Von Matthias Bosenick (20.05.2015)
Eine Bombenstimmung herrschte wortwörtlich im Theater am Küchengarten, dem TAK, im schönen Linden: In der Südstadt evakuierte man die Gebäude, weil man eine Weltkriegsbombe zu entschärfen hatte; das Thema drang bis in den kulturellen Abend der Nachtbarden. Die Nachtbarden, das ist eine Lesebühne, bestehend aus Ninia LaGrande, Tobias Kunze, Kersten Flenter und Johannes Weigel, die sich monatlich Gäste ins TAK holen. Dieses Mal waren es der Braunschweiger Solobassist Schepper und eigentlich die Hamburger Autorin Sabrina Schauer, die leider aus gesundheitlichen Gründen absagte und ihre Berliner Kollegin Insa Kohler als würdige Vertretung nach Hannover schickte. Ein Bombenabend: Das heimelige TAK war gerammelt voll, die Gastgeber waren freigiebig und freundlich und die Beiträge qualitativ hochwertig und ausgesprochen unterhaltsam.
Für Schepper war es der erste Auftritt nach einer längeren Pause. Johannes Weigel hatte sich an ihn und seine exorbitanten Fähigkeiten am E-Bass erinnert, die er einst bei der seligen „Bumsdorfer Auslese“ in der Braunschweiger KaufBar kennengelernt hatte. Schepper sagte erfreut zu und brachte auf den Abend verteilt einen Haufen neuer Songs zu Gehör, teils mit Gesang, teils instrumental. Hatten die Stücke einen Songcharakter, nutzte Schepper den Bass für den melodiösen Groove als Unterbau. Für die Instrumentals entlockte er dem Bass hingegen Töne, die an ganz andere Instrumente erinnerten, an E-Gitarre oder sogar Orgel etwa. Zur befremdeten Erheiterung des Publikums ließ es sich Schepper nicht nehmen, sich in manchen seiner ausufernden Kompositionen selbstversunken und hochkonzentriert zu verlieren. Obschon die Zuschauer dabei laut vernehmbar grinsten, war es Schepper, dessen Schlussapplaus mit Jubel unterlegt war. Verdient.
Verdient hätten den aber alle Beteiligten. Angenehm am Gastgeberquartett ist, dass jeder seinen eigenen Stil und Sound hat. Ein irrwitziges Tempo ist allen eigen; noch während man sich über eine gelungene Passage freute, verpasste man drei weitere. Neben einem angemessenen Humor ist inhaltlicher Tiefgang eine weitere Gemeinsamkeit. Wäre es nicht so abgedroschen, könnte man in diesem Zusammenhang glatt von Infotainment sprechen.
Ähnlich wie bei der Comedy, die sich mit Blick auf ein akademisches Publikum gerne als Kabarett tarnt, bestimmten tagesaktuelle Themen einige Inhalte der Texte. Die Bahn, zu einem Beispiel, Griechenland, zum nächsten. Der Unterschied bei Lesebühnen ist aber, dass die Autoren nicht auf flache Pointen, schnelle Lacher und tumbe Schenkelklopfer aus sind, sondern auf assoziativen Sprachstil, inhaltliche Analogien, tieferes Reflektieren. Die Denkanstöße prasselten so heftig auf den Zuschauer ein, dass es am Ende schwierig war, die einzelnen Gedanken den Vortragenden zuzuordnen. Das ergab ein stimmiges Gesamtbild, das offenbar nur in seiner Summe funktionierte; das Quartett ergänzte sich fabelhaft.
Und da passten auch die Gäste hinein. Insa Kohlers Betrachtungen des Paarungsverhaltens im Tierreich etwa rissen zotenfrei zum Lachen hin. Dazwischen brachte sie Erkenntnisse wie diese, sinngemäß: „Ich habe mir abgewöhnt, die Äußerungen meines Freundes als Beleidigung aufzufassen. Das ist besser für meine Gesundheit und für unsere Beziehung.“
Als Höhepunkt stellten sich alle sechs Künstler in einer Reihe auf die Bühne und dialogisierten um Tagesthemen herum, Titel der Rubrik: „Bunte Tüte“. Zum Ritual gehörte, dass einer auf der Bühne etwas ganz offensichtlich Negatives gut zu finden behauptete, was das Publikum mit „eine lange Nase“ quittierte. Ein hintergründiger Bombenspaß.
Zum entspannten Ausklang gehörte ein gemeinsames Essen der Gastgeber und der Künstlergäste. Das TAK selbst als beinahe klassische Kulisse bot den wohnlichen Raum dafür. Das war ein großartiger Abend. Danke!