Von Matthias Bosenick (12.11.2014)
Die mehrheitlich anonyme russische Punkband Pussy Riot rückte weniger für ihre Musik in den Fokus der Weltöffentlichkeit. Dank Globalisierung und technisch ermöglichter permanenter Aufmerksamkeit gerieten drei Mitglieder in die Position, ihrer kritischen Haltung dem autoritären Präsidenten Wladimir Putin gegenüber überhaupt eine Öffentlichkeit zu verschaffen. Damit führten sie den Staatsapparat, der sie mundtot machen wollte, weltweit vor – zuletzt gelang dies ähnlich dem chinesischen Künstler Ai Weiwei. Der Film dokumentiert die dem Verfahren vorangegangene Kunstaktion in der Moskauer Christ-Erlöser-Kathedrale, das Gerichtsverfahren und den zum Zeitpunkt des Entstehens gegenwärtigen, inzwischen überholten Stand der Dinge.
Vor dem Altar erwischten die Behörden lediglich die Pussy-Riot-Mitglieder Jekaterina Stanislawowna Samuzewitsch, Nadeschda Andrejewna Tolokonnikowa und Marija Wladimirowna Aljochina. Sie wurden in der Folge Aushängeschild für die weiterhin aktive Band und für die Rolle, die Dissidenten im Russland der Gegenwart immer noch innehaben müssen. Der Film zeigt die Vorbereitungen zum „Punk-Gebet“ in der Kathedrale sowie die Reaktionen von Weggefährten, Eltern, Justiz, Orthodoxen und Politikern auf das anschließende Verfahren. Diese Statements sind überraschend schonungslos und vielfach entlarvend. Man wundert sich, dass besonders Justiz und Orthodoxe nicht begreifen, wie reaktionär und uneinsichtig sie sich der Welt präsentieren. Damit schaffen sie selbst eine unmessbar große Angriffsfläche und machen es ihren Kritikern belegbar leicht. Fast schockierend sind die Aussagen der Orthodoxen, die die Pussy-Riot-Frauen als Hexen bezeichnen und die absichtlich die Information ignorieren, dass die Aktion keine Blasphemie, sondern ein politisches Statement gegen die Verquickung von Kirche und Politik war, und der Justiz, die negiert, von Putin gesteuert zu sein, aber doch deutlich seinem Diktat folgt. Geschickter Schachzug des Präsidenten nebenbei: Die Kirche war zu UdSSR-Zeiten verboten; stellt er sich jetzt auf die Seite der reaktionären Orthodoxen, gewinnt er eine breite neue Anhängerschaft.
Dem gegenüber stehen nicht nur die drei Inhaftierten, sondern auch deren Eltern und andere kritische Stimmen. Stars und Künstler wie Madonna und Peaches beziehen Stellung. Erfreulich und überraschend ist, wie stark die Eltern hinter den jungen Frauen stehen, trotz der sichtbaren Angst, selbst in den Fokus der gewaltbereiten Apparatschiks zu geraten. Es erstaunt auch, wie viel Redefreiheit die drei Frauen vor den Gerichtsverhandlungen den Reportern gegenüber haben und wie viel Meinung und Haltung sie dabei ausdrücken können. Das unterwandert den Schauprozess massiv und ist oft auf zynische Weise unterhaltsam. Dabei stellen sich die jungen Aktivistinnen verbal als ausgesprochen geschickt heraus. Sie stehen erhobenen Hauptes zu ihrem Wort, dass sie in jedem Fall gewinnen, auch wenn sie inhaftiert werden, denn dann stellten sie das politische System in Russland bloß. Und genau dazu kam es ja auch. Eine dritte Partei meldet sich im Film nur kurz zu Wort: Die Analytiker, die frei von Bewertung feststellten, dass Pussy Riot der liberalen Bewegung womöglich dadurch Schaden zufügten, dass sie für ihre gute Aktion mit der Kathedrale den falschen Ort gewählt haben.
Die Musik der Band kommt kaum zum Tragen, was auch daran liegt, dass sie lediglich ein paar Tracks zum Download produzierte und ansonsten ihre Aktionen auf Youtube dokumentierte. Dabei erweist sich der Sound als stumpfer Punk, der die Parolen und Aussagen untermalt. Mehr Aufsehen erregten brennende Putin-Porträts, Rauchgranaten, Lärm und die Outfits, die mit bunten Sturmhauben, Kleidern und Strumpfhosen ein brillantes Marketinginstrument sind. Als Pussy-Riot-Unterstützer reicht es, eine Wollmaske zu tragen, um seine Loyalität zu zeigen. Diese Form von plakativer Ikonografie haben aktuell nur wenige Bewegungen, etwa Anonymous.
Betrachtet man die Vorbereitungen der jungen Frauen, kommt man indes auf den Gedanken, dass dieses Outfit weniger Kalkül als Versehen ist. Zwar arbeiteten sie ihre Konzepte gut aus, schossen aber oft übers Ziel hinaus und zeigten damit eine gewisse Naivität. „Putin pisst sich selbst“ etwa ist nicht gerade hochlyrische Kritik, auch die Aktion der Vorgängeraktionsgruppe Woina, bei der auch zwei der Angeklagten nackt in einem Biologiemuseum Sex hatten, um gegen Medwedews Aufruf zur Steigerung der Geburtenrate zu protestieren, fehlte es an Subtilität. Dennoch, wer übers Ziel hinausschießt, hat es immerhin erreicht.
Die Doku ist beinahe wie ein Spielfilm strukturiert und damit sogar dann spannend, wenn man die Details bereits kennt. Schade ist, dass für den Deutschen Markt nicht Untertitel gewählt wurden, sondern dass über die O-Töne gequatscht wird. Das macht es etwas anstrengend.
Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des Films waren zwei der drei Verurteilten noch inhaftiert, heute sind sie es nicht mehr. Von den Repressalien lassen sich die jungen Frauen auch jetzt nicht stoppen, die große Aufmerksamkeit ist auf ihrer Seite. „Pussy Riot: A Punk Prayer“ ist heute, in einer vermeintlich freien Welt, als Mahnmal ebenso wichtig wie „Ai Weiwei: Never Sorry“. Es ist erschreckend, wie repressiv in den Zehnerjahren manche Regimes immer noch sind; indes ist es besonders in diesen Systemen einfacher, den Gegner und den Bösen auszumachen, weil er sich klarer offenbart. Die westeuropäischen Systeme zeigen bisweilen ebenfalls menschenunwürdige Anteile, die aber weniger offenkundig sind, weil die Systeme als solche als gut gelten und die Nachbarn der Betroffenen von dieser vermeintlichen Tatsache abgelenkt den Blick auf sich selbst richten, nicht auf Ungerechtigkeiten und Verletzung der Menschenrechte vor der eigenen Haustür.