Von Matthias Bosenick (08.06.2015) / Auch auf Kult-Tour – Der Stadtblog
Meta meta fake meta fake fake meta fake – oder so: Lord Schadt generiert ein Interview zwischen seiner erfundenen Performancekünstlerin Eva G. Hamilton, unter deren Namen er in der Vergangenheit tatsächlich existierende Werke anfertigte, und Maren von Monkiewitsch, einer eigens dafür erfundenen Redakteurin eines pseudointellektuellen Brüsteheftchens. Dieses Gespräch quasi seiner selbst mit sich selbst nutzt der Lord nun, um seine eigene nonkonforme Haltung unter die Menschen zu bringen, durchmengt von satirischen Übertreibungen sowie sexuellen und pornografischen Fantasien, die besonders dann möglich sind, wenn man sie jemand anders in den Mund (oder sonstwohin) legen kann. In diesem Rundumschlag zeigt sich der Autor als ausgesprochen fantasievoll, kenntnisreich, kritisch und humorvoll. Er vergießt Spott und Häme, er fabuliert schmierig herum, er schwärmt aber auch von den Dingen, die es ihm wert sind, und formuliert Gegenentwürfe zum bestehenden Gesellschaftskonstrukt. Selten war ein Schlagwort so passend wie hier dieses: „Mindfuck“.
Zwei Anlässe erdenkt sich der Lord für diese Semi-Autobiografie, diesen Interview-Roman: Seine sexuell explizite Künstlerin Eva Gina (die Explizität steckt also schon im Namen) wird 30 Jahre alt – und will sich zwecks Familiengründung auf unbestimmte Zeit aus dem Kunstbetrieb zurückziehen. Mit der von ihrem Oeuvre bis dato eher unbeleckten Kunstwissenschaftlerin von Monkiewitsch reflektiert die Skandalnudel daher ihr Werk und Wehe. Und legt gleich skandalös los, indem sie der Redakteurin Drogen einflößt. Sie stecken so gestärkt gemeinsam den künstlerischen und privaten Werdegang Hamiltons ab, vom traumatisierenden stundenlangen Sitzen neben der toten Oma als Vierjährige über so aufrüttelnde wie skandalöse Performances wie „Body Tequila“, „1000 Blowjobs für den Weltfrieden“ oder „Ente gut! Duck Mama“, die tatsächlich im Internet herunterladbaren Bücher wie „Muschi Mandalas“ oder „I Am Your Woman“, das Leben als obdachlose Rucksackvagabundin, das ernüchternde Kunststudium, Musik für einen Stöhn-Chor bis hin zu Veganismus. Auf diesem Wege stolpern die Frauen in Grundsatzdiskussionen, etwa um Benotung im Kunststudium, Bedingungsloses Grundeinkommen, Urheberrecht, Fleischkonsum. Dabei gelingt dem Lord immer wieder der brillante Kniff, als Eva Gina Hamilton in abstruse Utopien und mindestens mutige Haltungen abzudriften, als Korrektiv mit von Monkiewitsch aber einen quasi selbstkritischen Regulator einzubauen. Schadt holt sich selbst damit zwar auf den Boden zurück, gibt sich aber als Krönung mit den neuerlichen Repliken Hamiltons trotzdem das Recht, im Space zu bleiben.
Sprachlich bleiben Vulgarismen bei diesem Thema schon beim Zitieren der Titel nicht aus, dem gegenüber steht ein Wortschatz, der ans Politische oder Wissenschaftliche kratzt. Das liest sich bisweilen nicht wirklich wie die Niederschrift des gesprochenen Wortes, sondern eine Konstruktion desselben; wer den Lord aber kennt, weiß, dass er selbst tatsächlich genau so spricht – sein Tonfall dringt aus beiden Sprecherinnen. Das ist auch insofern spannend, als dass man den Frauenfiguren ihr Frausein grundsätzlich abnimmt.
Aus diesem Werk dringt überraschend viel Haltung. Der Lord lässt insbesondere Hamiltons Performancekunst vorrangig auf eine menschenverachtende, verlogene Gesellschaft reagieren. Dies geschieht mit Humor; so vergießt Hamilton bei einer Aktionärsversammlung von Bänkern über jene mit einer Wasserpistole Urin und nennt diese Aktion „Reiche Pinkel bepinkeln“. Aber es steckt auch ganz viel Hoffnung in Schadts Texten: Diese Performances, Gedanken, Bücher, Aktionen wären redundant, glaubte deren Erschaffer nicht an einen verbessernden Effekt, und sei es zunächst nur, den Betrachter nachdenklich zu machen.
So ist dieses Buch nicht einfach nur eine Ansammlung schmutziger Fantasien und Worte, sondern überrascht mit philosophischem Tiefgang, interessanten Gedankengebilden und einer Metaebene, die in sich selbst ständig meta ist. Einmal zitiert der Lord sich sogar selbst, ohne sich zu nennen: Hamilton berichtet von einem Journalisten, der ihr erzählte, dass er Künstlern die Frage stellt, warum es sich lohnt, eine Ausstellung von ihnen zu besuchen. Dies tut nämlich in der Realität der Lord selbst in seiner Rubrik „7+1 Fragen an“ im Online-Magazin „Braunschweig-Spiegel“. Ein Schelm! Zum Glück.
Spoiler: Natürlich kriegen sich die beiden am Schluss. Logo.