die ganzen Parkbesucher leben. In der einzig wirklich unvorhersehbaren Sequenz stoßen die befreiten Flugsaurier immerhin in der Parkmeile auf die Besucher nieder und sorgen für einigen lethalen Schabernack. Nicht genug jedoch; ohne den Kinderanteil wäre hier mehr Mut mit mehr Spaß belohnt worden. Indominus selbst trifft erst dann im Park ein, als es zum Kampf der verbliebenen vier Personen – Kinder, Tante, Actionheld – mit dem Endgegner kommt. Klar.
Die Sauriersequenzen sind den Kinobesuch immerhin wert. Man begleitet die Besucher auf Fahrten durchs Auenland, vorbei an Bronto- und Stegosauriern, man sieht Kinder auf Triceratopsen reiten, man begleitet Raptoren, wie die Velociraptoren hier genannt werden, in „Evil Dead“-Manier bei ihrer Hatz durch den Urwald. Ah, begleitet von einem Motorradfahrer, der offroad keinerlei Schwierigkeiten mit den herumliegenden Baumstämmen und sonstigen Unebenheiten hat, Respekt, Alter! Positiver Aspekt: Ganz wie im ersten „Jurassic Park“ von 1993 oder in „Alien“ warten die Macher ewig, bis sie dem Zuschauer den Indominus in seiner Komplettheit zeigen. War dies 1993 noch der mangelnden Kohle für die sauteuren CGI-Rechnereien geschuldet, ist es heute einer der wenigen gelungenen dramaturgischen Kniffe. Die Monstrosität spielt sich eben im Kopf des Betrachters ab. Ansonsten hat selbst Peter Jackson in seinem insgesamt allerdings vergurkten „King Kong“ vor zehn Jahren schon unterhaltsame Saurierkämpfe in einem Film untergebracht, dem fügt „Jurassic World“ nicht mehr allzuviel hinzu.
Man profitiert bei diesem Update natürlich halbwegs von der Nostalgie, die man hier auch noch füttert, indem man die Kinder auf ihrer Flucht im aufgelassenen alten Gelände aus dem ersten Teil ein Fluchtfahrzeug finden oder den semicoolen Wachmann kritisch gerügt ein Oldschool-T-Shirt tragen lässt. Auch manche Handlungsteile sind dem ersten Film entnommen. Inklusive der dummen Figuren. Interessant ist immerhin, wer hier dann doch zwischendrin auf der Strecke bleiben darf. Ein gewisser Zynismus liegt in der Darstellung der Lebenskurve der Sicherheitsleute, die der Krawallosaurus eleminiert – tausendfach gesehenes Stilmittel seit den 80ern, in der Realität indes längst nicht angekommen, hier sogar fragwürdig schulterzuckend untergebracht. Sind ja nur Statisten. Da der Film aber keine Selbstironie mitbringt, kann man über diesen offensichtlichen Zynismus auch nicht im Sinne der Macher lachen; vielmehr muss man ihnen vorwerfen, mit der unreflektierten Darstellung einer einer Mehrklassengesellschaft Geld machen zu wollen. Ähnlich schlimm ist, dass die Kinder ihre tatsächlich unsympathische Stöckelschuh-Tante erst dann als cool akzeptieren, sobald sie als waffenbestückte Kriegsbraut vor ihnen steht.
Der ganze Scheiß lenkt so derbe von den an sich geilen Actionteilen ab. Wie schade! Besonders in 3D stellt sich so mancher Achterbahn-Effekt ein. Zu Wasser, zu Lande und in der Luft beeindrucken die Killermaschinen und die Kuschelsauerier gleichermaßen. An mancher Stelle waren sich die Macher wohl nicht so ganz einig, was ihre Monster eigentlich sein sollten; sicher vermarkten sie sich besser, wenn der Held mit den Raptoren in die Kiste springt, aber realistisch ist es nicht, dass die instinktgesteuerten Fleischfresser nach einem zwischenzeitlichen Gesinnungswechsel die humanoide Entenmama in Person des Actionhelden gegen den Megasaurier als Leittier akzeptieren.
Trotz der vielzähligen Andeutungen war übrigens Menschen-DNA laut Drehbuch nicht Bestandteil des Gencocktails, aus dem der Indominus gezaubert wurde. Warum auch immer. Ah, für die Fortsetzung, die ist möglich, denn der Wissenschaftler hat mit neuen Embryonen als Gefolgschaft der Bösen ab. Okay. Vielleicht bleibt dann ja endlich Kohle für ein vernünftiges Drehbuch übrig. Oder mindestens für filmfüllend vernünftige Tricks, denn alles, was nicht Dinosaurier ist, sieht mal derbe nach auf Groß gefilmter Miniatur aus. Das hat selbst in „Star Wars“ in den 70ern besser geklappt.
Warum sollte man sich diesen Film also ansehen? Mit Hirn nur, wenn man Bock auf ein paar ausgewählte Achterbahnfahrten und die Fähigkeit zum Ausblenden hat. Ohne Hirn ist es egal, da funktionieren auch die ausgelutschten Elemente offenbar. Aber ehrlicher wäre es, den Abenteuerkram gleich ohne den Stumpfsinn zu bringen; dann ist der Film vielleicht nur eine halbe Stunde lang, dafür aber durchgehend gut, siehe „Kung Fury“. Geht doch. Und der Erfolg jenes Filmes zeigt, dass es für genau so etwas ein Publikum gibt. Mehr Mut, Hollywood! Und mehr Ehrlichkeit bitte.