Von Matthias Bosenick (15.03.2015)
Zwei Sätze, die der Rezensent vom Wuppertaler Vollplaybacktheater nicht mehr zu hören gehofft hätte: „Wir machen auf jeden Fall weiter mit ’ner neuen Produktion“ – und „Wuppertal – Rock’n’Roll!“. Denn eigentlich hatte sich das dem Punkrock näher als der Hochkultur stehende Theaterensemble vor einiger Zeit in eine Pause auf unbestimmte Dauer verabschiedet. Die wiederum hatte zum auslaufenden Winter beendet sein sollen, doch als die Tour startete, erlebte das Vollplaybacktheater seinen unrühmlichen Rock’nRoll-Moment: Der Tourmanager verschwand mit der Kasse. Versuchte es das Team zunächst noch auf eigenen Beinen, musste es die Vergeblichkeit dieses Unterfanges einsehen und den Rest der Tour absagen. Zu Hause, das immerhin, funktionieren Auftritte ganz ohne Tourmanager. Kurzerhand nach Wuppertal gedüst, erlebte der Rezensent also den traditionellen Abschlussruf dieses Mal mit dem Namen der VPT-Heimatstadt – so einfach kann Glück sein.
„Wuppertal – Rock’n’Roll“, ein Ausruf fürs ewige Tagebuch. Mit und also in Hannover, Wolfenbüttel, Celle, Oldenburg und Braunschweig hatte der Rezensent den Schlachtruf bereits jeweils vernommen, aber auf das Glück, diesen jemals in Zusammenhang mit dem Namen der Wiege des Ensembles zu hören, hätte er nie zu hoffen gewagt. Drei Tage hatte das Vollplaybacktheater in seiner Heimatschule angesetzt und wegen der großen Nachfrage noch den Donnerstag vorangestellt, der indes nicht ausverkauft war, dem aber – wie allen vier Auftritten – eine Soli-Versteigerung von VPT-Devotionalien im Foyer voranging. Die freien Ränge, so erläuterten es die ansonsten nicht sprechenden Schauspieler am ersten Abend dankbar, seien von den „Ich kann leider nicht kommen“-Ticketkäufern besetzt. Eine große Unterstützung sei dem Team zuteil geworden, stellte es fest. Muss ja, sarichma.
So war der Auftritt am Donnerstag also der erste nach dem großen Debakel. Vielleicht lag es daran, vielleicht aber auch am Stoff, dass der Funke nicht ganz so sprühend übersprang wie bei vorherigen Programmen. Vielleicht war das Publikum auch einfach nur regungslos vor Glück, dass das VPT überhaupt noch einmal auftrat, vielleicht war es aber auch zu konzentriert mit dem dennoch fabelhaften Bühnengeschehen beschäftigt.
Nicht wie sonst auf ein Hörspiel, sondern auf die Synchronspur eines Filmes hatte des das VPT dieses Mal abgesehen: Auf „Pulp Fiction“, seit Jahren schon mit einer konkreten Szene fester Bestandteil der Shows. Jules und Vincent befanden sich immer wieder mal im Disput mit den Drei Fragezeichen, die an dessen Ende erschossen in ihrer Zentrale lagen. So auch dieses Mal, und gottseidank kommt keine VPT-Produktion, was sie auch als Hauptthema haben mag, ohne die Drei Fragezeichen aus, mit denen die Idee zu dem Theaterkonzept überhaupt einst gestartet war: Als Schulaufführung hatten sich einige Leute den Spaß gemacht, zu einer laufenden Drei-Fragezeichen-Hörspielkassette auf der Bühne den Mund zu bewegen. Daraus war ein mit allerlei Querverweisen versetzten Tourprogramm geworden, von dem das Ensemble sogar leben konnte.
Und jetzt endlich wieder. Eine der vielen Parallelgeschichten in „Pulp Fiction“ ist die von dem Koffer, der eigentlich dem Gangsterkönig Marsellus Wallace gehört und den Vincent und Jules einigen Halbstarken wieder abknöpfen sollen. Koffer spielten auch bei den Drei Fragezeichen innerhalb der bisherigen knapp 175 Hörspiele immer mal wieder eine Rolle, da boten sich diverse Kreuzübers an. Die gipfelten in der absurden Szene, in der Justus, Peter und Bob im Angesicht der Killer die wahnwitzigsten Objekte auflisten, die in dem Koffer stecken könnten. Diese assoziativen Dauerfeuer-Schnipselpuzzle gehören seit jeher zu den kreativen Höhepunkten der VPT-Produktionen. Darin muss ein gewaltiger Aufwand stecken, alle Hörspiele auf passende Sequenzen hin abzuklopfen und die dann zusammenzuschneiden – und auswendig zu lernen. Ebenso der neu gestaltete letale Dialog mit Jules und Vincent, in dem Justus ein Butterbrot isst, das ihm seine Tante Mathilda zubereitete, und das Jules beharrlich als „Big Kahuna Burger“ bezeichnet. Wer in diesen Szenen naturgemäß lachte, verpasste dabei einiges.
In der zweiten Hälfte tauchten die Drei Fragezeichen nicht mehr auf, und da offenbarte sich dann, dass „Pulp Fiction“ allein zwar eine großartige Story abgibt, aber leider deutlich weniger Humorpotential. Das VPT fand aber immer etwas Passendes zum Dazwischenschnippeln: Boxer Butch bekam einen Anruf von der Gewitter-Oma und hatte vor Stress „zweehundert Puls“. Vincent und Mia Wallace erhielten vom zwischenzeitlich juvenilen Kellner Aberdutzende von Eissorten aufgezählt. In der berühmten Tanzszene verwurstete das Ensemble weitere Chartshits, die über alberne Choreografien traurige Berühmtheit erlangt hatten. Wie immer war die Zahl der Verweise in der Show nahezu unüberschaubar, sie reichten vom „Weißen Hai“ über „TKKG“, „Dexter“, „Nightmare On Elm Street“, „Hannibal“ und sämtlichen weiteren Werken von „Pulp Fiction“-Regisseur Quentin Tarantino bis hin zum extrem kurzen Auftritt von „John Sinclair“, der kurz „den rechten Fuß vor, das Linke Bein nachziehen“ durfte. Angenehm war, dass die Querverweise nicht so sehr überhand nahmen, dass die Show unübersichtlich wurde; die dem Gig zugrundeliegende Handlung kam nicht zu kurz. Und überdies bewiesen die Schauspieler eine fantastische Wandlungsfähigkeit: Die Filmfiguren waren ausgezeichnet getroffen.
Mit Blick auf den Umstand, dass es weniger lustige Sequenzen gab als früher, bleibt womöglich festzustellen, dass das VPT mit seinem Publikum und den Jahren an Erfahrung erwachsen geworden ist. Raum für Absurdes bleibt, die Grundhaltung ist aber weniger kindlich-experimentell – das haben die Darsteller längst hinter sich. So hatte man vielleicht ein weniger sprühendes Erlebnis, aber deshalb noch lange kein schlechteres. Eine solide Show, die Mut macht und die die Hoffnung weckt, dass es mit dem VPT künftig weitergeht. „Wuppertal – Rock’n’Roll!“