28 Years Later – Danny Boyle – GB/USA 2025

Von Matthias Bosenick (20.06.2025)

Der einzige Grund, sich „28 Years Later“ anzusehen, den – ja: – ersten Teil des dritten Teils der Zombie-Serie von Danny Boyle, ist die Ästhetik: Gedreht mit dem iPhone 15 pro, sieht der Film gleichzeitig unmittelbar, ultrahoch definiert und verwaschen aus. Kombiniert mit der Neunziger-Retro-Ballermucke der Young Fathers ergibt das einen netten Videoclip. Man sollte aber darauf verzichten, sich auf die Handlung einzulassen – die ist erbärmlich furchtbar. Ach ja, und die Doppelbödigkeit: Brexit, Corona, das Querdenker-Virus, schon verstanden.

Danny Boyle ist nicht der erste Regisseur, der auf die Idee kommt, einen Film mit dem Smartphone zu drehen, und er wird mit Sicherheit auch nicht der letzte sein. Die Apparatur verleiht den Drehenden unendliche Möglichkeiten, gerade weil sie so klein und handlich ist: ungewöhnliche Perspektivwechsel, schnelle Bewegungen, enge wie weite Räume, der Gerät ist überall einsetzbar, und das macht Boyle auch. Für den Film bedeutet das, dass man Bilder, Schwenks und Schnitte zu sehen bekommt, die auch nach Jahrzehnten der Filmkunst etwas Neues beisteuern. Die kurzen Stops, sobald ein Pfeil einen Zombie durchschlägt, mit Freeze auf dem Impact, sind zusätzliche Besonderheiten, die Boyle unterbringt. Nach Art der Neunziger garniert Boyle seine Bilder zudem mit krachender Mucke der Young Fathers.

Zudem bringt das Material selbst eine Ästhetik mit, die man mit Zelluloid oder digitalen Profi-Kameras nicht so einfach hinbekommt: Das Bild ist gleichzeitig ultrahoch definiert und verwaschen. Das könnte so wirken, als handele es sich um Found Footage, doch gibt die Story das gar nicht her, weil es im Großbritannien 28 Jahre nach Ausbruch des Rage-Virus‘, das Menschen zu Zombies macht, keine Elektrizität und erstrecht keine Smartphones mehr gibt. So kann Boyle es sich also leisten, seine hyperrealistischen Bilder artifiziell zu bearbeiten und kunstvolle bis psychedelische Spielereien einzubauen, die das Auge erfreuen. Der Lauf des Vater-Sohn-Gespanns über den Damm zur Insel mit dem Rabenumkreisten Alpha-Zombie auf den Fersen vor dem Hintergrund von Nordlichtern ist jedenfalls gleichzeitig spannend, dramatisch und schön.

Und damit bedauerlicherweise die einzige Szene des Films, auf die diese Attribute passen. Dafür kurz zur Handlung – und kurz reicht da aus: Eine Gruppe Nichtinfizierter verbarrikadiert sich auf der Gezeiteninsel Lindisfarne (ausgerechnet), die nur über einen Ebbepfad mit dem Britischen Festland verbunden ist. Da müssen die Leute bisweilen hin, um Rohstoffe zu sammeln, was kein Spaziergang ist, weil überall wahlweise ultraschnelle oder extrem langsame Zombies lauern. Überlebensregeln zu lernen ist wichtig, und so setzt ein Vater seinen Sohn dem Initiationsritus aus, sich bis zur nächsten Flut auf dem Festland mit Pfeil und Bogen Zombies zur Wehr zu setzen. Die dazugehörige Mutter ist irgendwie krank, und als das Gespann knapp gerettet ins Dorf zurückkehrt und der Vater mit irgendwem anders poppt, gehen dem Bengel die Sicherungen durch. Er hört von einem alten Arzt auf dem Festland, schnappt sich seine Mutti und macht sich auf die Suche nach dem Wunderdoktor. Erfolgreich, doch mit einer den Schädel zum Kochen bringenden Diagnose. Äh: Dann bringt der Junge ein von einer Zombiefrau geborenes Baby zu seinem Dorf und schließt sich auf dem Festland einer Horde bekloppter Droogs an, die nach Klonen von Richard D. James aussehen und lustvoll Zombies schlachten. Cliffhanger für die Fortsetzung.

Was man vom ersten Teil „28 Days Later“ noch kennt, sind die schnellen Zombies. Der Kniff damals war, dass man die blutigen Attacken nicht klar und direkt zu sehen bekam, sondern verhuscht im Dunkeln, und dass das Töten daher nicht direkt auf der Leinwand, sondern im Kopf der Betrachter stattfand. Daran hält sich Boyle hier nicht mehr. Und das nimmt einiges an Schrecken. Zusätzlich dazu, dass er Schreckmomente hier komplett schnell und unspektakulär auflöst. Der erste solche findet in einem verlassenen Haus statt – und es handelt sich beim Schreckerzeuger allen Ernstes um die verfickt nochmal seit Jahrzehnten in jedem verpupsten Horrorfilm oder Thriller als Pseudo-Schock auftauchende flüchtende Katze. Gotteswillen. Danach gestaltet Boyle kaum noch ernsthaft spannende Momente, und treten sie dennoch ein, hüpft jedes Mal ein Jack In The Box hinter einem Gebüsch hervor und klärt die Situation. Kann man sich drauf verlassen. Spannend. Als Drittes nimmt das Tageslicht viel Schrecken, alles ist sofort sichtbar.

Je weniger Zombies Thema des Film sind, umso mehr tritt der Rest in den Vordergrund. Den guckte sich Boyle angeblich bei Ken Loachs Film „Kes“ ab, und mal ehrlich, nicht nur da: Vater-Sohn-Drama, Mutter-Sohn-Drama, Coming Of Age, Suche nach Heilung und Erlösung, blablabla. Das ist so eine dünne Handlungsdecke, dass man selbst bei einem Horrorfilm noch ungläubig staunt. Diese Decke wird noch umso dünner, je mehr Quatsch Boyle mit einwebt. Zunächst wachsen einem die Figuren – bis auf den Arzt – kein Bisschen ans Herz. Das liegt einmal daran, dass man deren Motivation wahlweise nicht versteht oder nicht nachvollzieht; erste Hälfte: Warum atzt ihr durch den Wald voller Zombies, lasst das doch? Zweite Hälfte: Nur, weil der pubertierende Knabe unzufrieden ist, hält er sich nach einem ersten Ritt durch die Hölle für Superheld und schleift seine Mudder durch den Wald? Diggi, such dir nen Kinderpsychologen und komm zur Besinnung. Der Bruch mit dem Dad kommt zudem reichlich unmotiviert – weder Dialog noch Bitte um Verständnis, sondern gleich komplette Ablehnung. Na dann, auch egal. Genau wie das immerhin optisch nett inszenierte Schicksal der Mutter: Naja, dann tschüß, nech. Und zum Anderen sind die Figuren selbst nicht sonderlich tief gezeichnet. Heißt also: Was an „28 Years Later“ nicht Zombie-Horror ist, ist banaler Scheiß. Und der ist in der Überzahl.

Solcher wie dieser: Es gibt plötzlich stärkere Endgegner, Alpha genannt, die nicht wie die anderen mit nur einem Pfeil zu erlegen sind. Ein solcher schwängert eine Zombiefrau, die in einem aufgelassenen Zug ein Baby gebiert, das Mutter und Sohn ihr zur Welt zu bringen helfen und feststellen, dass dieses Neugeborene nicht infiziert ist, „Wunder der Plazenta“, wie der Arzt später treffend sagt. Jener Arzt nun ist ein solcher Jack In The Box, der nämlich den angreifenden Alpha – betäubt, nicht tötet, weil er ihn seit drei Jahren studiert und damit fortfahren will. Dann randaliert der Alpha später in der Unterkunft des Arztes, weil er sein Baby sucht, und wieder wird er nur betäubt, zumindest vermutlich. Beste Idee mit diesem Wissen: das Blag zur Insel der Gesunden bringen, klar.

Die Unterkunft des Arztes: Mutter, Sohn, Baby und Doc überqueren vermittels einer Seilkonstruktion einen Fluss und der Arzt sagt, „das hält sie ab“. Was genau: das Seil? Oder die Knochentürme, die der Arzt auf der anderen Seite des Ufers errichtete? Wie soll das funktionieren, egal welches von beiden? Schließlich ist die andere Seite eines Flussufers ja keine Insel. Was eben kurz darauf schon deutlich wird, wenn der Alpha einbricht.

Ein schöner Kniff ist, dass Boyle immer wieder historisches Filmmaterial mit vergleichbaren Szenerien in die Plausibilisierungsszenen der Zombie-Apokalypse hineinschneidet, das ist ästhetisch gut gelungen und zudem anschaulich. Wie aus dem Nichts indes entwickelt sich eine solche vermeintliche Erklärszene zu einer Nebenhandlung: Ein Rudel Soldaten flüchtet wild um sich schießend vor Zombies und nur einer kann überleben. Okay, na gut. Dann verbarrikadieren sich Mutter und Sohn in einer Shell-Tankstelle – Zuschauer entdecken hier Relikte ihrer Zivilisation wieder, ach guck, und auf dem Logo der Tanke fehlt das „S“, wie sinnig – vor anstürmenden Zombies, und plötzlich ist der überlebende Soldat aus dem vermeintlichen Rückblick ein Jack In The Box und schließt sich dem Duo nach der Rettung widerwillig an. Ein klares Wow an Drehbuchschreiber Alex Garland.

Der Soldat hätte auch ohne die parallel gezeigte Vorgeschichte auftauchen und seine Geschichte dann einfach erzählen können, das wäre effektvoller gewesen. Denn an sich ist diese Figur Teil eines Pluspunktes von „28 Years Later“, nämlich, dass es eine Außenwelt gibt, von der man auch erfährt. Der Schwede ist nämlich Teil einer Militär-Patrouille, die die Quarantäne überwacht, in die der Rest der Welt Großbritannien zwang. An Land gelangte seine Truppe als Folge eines Unfalls. Die zivilisatorischen Schwänke, die er mit in den Film bringt – „ich kenne eine, die hat auch eine solche Allergie“ –, sind dann wiederum eher so naja.

Wenn wir schon beim eher Guten des Films sind: Ralph Fiennes ist bestens besetzt. Wie er jodbepinselt – woher hat er so viel davon? – durch die Wälder streift und sich abgebrüht der Bedrohung stellt, das beeindruckt. Auch schick ist der Anfang, der noch 28 Jahre vor der Haupthandlung angesetzt ist, mit verängstigten Kindern, die „Teletubbies“ gucken, während die Pandemie ins Haus einbricht und nur eines der Kinder verschont, das ist gut und kompromisslos inszeniert. Wenngleich der Link zur Story 28 Jahre später fehlt – soll der Junge der spätere Vater sein? Zuletzt: So wenig man sich auch mit den Charakteren identifizieren kann – Alfie Williams spielt den Zwölfjährigen überzeugend. Er scheint der einzige zu sein, der neben Herumlaufen und Leiden auch Mimik beherrscht. Ach, und: Die Landschaftsaufnahmen sind schön.

Nun also endet der Film damit, dass sich der Junge einer Gruppe Festland-Nichtinfizierter anschließt, die mit umgedrehten Kreuzen an ihrer weißen Einheitskleidung in grotesk-albernen Choreographien Zombies zerlegt. Na, und das vom Alpha gejagte Baby auf der Insel dürfte noch eine Rolle spielen. Den zweiten Teil „28 Years Later: The Bone Temple“ gibt es bereits, von Boyle indes lediglich produziert, Regie führte die New Yorkerin Nia DaCosta. Einen dritten Teil verspricht Boyle nur dann, wenn sich die Heimkino-Zweitverwertung von „28 Years Later“ als rentabel erweist. Vielleicht dauert das ja weitere 28 Jahre, und dann sind der Bengel und das Baby-Mädchen ein Paar, mal so als Prognose. Ob man sich das alles dann noch angucken will, ist die andere Frage. Boyle bestätigt sich einmal mehr als Glücksregisseur: Dreht er gute Filme, sind die sehr gut, doch nicht alle seine Filme sind gut, und dann sind sie nicht einfach nur nicht gut, sondern Scheiße.