00 Schneider – Im Wendekreis der Eidechse – Helge Schneider – D 2013

Von Matthias Bosenick (14.10.2013)

So gut war Helge Schneider als Filmemacher noch nie. Klar, an „Texas“ als Ersttat dieser Art kratzt kein neuerer Film von ihm, aber „Im Wendekreis der Eidechse“ ist einfach viel stimmiger als alle auf „Texas“ folgenden Filme. Die Ideendichte ist ähnlich hoch wie bei „Texas“, die filmische Technik und die Stringenz des Drehbuchs fördern aber den Filmgenuss um Längen mehr als „Jagd auf Nihil Baxter“ oder „Praxis Doktor Hasenbein“. Die Eidechse überflügelt gar den „Jazzclub“.

Dieser Film punktet in unzählbar vielen Aspekten. Filmtechnisch ist er so dicht am Kino wie „Jazzclub“, weil nicht einfach nur wie nebenbei mit der Hand gedreht. Man hat als Zuschauer nicht mehr den Gedanken: Das hätte ich auch so hinbekommen. Hätte man auch inhaltlich nicht. Zwar ist die Handlung dünn – ein Krimineller stiehlt eine Schachtel Zigaretten und ein Huhn und wird von der Polizei gesucht –, aber das Drehbuch verknotet dieses Mal die absurden Seitenarme miteinander und greift einzelne Gags im Verlauf des Films ein zweites Mal auf. Dieser Kniff macht selbst den abstrusesten Einfall schlüssig und den Film dadurch nicht so beliebig. Weniger improvisiert wirkt er deshalb nicht, aber Schneider fängt seine Improvisationen besser auf. Auch die Ausstattung hätte sich ein Privatfilmer nicht leisten können: Uralte Autos und sonstige überkommene Technik (Wählscheibentelefone!) bestimmen das Bild.

Diese veraltete Ästhetik ist der direkteste Link zu Schneiders Intention: „Im Wendekreis der Eidechse“ greift den Stil typischer Polizei-Filme der 60er und 70er Jahre auf. Schneiders Figur Roy Schneider trägt die Analogie bereits im Namen, aber auch am Leib, in Form eines Trenchcoats und einer Sonnebrille. Die Ermittler sind zumeist aus der Perspektive der Sohlen ihrer Schuhe zu sehen, die sie auf Schreibtischen ablegen, natürlich mit den Beinen drin. Alle rauchen permanent, außer dem Kommissar. Die Jazzmusik, natürlich von Helge und seiner Band eingespielt und zum Teil auf dem Album „Sommer, Sonne, Kaktus“ zu hören, unterstreicht den Eindruck. Selbst die Bewegungen der Polizisten wirken übertrieben und erinnern stark an alte Filme. Als Schauspieler verpflichtete Schneider zumeist seine Mitmusiker. Deshalb tragen sie auch als Ermittler die Polizeiuniformen ihrer Heimatländer und keine deutschen und sprechen ihre Heimatsprachen, also Italienisch und Englisch. Wobei der Ort des Geschehens nicht ganz klar ist. Schneider fährt mit einem Fantomas-Citroën mit uraltem Mülheimer Kennzeichen durch das Ruhrgebiet, das allerdings direkt am andalusischen Meer liegt.

Zur Handlung: Roy Schneider ermittelt gegen einen französischen Ausbrecher namens Jean-Claude Pillemann alias „Die Eidechse“. Dieser Verbrecher hat die Eigenschaft, ein Sekret abzusondern und damit seine Opfer zu lähmen. Auf diese Weise stiehlt er in einem Kiosk eine Schachtel Zigaretten und von einem Bauernhof ein Huhn. Schneider stellt ihm eine Falle. Bis dahin schreibt er seine Memoiren, fängt einen Sittenstrolch (und schreckt dabei nicht vor überzogener Gewalt zurück), lässt sich von einem Trickbetrüger als Tante Tyree aus America ausnehmen und erlebt Skurrilitäten beim Kuchenessen, beim Zahnarzt oder bei einem Psychologen. Großes Kino, ehrlich mal: Schneider erfindet Situationen, die man nur unter Schnappatmung verfolgen kann.

Einige Ideen greift Schneider aus älteren Filmen auf, wandelt sie aber dankbarerweise ab, etwa das Erdbeben aus „Texas“ („Um diese Uhrzeit?“), den Kugelsessel aus „Jagd auf Nihil Baxter“ oder das Gehirn-Modell aus „Jazzclub“. Die Darsteller agieren so hölzern und übertrieben wie in den alten Filmen, sogar Vollprofi Rocko Schamoni als Eidechse passt sich dem an. Es gibt mehrere Wiedersehen mit Peter Thoms, meistens als Frau. Schneider tanzt, wie er es auch auf der Bühne inzwischen ausgiebig tut, und man sieht dem agilen Mann seine 58 Jahre nicht an. Ohnehin ist er die coolste Sau des Planeten.

Man möchte den Film sofort zweimal sehen, mindestens. Doch für Einwohner der Region Braunschweig bedeutet selbst das erste Mal einen Aufwand: Lediglich im straßenbaulich vom Rest der Welt abgetrennten Cineplex in Goslar läuft „Im Wendekreis der Eidechse“. Seltsam, für den womöglich besten deutschen Film des Jahres.

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