Once Upon A Time … In Hollywood – Quentin Tarantino – USA 2019

Von Matthias Bosenick (21.08.2019)

Da verwirklicht sich der Meisterregisseur Quentin Tarantino einen Jugendtraum und dreht einen mordscoolen Film über die Zeit, aus der die Filme stammen, die ihn als Heranwachsenden beeinflussten. Gleichzeitig nutzt er diese Hommage dazu, den Hippiealptraum schlechthin märchenhaft und blutig umzudeuten. Wer nicht dieselbe Sozialisation wie Tarantino erfuhr und die zwei wechselhaften Stunden bis zum Höhepunkt einigermaßen durchgehalten hat, weiß dann, wofür sich der Film lohnt. Es ist schwierig, „Once Upon A Time … In Hollywood“ als durchweg gelungen zu empfinden, aber ausgesprochen einfach, die grandiosen Aspekte zu feiern.

Hollywood 1969, das bedeutet Hippies als neue Strömung und die endgültige Abkehr vom Kintopp der Fünfziger. In jener Epoche war Rick Dalton (hochgradig grandios: Leonardo DiCaprio) ein beliebter Westernseriendarsteller, dessen Stern nunmehr im Sinken ist, was ihn trotz und gerade wegen eines Angebots, in Italien Spaghettiwestern zu drehen, depressiv macht. Sein bester Freund, Stuntdouble und Mädchen für alles Cliff Booth (tarantinoesk cool: Brad Pitt), steht ihm zur Seite und cruist in seiner Freizeit mit seinem Auto durch Los Angeles. Auf einer dieser Touren bringt er ein Hippiemädchen zu dessen Kommune, die in der früheren Spahn Movie Ranch untergebracht ist und wo Cliff erste Erfahrungen mit der sich physisch bemerkbar machenden Dickköpfigkeit der vermeintlichen Blumenkinder machen muss. In Cliffs Nachbarhaus zieht derweil der polnische Starregisseur Roman Polanski mit seiner schwangeren Freundin Sharon Tate ein, nicht wissend, dass die Vormieter eine Rechnung mit den Hippes aus der Spahn Ranch offen haben, was sie zum Ziel der Kommune macht.

Die Geschichte ist schneller nacherzählt, als der Film dauert. Ohne Kenntnis der ganzen Anspielungen, die Tarantino unterbringt, geht möglicherweise der Spaß verloren – man schleppt sich bisweilen durch die Kulissen, wundert sich gelegentlich, dass Langeweile derart stressen kann, und wartet den Verlauf der dünnen Handlung ab. Die allerdings mit grandiosen Szenen gespickt ist, über die man sich mehr als freut.

Als da wären: Tarantino dreht Fünfzigerwesternszenen nach, allerdings in seinem Stil, also wenig authentisch, dafür schön. Die Sequenz auf der Spahn Ranch gestaltet er trotz brennender Sonne wie einen Horrorfilm, die unterschwellige Bedrohung wird auch dann klar, wenn man nicht weiß, wer sich dort eingenistet hat. Er lässt DiCaprio über Pitt sagen, „er gleicht mir wie ein Ei dem anderen“, und setzt damit zwei Anwärter für den Titel des größten Frauenschwarms der Neunziger gemeinsam auf diesen Thron. Die Szenen vom Dreh eines Westerns sind doppelt spannend: Die Dialoge zwischen den Figuren strahlen eine immense Bedrohung aus und es ist ungewiss, ob Rick seine Rolle wirklich im Griff hat. Dafür bekommt er dann rührendes Lob von einer Minderjährigen. Wenn Cliff herumgurkt, ist er einfach nur cool, und dabei moralisch, wenn er Avancen einer Minderjährigen abweist.

Und dergleichen mehr. Auch in diesem Film lässt Tarantino seiner Handschrift freien Lauf: Der Filmmaterialmix gehört dazu, von TV-Serie über 35 Millimeter bis zu Super-8, ebenso eingeblendete Texte, nackte Füße in Großaufnahme und ein Soundtrack, für den er alle 30 Sekunden die Songs wechselt, damit daraus auf jeden Fall eine Doppel-CD wird. Ungewöhnliche Perspektiven, Details, Nahaufnahmen, Schwenks und Fahrten machen Tarantinos Filme ohnehin zu Kunstwerken; das trifft auch hier zu, wenn auch etwas weniger ausgeprägt und bisweilen derart routiniert, dass der Zauber leicht abhanden kommt. Die Riege der Stars und Cameos ist länger als die Credits bei „Herr der Ringe“, jeder will bei Tarantino mitmachen. Selbst darin liegen noch Querverweise: So spielt Damon Herriman nicht nur hier, sondern auch in der Netflix-Serie „Mindhunter“ den Massenmörder Charles Manson, und die Figur von Maya Hawke, bekannt aus „Stranger Things 3“, lässt Tarantino hier überleben, schließlich ist sie die Tochter von Ethan Hawke und seiner Lieblingsschauspielerin Uma Thurman. Was tatsächlich an Tarantino-Traditionen fehlt, ist der Blick aus dem Kofferraum. Und der Titel, der nun zum zweiten Mal nacheinander mehr als nur zwei Wörter hat.

Was wiederum gegeben ist, sind Querverweise, die umfassend zu entschlüsseln vermutlich weit länger dauert als der Film selbst: Tarantino zitiert nebenbei noch den Spaghettiwestern, den Giallo, Martial Arts, TV-Spionageserien, Werbung und vieles mehr und stattet den Film wie ein Suchspiel nach Originaldevotionalien aus den Sechzigern aus, für alle, die diese Zeit bewusst erlebten und sich noch erinnern können. Um alles erfassen zu können, müsste man den Film mehrmals sehen; jedoch: Aufgrund der zwischenzeitlich etwas langatmigen Passagen ist nicht gesagt, dass man das zwingend will; so viele humorvolle Dialoge zum Nacherzählen wie die anderen Filme hat dieser leider auch nicht zu bieten, trotz der grandiosen Rollen, die die beiden Hauptfiguren hier darbieten.

Und dann gibt es da ja noch diesen grandiosen Schluss. Immer wieder feiert Tarantino in diesem Film das blühende Leben der Sharon Tate, deren reales Ableben der Welt einen bis heute nachhallenden Schock versetzte. Der Twist in diesem Film nun erinnert in seiner Schonungslosigkeit an „From Dusk Till Dawn“ und reißt die Stimmung der Stunden davor komplett herum. Er schockt, aber positiv, weil die Stoßrichtung stimmt. Beruhigend ist, dass sich Tarantinio eben nicht schlicht der Manson-Morde annimmt und sie gewohnt blutrünstig nachstellt; er tappt nicht in die Falle, die Geschehnisse zu verklären oder gar zu verherrlichen, sondern gibt ihnen den kleinstmöglichen Raum. Tarantino räumt mit der Geschichte auf, einmal mehr, und lässt das Märchen quasi enden mit „Und wenn sie nicht gestorben sind“.

Ja, doch, der Film ist gut. Aber nicht der beste Tarantino.