Von Matthias Bosenick (28.05.2015)
Ganze 18 Jahre liegen zwischen dem Debüt „300,- DM“ von Kaltmiete und dem vorliegenden, klammheimlich veröffentlichten zweiten Album „Auf Wiedervorlage“. Ein Umstand, den man der Musik anhört: Das Braunschweiger Trio wildert im – gottlob unkommerziellen – Indierock der 90er Jahre. Da der in der Gegenwart ansonsten eher nicht so stark vertreten ist und da die Band den Sound nicht einfach kopiert, sondern zur Hochzeit des Genres mitgestaltet hat, ist es ein Vergnügen, sich diese ganze Stunde technisch und kompositorisch einwandfreier Retroorientiertheit anzuhören. Einzig die Tocotronismen tun bisweilen etwas weh.
Es gibt definitiv Veränderungen im Sound der Band seit 1997: Damals waren Ska, Crossover und Funk im Indierock noch deutlich präsenter, hier fehlen sie, und das ist auch gut so. Was leider auch fehlt, ist die an Helmet erinnernde Stop-And-Go-Riffrhythmik, die in der Zwischenzeit gelegentlich live zu hören war; damit lässt „Auf Wiedervorlage“ zwar ein gewisses Maß an Heavyness vermissen, nicht aber eine Kraft und Stärke, die allgemein als Powerrock bezeichnet werden könnte. Dennoch, die Musik ist eher Morrissey als Jimi Hendrix, wie Sänger Heinrich selbst feststellt. Es gibt aber noch weitere hochkarätige Analogien: The Wedding Present, Therapy?, Sonic Youth, Sleater-Kinney, Monster Magnet, also allesamt eher nicht das, was man postmodern als „Alternative Rock“ bezeichnet und was tatsächlich eher gleichförmig langweilt, sondern das, was individuell und kantig rockt und sich nicht um Trends und Wellen schert.
Die drei sind einfach gute, versierte Musiker: Krusty am Schlagzeug, Martin am Bass und Heinrich an der Gitarre. Sie entlocken den lediglich drei Instrumenten Zwischentöne, die jeden ihrer Songs dynamisch, groovy und abwechslungsreich machen, und das, obwohl die Lieder mehrheitlich eher wuchtig schleppend und atmosphärisch als temporeich und rasant sind. Griffiger Rock braucht eben keinen Speed.
Auch mit den Ohrwürmern geizen die drei nicht, man hat viele Songs schnell im Kopf und behält sie dort auch gerne. Der Humor der Texte hat sich in den vergangenen Jahren gewandelt: Waren anfangs die befreundeten Trottelkacker mit ihrem Nonsens auch inhaltlich noch nahe, klingen Kaltmiete heute mit subtilen Seitenhieben deutlich erwachsen. Weitgehend zumindest, denn leider gab es in den 90ern auch schon Tocotronic, und deren anstrengende Weinerlichkeit dringt hier leider etwas zu oft durch: Zu viel Ich-Bezogenheit gekoppelt mit dem Hang zur Klage verhindert manchmal die Identifikation mit dem Inhalt. Das ist aber nur ein kleiner Wermutstropfen in einem ansonsten großartig gemixten Cocktail. Von Das-Ich-Musiker Bruno Kramm, übrigens.
[Edit 24.09.2024] Heute erhielt ich vom Musik-Mischer höchstselbst sehr anschaulich eine Fortbildung in Sachen Mixen und Mastern: Produziert und gemixt hat das Album Tom Stach, Bruno Kramm hat es gemastert. Danke, Tom!