Von Matthias Bosenick (28.05.2015)
Wäre die Handlung blöd, man hätte trotzdem ein riesiges Vergnügen an diesem Film, denn Ana Lily Amirpour liefert eine einhundertminütige Sammlung großartiger Bilder, mit allen Tricks und Kniffen, die die Filmkunsttheorie so hergibt. Nun hat man zusätzlich das Glück, dass die Handlung zwar sperrig und entschleunigt, aber gut ist, also einen Mehrwert, der den schwarzweißen „A Girl Walks Home Alone At Night“ mit stark westlicher Prägung alternativer Art und vermutlich orientalischem Erzählstil nicht zu einem genretypischen Vampirfilm verkommen lässt.
Schwarzweißfilm, das lockt schon mal, das ist nicht mehr so typisch, nachdem einige geliebte Kunstregisseure in den 90ern vermehrt darauf zurückgegriffen hatten. Diese Analogien merkt man dem Film unablässig an: Amirpour kennt Jim Jarmusch, Aki Kaurismäki, David Lynch und deren Wegbegleiter. Ihr gelingt es dabei, sich zwar erkennbar bei ihren Vorbildern zu bedienen, aber ihren Film nicht zu einer Kopie geraten zu lassen, sondern zu einem eigenständigen Werk mit freundschaftlichen Bezügen, die sie sinnvoll einsetzt. So gemahnen ein regelmäßiges, zumeist unrhythmisches Brummen an die Gruselsequenzen des Hobbymystikers David Lynch, lange Einstellungen an die Tristesse des großen Finnen Aki Kaurismäki, die Schwarzweißästhetik an den europäischen New Yorker Jim Jarmusch. Obgleich der mit „Only Lovers Left Alive“ zuletzt ebenfalls einen fantastischen Vampirfilm drehte, sind Amirpours Analogien vielmehr in seinen anderen Werken zu finden, vorrangig in „Dead Man“. Nicht zuletzt klingen hier erstaunlicherweise immer wieder Elemente aus dem Western an.
Besonders Amirpours Bildgestaltung zieht den Betrachter sofort und dauerhaft in den Bann. Fast jedes Bild ist ein Kunstwerk, alles ist brillant durchkomponiert, das äußerst gebremste Filmtempo ist unterstützend an diese Ästhetik angepasst. Wie sie etwa ein undurchdringliches Gestrüpp zeigt und in der Schärfenregulierung auf arbeitende Ölpumpen fokussiert, wunderschön. Wie zwei Menschen nahezu regungslos hintereinander stehen und die schnellste Bewegung von den Reflexionen eines rotierenden Mirrorballs stammt. Wie der Wechsel von Totaler zu Nahaufnahme immer wieder den Raum transparent macht und die Figuren und Gegenstände beinahe greifbar anordnet. Dazu die Spiele mit Hinterlicht und Schlagschatten, mit Perspektiven und Linien, mit Größenverhältnissen und Bildkompositionen. Ein Fest!
Eines mit Handlung: „A Girl Walks Home Alone At Night“ ist dabei zunächst etwas schwierig zu erfassen. Der Fokus liegt irreführenderweise anfangs nicht auf einer Hauptfigur; da lässt es sich spekulieren, ob da in diesem ansonsten sehr westlichen Werk womöglich die orientalische Erzählweise der aus dem Iran abstammenden Regisseurin durchbricht, was ja schön wäre. So entgehen dem Betrachter zu Beginn womöglich relevante Details, von denen er noch nicht weiß, dass er sie als Information für den Verlauf des Films noch benötigt. So schlimm ist das aber nicht, man findet sich dann trotzdem zurecht. Abschweifungen gehören hier jedenfalls zum Wesen der Erzählung.
Im deren Zentrum stehen Arash und ein namenloses Mädchen in einer öden iranischen Industriestadt mit dem nicht zufällig gewählten Namen „Bad City“. Hier dreht sich alles um jedwede Art von Kriminalität, von Drogenhandel über Prostitution und Diebstahl bis zu Gewalttaten. Auch Arash ist darin verwickelt, stellt aber in diesem Zusammenhang einen der wenigen Personen mit so etwas wie Moral dar, einen „Gentleman“ gar, wie ihn seine Arbeitgeberin nennt, nicht wissend, dass es ihm nicht so sehr um ihren Ruf geht, wenn sie sich als Mädchen mit ihm nicht zu lange in einem Raum aufhalten soll, sondern um die Gelegenheit, ihre Ohrringe zu stehlen. Parallel steigt Arash ins Drogengeschäft ein und versucht, seinen Junkievater zu entwöhnen. Das titelgebende Girl schleicht derweil nachts durch die leeren Straßen und bedient sich bei den besonders bösen sowie den vermeintlich überflüssigen Menschen. Im Kontrast zum ruhigen Erzählton des Filmes wirken ihre Vampirattacken besonders verstörend, wenngleich man schnell herausfindet, dass ihre Schattenhaftigkeit zwar beunruhigend ist, sie aber etwa für Arash keine generelle Bedrohung darstellt. Vielmehr kontrastiert Amirpour die grundsätzliche Bedrohlichkeit einer Vampirin mit deren zuckersüßen Segelohren und ihrem nur wenig bösartigen Ringelshirt. Das Girl erinnert somit vielmehr an „Emily The Strange“ als an die Monster aus „From Dusk Till Dawn“.
Das erste Aufeinandertreffen der beiden ist so großartig, dass diese Situation alleine schon ein Grund ist, den Film zu sehen. Arash war im Draculakostüm bei einer Mottoparty und ließ sich dort von seiner Arbeitgeberin zum Extasykonsum verleiten. Mit Plastikgebiss im Mund fixiert er später in einer Wohnsiedlung eine Straßenlampe, als das Girl auf einem Skateboard an ihm vorbeirollert. Die romantische Begegnung zweier Untoter. Es entspinnt sich eine distanzierte Nähe zwischen den beiden, die in einer lebensverändernden Entscheidung mit fatalen Effekten gipfelt, für die wiederum eine Katze der Auslöser ist.
Interessant ist, wie Amirpour mit dem Genre bricht und gleichzeitig auf typische Elemente zurückgreift. Die Geräusche beim Zubeißen etwa sind klassisch, die Lebensweise der Vampirin ist es nicht. Ein einzelner spontaner Ortswechsel unterstreicht ihre Übernatürlichkeit, ansonsten bewegt sich das Girl wie ein Mensch. Zwar geht es bei „A Girl Walks Home Alone At Night“ auch wie bei dem anderen Genrebrecher „Only Lovers Left Alive“ um Drogen, aber anders als dort nicht darum, dass das Blut die Droge ist. Auch bei „The Addiction“ setzte Abel Ferrara seinerzeit den Vampirismus mit einer Drogenabhängigkeit gleich; mit jenem Film teilt der vorliegende somit eher das Schwarzweiße. Der nicht unübliche Gleichklang von Vampirismus und Sexualität ertönt indes immer mal wieder unterschwellig, besonders in der Szene, als Arash dem Girl mit einer Sicherheitsnadel Ohrlöcher sticht: Da wachsen ihre Eckzähne vor Erregung. Von „Twilight“ und anderem Schmonz ist hier gottlob trotzdem nichts zu finden.
Nicht nur die Bildgestaltung wirkt wie aus dem Lehrbuch, auch beim Musikeinsatz ist dies der Fall. Anders als bei den Bildern bekommt man beim Hören aber wirklich das Gefühl, Amirpour arbeite ein Handbuch ab. Was ihr beim Bild aufs Allerbeste gelingt, macht im Ton einen studentischen Eindruck: Die Stimmungen der Musik montiert sie etwas abrupt auf Kante. Das schmälert den Genuss aber keineswegs. Zudem ist dem Ton immanent, dass die Sprache komplett in Persisch gehalten ist – ein schönes Element unter vielen schönen Elementen in diesem Film.