Von Matthias Bosenick (08.05.2023)
Und plötzlich sind sie wieder da. Elf Jahre nach dem letzten Studioalbum klingt „Kind Hearts Have A Run Run“, als wären 22 Pistepirkko – jetzt mit Bindestrich, also 22-Pistepirkko – nie weg gewesen, als gäbe es gar keine Lücke in der Discographie, als wären gar keine Zeit vergangen. Das Trio aus Finnland setzt einfach da an, wo man es erwartet, erhofft gar, bei fluffigem Indierock, mal filigran geklimpert, mal elektronisch verfettet, mal ungestüm, mal introvertiert, immer mit der fast weiblich klingenden hohen Stimme von Hannu Keränen alias P.K., in die man sich so verliebt hat, weil sie einzigartig und ausdrucksstark ist, egal, welche Musik dahinter liegt. Das Album ist oberflächlich unspektakulär, die Verzerrer haben hier nämlich weitgehend Atempause, aber die Details sind wunderschön. Darauf wartet man gern eine Dekade lang.
Unspektakulär ist natürlich Quatsch, man muss das Album eben lauter hören, der Details wegen. „Heatseeker“ ist so ein Beispiel, es beginnt mit elektronischem Synthiepluckern und gewispertem Text, bis es abrupt ausbricht und in eine Art clubbigen Trip-Hop-Beat mit dezidiert eingerammten Riffs übergeht, bis ein Chor zur Akustikklampfe weitermacht. Alles in nur einem Song, der zudem gar nichts mit AC/DC zu tun hat. Ansonsten steht das Behutsame sehr im Vordergrund, auch wenn hier und da mal die Gitarren hart angeschlagen werden, 22 Pistepirkko brechen einfach mit allem, Erwartungen und Regeln, ihr Indie-Rock ist keiner und wiederum auch nichts anderes als das.
Spätestens das Titellied knüpft da an alte Zeiten an, da dringt der Garage Rock der EP „Ou Wee!“ aus dem Jahr 1986 wieder durch, die Instrumente bekommen einen Fuzz draufgeschaufelt, und anschließend überhöhen die drei das gutgelaunt georgelte Drama mit dem kaum zwei Minuten langen „Yes/No“ in höchste Höhen. Es geht, aber nur kurz, dann übernimmt wieder das Filigrane, das das Trio kurz darauf doch wieder kraftvoll durchbricht. Synthiebeats wie aus den Achtzigern gehören schon was länger zum 22PP-Sound, der Kontrabass dazu im „Boomerang“ bildet einen vortrefflichen Kontrast. Und so eine Trompete im Rauswerfer „Painted Smile“ gewährt dem Spaghettiwestern Einlass, nur dass hier ein Cello die Grundlage bildet. Ein wilder Mix also, und definitiv alles andere als unspektakulär.
Nun ist von der Vergangenheit als Finnlands schnellster Ramones-Coverband selbst beim Debüt „Piano, Rumppu ja Kukka“ aus dem Jahr 1984 kaum noch etwas zu hören, da fand das seitdem unumbesetzte Trio schnell einen eigenen Sound, der versponnen, experimentell und trotzdem eingängig ist, entwickelte den weiter, fügte spätestens nach dem Remix-Album „Zipcode“ 1996 elektronische Elemente hinzu, verfiel immer wieder in Sixties-Garage-Ausflüge und reifte und reifte und reifte. Als wäre nix gewesen, knüpft „Kind Hearts Have A Run Run“ direkt bei „Lime Green Delorean“ aus dem Jahr 2011 an. So ganz abwesend waren die drei Musiker indes nicht, die Brüder Hannu und Asko Keränen versuchten sich an Solo-Alben und Nebenprojekten (Asko: Kati & Asko, Antero Priha & Asko Keränen, Ylva, You/Me; Hannu: PK Keränen & Leija Lautamaja, Solo-Album „Serobi Songs“), Schlagzeuger Esa Haverinen war neben vielen anderen Zusammenarbeiten am Projekt Kati & Asko ebenfalls beteiligt.
Schade nur, dass es „Kind Hearts Have A Run Run“ als CD außerhalb Skandinaviens nicht so einfach zu erwerben gibt. Und das, obwohl „Eleven“ 1998 mit dem Hit „Onion Soup“ in ganz Europa für so viel Aufmerksamkeit sorgte, dass 22 Pistepirkko für den in Deutschland produzierten Film „Downhill City“ mit Franka Potente und von Hanu Salonen nur ein Jahr später den Soundtrack erstellen durften. Alsbald erkaltete die internationale Aufmerksamkeit jedoch und 22 Pistepirkko – der Marienkäfer mit 22 Punkten – musiziert unter dem Radar für eine treue Gemeinde weiter. Und wäre der Facebook-Algorithmus fairer, hätte man auch bereits zum Zeitpunkt des Erscheinens von diesem Album erfahren, und nicht erst anderthalb Jahre später. Verschwiegen sein soll „Kind Hearts Have A Run Run“ jedoch auf gar keinen Fall!