Von Matthias Bosenick (11.10.2014)
Gute Idee, gut umgesetzt: Musiker Nick Cave spielt in diesem Film einen Musiker namens Nick Cave, der am zwanzigtausendsten Tag seines Lebens auf jenes zurückblickt. In diesen Rückblick fließen sicherlich unzählige reale Begebenheiten und Ansichten des echten Musikers Nick Cave ein, doch sollte man sich bestimmt davor hüten, sämtliches Gezeigtes als real abzuspeichern. Positiv an diesem Film ist nicht nur der Charakter der Figur Nick Cave, die sich nicht mehr auf der Suche befindet, sondern von ihren Funden berichtet. Die Musik des echten Nick Cave untermalt einen Film, der zusätzlich auch noch dem Auge gefällt.
Grob unterteilten Forsyth und Pollard den Film in zwei Abschnitte: Zunächst spricht Cave mit seinem Psychiater über seine Kindheit und Jugend, in der zweiten Hälfte erläutert er den Mitarbeitern des Nick-Cave-Archivs Fotografien aus seiner Zeit als Künstler. Es ist eine angenehme Abwechslung, mit Nick Cave einer Figur im Kino zu folgen, die sich nicht, wie viele andere zurzeit, auf der Suche befindet, wonach auch immer, dem Sinn des Lebens zumeist, sondern die diese Suche bereits hinter sich hat und nun ihre Erkenntnisse teilt. Cave tut dies nicht mit erhobenem Zeigefinger oder absolutistisch, sondern auf eine Weise, die den Vergleich des Betrachters mit dem eigenen Leben anregt. Der sachliche Philosoph Cave stößt damit zum Nachdenken an, und das über weite Themenfelder: Welchen Einfluss hat mein Vater auf mein Tun? Wie gehe ich mit Lampenfieber um? Wie kanalisiere ich Kreativität? Welchen Wert haben Familie, Freunde und Mitmusiker? Was ist Zufriedenheit? Was ist Wahrheit?
Zwischen die beiden Haupt-Passagen sind alltägliche Aktivitäten geschnitten, Cave besucht Warren Ellis und bekommt Aal vorgesetzt, Cave spricht in seinem Jaguar mit seinen Beifahrern, darunter Blixa Bargeld, der gewohnt schroff seinen Ausstieg bei den Bad Seeds erklärt, und Kylie Minogue, die galant ihre Erlebnisse mit dem einzigen Cave-Hit „Where The Wild Roses Grow“ resümiert, Cave erwacht im Bett neben seiner Frau Susie und öffnet die Fensterläden, womit er fast das Cover des jüngsten Albums „Push The Sky Away“ nachstellt, nur ohne dass man Susie nackt sieht, Cave guckt mit seinen Söhnen Fernsehen, und Cave performt im Proberaum und auf Bühnen seine Songs mit der aktuellen Besetzung der Bad Seeds. Der Musiker Nick Cave zeichnet als Schauspieler einen grundsympathischen, souveränen und reflektierten Musiker Nick Cave, dem man gerne zuhört und zusieht.
Ein Wort zieht sich wie ein Hauptthema durch den Film: Transformation. Cave nennt es immer wieder, besonders in Bezug auf den Moment, wenn er auf die Bühne geht, zum Künstler Nick Cave wird, zur Kunstfigur gar. Nicht zuletzt dieser Aspekt legt nahe, dass es sich auch bei dem im Film gezeigten Nick Cave nicht zwangsläufig um Nick Cave handelt. Lediglich bei den Sequenzen, wenn die Musiker miteinander reden, spürt man ungezwungene Realität: Dann scherzen die Männer herum und offenbaren ihren spontanen Humor. Erstaunlicherweise nimmt man es dem Film aber nicht krumm, dass man ihm das Unnatürliche anmerkt; das liegt an Caves Schauspielkunst und an den transportierten Inhalten.
Doch auch formal ist der Film sehenswert, im Wortsinne. Mit einer unkonventionellen Bildgestaltung und Schnittfolge fesseln Forsyth und Pollard den Betrachter. Dazu integrieren sie teilweise kontrastreiche Requisiten, etwa in Sachen Technik, wenn Cave auf einer uralten Schreibmaschine seine Texte verfasst oder sein Anrufbeantworter die eingehenden Gespräche auf einer alten Audiokassette aufzeichnet. Und die Musik ist ohnehin unantastbar. Einzig fragwürdig ist, ob sämtliche Szenen tatsächlich mit einem latent dröhnenden Score unterlegt sein müssen; womöglich trägt dies dem Umstand Rechnung, den Film formal von einer puren Dokumentation in Richtung Autorenkino zu unterscheiden – und außerdem handelt es sich um eine Geschichte über einen Musiker.
Aufhänger für den Film war die Arbeit an „Push The Sky Away“, dessen Titel auch formal Eingang in den Film findet, indem die Regisseure den dräuenden Himmel über Caves Wahlheimat Brighton zeigen und ihn über sein Wettertagebuch sprechen lassen, mithilfe dessen er sich mit dem bedrückenden englischen Klima auseinandersetzte. Das Ergebnis ist ein Film voller toller Ideen mit einer charakterstarken Hauptfigur, der auch dann funktioniert, wenn man mit Nick Cave And The Bad Seeds sonst nichts zu tun hat. Und das ist eine Leistung.