Simple Minds – Big Music – Embassy Of Music 2014

Von Matthias Bosenick (06.11.2014)

Da machen die alten Stadionrocker jetzt also auf Dancefloor. Elektronische Musik ist man als Fan der ersten Stunde deutlich eher gewohnt als jener, der erst mit dem „Breakfast Club“ einstieg, aber die alte Form, mit der die Schotten zuletzt sogar auf Tour waren, war monotoner, kühler, dunkler. „Big Music“ ist – auch das alberne Cover mit den Lautsprechern unterstreicht das – genau das, big music nämlich, für das große Publikum, die große Bühne und womöglich die Großraumdisco. Nun, dort wird man sie wohl verschmähen, dafür sind sie zu alt. Eher kommen sie ins große Radio und beglücken die Großraumbürogemeinschaft. Bisweilen hat es etwas von Erasure mit Gitarren. Es ist schwierig, als Simple-Minds-Fan „Big Music“ unumwunden zu mögen. Aber nicht unmöglich, überhaupt Gefallen daran zu finden.

„Big Music“ ist sehr eingängig. Was dem einen als ein Qualitätsmerkmal gilt, kann andernorts für Ablehnung sorgen: Menschen mit ausdifferenziertem Musikgeschmack haben an Eingängigkeit bisweilen wenig Vergnügen. Man hat sie schnell über und hört sich nach etwas fordernderen Produkten um. So ist es auch mit „Big Music“, wenn man es einlegt: Es klingt recht einfach, um mal ein Wortspiel mit dem Bandnamen zu vermeiden, und bedient oberflächlich recht einfache Hörgewohnheiten. Streckenweise erinnert es an den ersten Danceausflug nach der Stadionrockhochzeit, „Real Life“ von 1991. Auch „Néapolis“ (1998) und „Neon Lights“ (2001) bedienten sich bei synthetischen Sounds. Zu hören sind auch ältere Elemente, etwa Synthiesounds von „New Gold Dream (81*82*83*84)“, das Klavier und der Gospelgesang von „Once Upon A Time“, ein Singalong-Part wie in „(Don’t You) Forget About Me“. Insofern ist „Big Music“ zwar keine Überraschung, bietet aber eben auch keine Überraschung. Die angenehme Dunkelheit, die noch das Vorgängeralbum „Graffiti Soul“ ausstrahlte, ist leider fast verschwunden. Solides Werk von professionellen Musikern, keine Längen, keine Durststrecken, gute Ideen, so weit, so okay.

Wer sich nun die Mühe macht, sich auf das Album einzulassen, darf unter der glatten Oberfläche Schätze heben. Die Gitarre ist zwar weit in den Hintergrund gerückt, steuert aber schöne Effekte bei. Manche Breaks sind ungewöhnlich rauh. Auch die Synthies dürfen mehr als nur das Radio betören, manche Effekte drücken von unten das Ungewohnte in die Songs. Nach ein paar Tracks weicht der Dancefloorbeat, die Songs bekommen Rockstrukturen, „Let The Day Begin“, das Cover der unbekannten und nicht mehr existenten Band The Call, bildet sozusagen das experimentelle Zentrum. Man stellt dann fest, dass es sich die Band mit der Eingängigkeit doch nicht so einfach gemacht hat. Vieles ist nur Fassade, dahinter stecken tolle Songs; man muss leider feststellen, dass sie nicht nur stecken, sondern sich sehr verstecken. Das macht das Hörerlebnis ambivalent.

Zur Form: Die zwölf Tracks des Albums beinhalten neben dem angesprochenen Cover auch in neu bearbeiteter Form die beiden Bonus-Tracks der jüngsten Best-Of „Celebrate: The Greatest Hits“, nämlich „Broken Glass Park“ und „Blood Diamond“, nicht aber den Mylo-Remix von „Promised You A Miracle“, der zeitgleich am Record Store Day auf Vinyl erschien. Nicht mal auf der Deluxe-Bonus-CD, auf der dafür Platz gewesen wäre. Dafür erscheinen dort zwei alte Bekannte in neuer Form: „Swimming Towards The Sun“ stammt vom im Jahr 2000 verworfenen und 2004 in der „Silver Box“ nachgereichten Album „Our Secrets Are The Same“, „Dancing Barefoot“ von Patti Smith coverten die Simple Minds bereits 2001 auf „Neon Lights“, dieses Mal mit dunkler Frauenstimme. Als weiteres Cover ist „Riders On The Storm“ von The Doors enthalten, mit tatsächlich mal dunklerer, rauherer, experimentellerer Musik, aber identischer Gesangsmelodie. Insgesamt ist die zweite Disc etwas spannender ausgefallen als das Hauptalbum. Als dritte Disc ist der Deluxe-Edition eine DVD mit Videos und Interviews beigelegt.

So ist „Big Music“ sicherlich kein Meilenstein in der Musikhistorie, kein bewegendes Album im Untergrund wie die ersten fünf, kein Wegweiser für neue Ideen, keine Landmarke im Simple-Minds-Kontext. Aber als Pop-Album ist es ausgezeichnet, mit unterschwelliger Qualität und einnehmenden Ideen. Erstaunlicherweise klingt „Big Music“ weit weniger nach Marktschielerei als das fast zeitgleich erschienene neue Album der einstigen Konkurrenten U2, „Songs Of Innocence“. Innovationspokale gewinnen sie aber beide nicht.