Spiritualized ® – Everything Was Beautiful – Fat Possum/Bella Union 2022

Von Matthias Bosenick (25.07.2022)

Ab ins All mit Spiritualized! Der Treibstoff dafür ist wie ehedem synthetisch und der Soundtrack einmal mehr wundervoll psychedelisch. Mit dem neunten Studioalbum „Everything Was Beautiful“ setzt Jason Pierce aus Rugby nicht nur seinen in jeder Hinsicht dichten, dazu epischen, repetetiven, gospelartigen, chilligen, noisigen, warmen Drogenrock fort, sondern auch noch zwei Ankerpunkte zu früheren Alben: Der Titel bildet die erste Hälfte des Kurt-Vonnegut-Zitats, das das Vorgängeralbum „And Nothing Hurt“ (2018) vervollständigt – Zeitparadoxien sind möglich –, und das Cover erinnert an die Pillenpackung des Erfolgsalbums „Ladies And Gentlemen We Are Floating In Space“ (1997). Und das sind wir in der Tat immer noch.

Britische Drogenmusik ohne Beatleseinfluss gibt’s nicht. In Harmonien und Rhythmen schimmern die Liverpooler hier stets durch, und Pierce verfeinert die erprobte Rezeptur auf seine Weise. Die sieht mehr Noise vor, den er zwischen die hübsch anzuhörenden gitarrenlastigen Popsongs schiebt. Er lässt Stimmen umeinanderschwirren, durchsetzt mit fröhlich trötenden Blasinstrumenten. Er übernimmt den von der Class of 2005 totgerittenen boogieartigen Britpoprhythmus und lässt auf ihm die Walküren in den Orbit reiten. Und wenn er sich verausgabt hat, tanzt er schwerfällig zu Flöten, Saxophon und (echten!) Streichern auf einer verdunkelten Blumenwiese oder schwelgt mit einem cheesy Chor in seligen Retrozeiten. Im Countryrhythmus, wenn es sein muss.

Retro ist heute überhaupt so gut wie alles an der Musik von Spiritualized, jedoch in einem Maße, das 1990 noch zukunftsweisend war, als Pierce, von den Spacemen 3 kommend, dieses neue Projekt aus der Taufe hob und aus den genannten Ingredienzien ebenjenes musikalische Konvolut erschuf, das es in dieser Art vor 30 Jahren noch nicht gegeben hatte. Verdientermaßen erhielt er 1997 die entsprechende Aufmerksamkeit: Das war bombastisch gut, was er da in die Pillenpackung presste. Fortan variierte Pierce die Zutaten, schob und drückte hier und dort an den Reglern, ergänzte und verschlankte die Zutatenliste und landete zuletzt dann doch wieder bei dem Sound, in dem auch er selbst sich am besten fallen lassen konnte. Und den er nun auf „Everything Was Beautiful“ fortsetzt, was heute indes eben zwangsläufig nicht mehr innovativ klingt, dafür aber nach wie vor geil.

Einmal mehr gilt ein Album von Spiritualized eigentlich als Soloalbum vom Jason Pierce alias J. Spaceman, der hier laut Info 16 Instrumente selbst spielte; dieses Album zudem auch noch als nachgeschobener Vorläufer zu dem als Doppelalbum geplanten „Everything Was Beautiful And Nothing Hurt“, der berühmten Zeile aus dem 1969 erschienenen Roman „Slaughterhouse-Five“ („Schlachthof 5“) von Kurt Vonnegut, die auch Leute wie Moby und Breakfast With Amy als Titel für ihre Alben verwendeten. Und doch sind hier mit allem Drum und Dran mehr Leute involviert, als in eine herkömmliche Band passen. Zudem lud Pierce Singer-Songwriterin Nikki Lane in eines der gut ein Dutzend Studios, in denen er dieses Album zusammenbaute. Nicht zuletzt schart er seit 20 Jahren eine relativ stabile Band um sich, die indes wohl lediglich aus Erfüllungsgehilfen besteht.

Ja, „Everything Was Beaufiful“ ist nicht innovativ, nicht brandneu, aber drauf geschissen, das Album ist gut in einer Folge nicht immer ganz so vollständig überzeugender Alben von Spiritualized und hat eine für sich genommen hohe musikalische Qualität. Kurz: Es ist wunderschön. Und es ist eine Rückkehr zur alten Form des progressiven Psychedelikers, der man sich als Fan blind anvertrauen darf. Und das ist doch auch schon mal was.