Pet Shop Boys – Hotspot – X2/Sony 2020

Von Matthias Bosenick (09.03.2020)

Schon längst keine Boys mehr, aber immer noch taufrisch: Auf dem 14. Studioalbum „Hotspot“ finden sich sicherlich keine Radiohits mehr, wie sie die Pet Shop Boys von Mitte der Achtziger bis Mitte der Neunziger weltweit aus dem Ärmel schüttelten, aber das Album ist gleichzeitig auf der Höhe der Zeit (okay, die Gegenwart hat strenggenommen keine musikalische Höhe) und ganz nah am eigenen Post-Achtziger-Synthiepopsound des Duos. Es reiht sich nahtlos ein in den formidablen Soundtrack, den die Pets Shop Boys für so manches Leben stellen. Sie waren schon mal kreativer, sind aber so sehr bei sich, dass man das Album trotzdem gern hört. Clubtunes, Balladen, Popsongs, dazu Siebziger-Disco und der Hochzeitsmarsch: „Hotspot“ bewegt sich in einem vertrauten Rahmen, wenn auch nicht in die Lieblingslisten des Duos. Und keine andere Synthiepopband der Erde war und ist jemals so ernsthaft bei der Sache und gerade deshalb so humorvoll.

Überraschend schnell hat man die meisten Songs von „Hotspot“ so im Blut, dass sie einem wie alte Bekannte erscheinen. Der Opener „Will-O-The-Wisp“ irrlichtert nicht, sondern zerrt den Hörer gleich auf die imaginäre Tanzfläche. Und während man sich zu der einnehmenden Melodie und dem Wumms der Beats in Trance tanzt, bremsen einen die Pet Shop Boys gleich mit dem nächsten Song „You Are The One“ aus: Eine typische Popballade des Duos, wie es sie seit Anbeginn mit Vorliebe, Leidenschaft und überzeugend auf den Alben unterbringt, teilweise damit sogar in die Charts geriet. Das muss man sich schon trauen, nach den zwei tanzorientierten Alben „Electric“ und „Super“, zu denen „Hotspot“ mit Ansage den Abschluss einer Trilogie darstellt, weil alle drei von Stuart Price produziert sind.

Diesen Wechsel halten die Pet Shop Boys nahezu das gesamte Album über bei, und selbst, wenn ein Intro mal ein erhöhtes Tempo vermuten lässt, bleibt der Song dazu bisweilen balladesk. Die tanzbare Hälfte wiederum erfüllt die Anforderungen ans Floorfillen, nicht zuletzt das Discostück „Monkey Business“, das mit Years & Years aufgenommene „Dreamland“ und der onkelige Verweigerungstrack „I Don’t Wanna“. Zum Abschluss krawummen die Boys mit dem etwas müden Wortspiel „Wedding In Berlin“ in die Kirche, als designierter Hochzeitstrack für alle Paare, welcher sexuellen Ausrichtung auch immer, und zitieren darin sogar den „Hochzeitsmarsch“ von Felix Mendelssohn. Das Stück ist stumpf und plump – und leider ein Ohrwurm.

Eine gewisse Ambivalenz trägt das Album also trotz aller Qualitäten in sich: So richtig zündet nämlich trotzdem nicht jeder Song, die Reihenfolge mit dem Schnell-Langsam-Wechsel wirkt zudem etwas erzwungen und dadurch beinahe willkürlich, ein Spannungsbogen ergibt sich nicht. Auch hatten die Boys schon mal durchgehend bessere Songs – und Sounds: In den Achtzigern variierte Chris Lowe die Anmutung seiner Beats und Samples, heute verlässt er sich zu sehr auf den tanzbaren Clubsound seiner Kickdrum. Cheesy indes waren seine Keyboardsounds schon immer mal, man erinnere sich nur an die Fanfaren in „It’s A Sin“.

Auch schon immer war das Duo ernsthaft: Man höre sich nur das Debüt „Please“ in Ruhe durch und staune, mit welchem Nachdruck Neil Tennant schon damals seine Texte intonierte; nebenbei scheint seine Stimme auf „Hotspot“ fast gar nicht gealtert zu sein. Auch visuell strahlen die Pet Shop Boys Seriosität aus; den Humor lassen sie zwischen den Zeilen durchschimmern, so auch auf „Hotspot“. Muss man nur wissen und sich nicht davon blenden lassen, dass es so gut wie keine Promofotos des Duos gibt, auf denen auch nur einer von beiden lächelt.

Berlin ist überdies zentraler Ort des Albums, nicht nur, weil das Duo es in den Hansa-Studios aufnahm, sondern auch, weil die Londoner Tennant und Lowe inzwischen sehr viel Zeit in dieser Stadt verbringen. Für Leute, die nicht auf Trends stehen und denen Berlin allgemein und das Berghain besonders scheißegal sind, weil sie einen viel weiteren Horizont haben, ist dies aber nicht von Relevanz, auch wenn auf „Hotspot“ gesampelte U-Bahn-Ansagen zu hören sind. Es ist ein Pet-Shop-Boys-Album, das zählt.

Weniger heraus hört man indes Stuart Price, der hier zum dritten Mal in Folge produzierte. Gibt man sich man „Electric“, „Super“ und „Hotspot“ in Folge, scheint es jedoch, als hätte ihm das Duo über die Zeit den Saft abgedreht. „Electric“ ist ein formidables Electro-Tanz-Album, das sogar weitgehend auf die handelsüblichen Songstrukturen verzichtet und die Lieder in den Dienst des Clubs stellt, ohne an Pop einzubüßen. „Super“ klingt wie der Versuch einer verjüngten Wiederholung dieses Konzeptes, scheitert aber an partieller Belanglosigkeit, und „Hotspot“ rüttelt an der durchgehenden Tanzbarkeit und erinnert strukturell noch am ehesten an „Behaviour“, nur ohne die Grandezza in der Komposition.

Nicht nur Olly Alexander von Years & Years ist hier übrigens als Gast vertreten, sondern auch Bernard Butler, der ansonsten bei Suede Gitarre spielt und hier etwas untergeht. Der frühere Gastgitarrist Johnny Marr fügte sich da erheblich besser in den Synthiesound der Pet Shop Boys ein, aber was Wunder, waren ja auch The Smiths stets besser als Suede jemals. Zu „Monkey Business“ steuert zudem Keely Hawkes Backgroundgesang bei, die Schwester von Chesney Hawkes – Herangewachsene erinnern sich vielleicht mit Grusel an „The One And Only“. Ansonsten ist „Hotspot“ gastfrei. Beibehalten hat das Duo überdies die Tradition der Einworttitel.

Und jetzt die große Frage an die Sammler: Lieber die „Special Edition“ mit der Instrumental-Version des Albums als Bonus oder die Japan-Edition mit zwei zusätzlichen Remixen kaufen? Die „Agenda EP“ aus dem Jahr 2019 ist übrigens gar nicht auf „Hotspot“ vertreten.