Sun Ra And His Arkestra – To Those Of Earth… And Other Worlds – Strut/!K7 2015

Von Matthias Bosenick (11.01.2016)

Ab ins Weltall, sagt Sun Ra. Den Soundtrack dazu lieferte der Mann fast 50 Jahre lang, bis er 1993 verstarb. Seine Musik ist grob im Jazz zu verankern, und an dieser Stelle steigen ohnehin schon viele aus. Nun ist Jazz ja nie gleich Jazz und zeigte sich Sun Ra experimentierfreudig und eskapistisch. Das ergibt eine sehr freie Auffassung von Musik, die vermutlich zu Entstehungszeiten für deutlich mehr Furore und Verunsicherung gesorgt haben mag als heute in der Rückschau. Man hat sich an seltsame musikalische Strukturen gewöhnt, wenn man sich an John Coltrane, Miles Davis und andere Vertreter des Free Jazz herangewagt hat. Für Leute, die sich für jene begeistern können, ist die Musik von Sun Ra bestimmt nicht fremd und die neue Compilation „To Those Of Earth… And Other Worlds“ ein interessanter Einblick in das Oeuvre des Spacejazzers. Alle anderen… Bleiben eben auf der Erde.

So richtig spacig, wie man sich spacige Musik vorstellt, ist die von Sun Ra – zumindest auf dieser Sammlung – gar nicht mal. Erst das siebte („Adventure-Equation“ von 1967) von 34 Stücken (auf zwei CDs; die Doppel-LP bietet nur 16 Tracks) driftet mit Hall und Echo und blubbernden Percussions in ferne Sphären ab. Auch ein Sun Ra fing wohl relativ gemäßigt an. Sein „Dreaming“ von 1955 (damals noch als The Cosmic Rays) etwa fügt sich gut in die Schmalzschlager jener Zeit ein; wer da Ironie heraushört, tut dies vermutlich mit dem Wissen um das, was Sun Ra danach gemacht hat. Denn schon ein Jahr später nannte er sein Debütalbum „Jazz By Sun Ra“ und gab damit die Richtung an (später hieß das Album „Sun Song“, das Titelstück ist hier enthalten).

Wer, wie der Rezensent, mit Sun Ra bis dato nur indirekt zu tun hatte (Yo La Tengo coverten sein „Nuclear War“, das nicht auf „To Those Of Earth“ zu finden ist), freut sich über diesen üppigen Einblick. Mit dem offenen Ohr für experimentellen und freien Jazz taucht man gerne ab in das, was einem diese Sammlung kredenzt. Einiges ist beinahe klassisch Free Jazz, und das ist gut so, denn mit irgendetwas musste diese musikalische Revolution in den Fünfzigern ja starten. Bass, Schlagzeug, Saxophon, Stimme, aber anders arrangiert als bis dato üblich, nämlich vertrackter und herausfordernder, dazu knackig produziert, mit stellenweise abenteuerlich übersteuert klingendem Schlagzeug etwa, großartig, so legte Sun Ra los. Spannende atonale Chorsätze folgten, melodische Wettstreite zwischen Piano und Saxophon, wildes Percussion-Geklöppel, fordernde Bass-Grooves, mitreißendes Orgelgedudel, umeinander kreisende Glockenspiele und Klarinetten.

Auch besann er sich bald seiner afrikanischen Wurzeln und arbeitete diese in seine Musik ein; „Blackman“, „Children Of The Sun“ und „The World Of Africa“ etwa zeugen auf dieser Sammlung davon. Und natürlich seine angebliche Herkunft vom Saturn. Und aus Ägypten. Oder beides. Auf ersteres legt diese Compilation auch einen Schwerpunkt: „Planet“, „Space“, „Sun“, „Moon“, „Galaxies“, „Astro“, „Cosmos“, „Jupiter“, aber lustigerweise keinmal „Saturn“, sind die bestimmenden Wörter in den hier ausgewählten Titeln.

Damit auch Allessammler, die es gar nicht geben kann, weil Sun Ra wohl weit über 100 Alben veröffentlichte, und dies oftmals in verschwindend geringer Auflage auf Kleinstlabels, sind unter den 34 Tracks hier zwei bisher nicht auf CD erhältliche sowie vier bis dato komplett unveröffentlichte Liveaufnahmen untergebracht. Sun Ras ohnehin nur spärlich bestückte Zeit nach 1983 ist, bis auf einen Livetrack, komplett ausgespart. Offenbar wurde seine Musik ab da auch gewöhnlicher – ungewöhnlich für jemand so experimentierfreudiges. Außerdem ignoriert die Sammlung die Nomenklatur der Inkarnationen: Sun Ra And His Arkestra hießen oft auch mal völlig anders; die Namen sind hier akribisch aufgeführt, firmieren aber letztlich unter dem Rubrum Sun Ra And His Arkestra. Das vereinfacht den Einblick. Immerhin machte man sich die Mühe, im Booklet den Quellen gegenüber ausführlich zu sein. Sowohl Aufnahmejahr als auch Titel der ersten Veröffentlichung sind vermerkt, ebenso die Mitmusiker, teilweise lediglich als vermutet, weil die Quellen das nicht genauer hergeben. Da hat sich der Radio-DJ Gilles Peterson als Auftraggeber alle erforderliche Mühe gegeben. Respekt!

Wer sich also im Free Jazz wohlfühlt und mal einen Blick auf Sun Ras Werk werfen will, ohne sich gleich ins unergründliche Getümmel der Alben zu stürzen, ist mit dieser Compilation bestens bedient. Und wer noch gar nichts mit Free Jazz am Hut hat, darf auch ruhig mal ein Ohr riskieren. Der Weg ist nicht weit. „Angels And Demons At Play“ etwa ist ein Titel von Sun Ra, 1960 veröffentlicht, aber auch etwas abgewandelt, „Angels And Daemons At Play“ nämlich, eine EP-Compilation von Motorpsycho, 1997. Nicht nur dort schlägt sich Sun Ras Einfluss nieder. Also, nur Mut, es lohnt sich! Oder, um es mit Piefke & Pafke und die Jungs aus der Dunkelkammer und dem Epilog aus deren „Auf in die Galaxien“ zu sagen (die damit aber etwas ganz anderes meinten): „Der Trip ins All hat sich gelohnt, wir leben ja nicht mehr hinterm Mond.“