Krügerglantzquartett – Keine Verhältnisse – Krügerglantzquartett 2020

Von Matthias Bosenick (07.06.2021)

Das Album zur Pandemie: Verteilt auf mehrere Monate im coronagebeutelten Jahr 2020 entstanden die Tracks zum dritten Album des aus zwei Leuten bestehenden Krügerglantzquartetts. Das Pandemische schlägt sich auch inhaltlich nieder, aber gottlob nicht ausschließlich. Mit der typischen theatergeschulten Art der beiden entstand ein Popalbum ohne Songs, dafür mit sprachlicher Performance, beinahe wie bei einem Hörbuch. Ohne Ohrwürmer geht man trotzdem nicht aus den elf Tracks heraus, und ohne über den hintersinnigen Humor zu lachen sowieso nicht.

Christian Krüger und Peter M. Glantz ertragen die Welt in ihren aberwitzigen Ausprägungen nicht, doch anstatt sich darüber twittermäßig zu entrüsten, machen sie sich darüber lustig. Auf eine kabarettistisch-theatralische Weise, nicht mit Comedy-Schenkelklopfern, transportiert das Duo-Quartett ernste Themen und eine klare Haltung. Insbesondere die Coronazeit brachte bekanntermaßen viele absurde Ideen und menschenverachtende Meinungen hervor, da ist es ausgesprochen erfreulich, mit Krüger und Glantz zwei Musiker auf der Seite der Besonnenen zu wissen, nicht der Bekloppten.

Musikalisch bewegt man sich hier zwar weitgehend im Bereich Pop, wenn man so mag, doch erfüllen die Lieder keine Popstrukturen. Die Musik ist in ihrer Basis synthetisch erzeugt und mit diversen Samples versetzt, darunter Wortfetzen und Songs bis zu Instrumenten wie Orgel und Trompete. So ergibt sich ein kühl groovender kraftwerkscher Weißemännersoul mit wechselnden Tempi und Stimmungen, angereichert mit warmen Elementen und der Lust an Wiedererkennbarkeit. Die ergibt sich auch durch Wiederholung, sowohl von Glantz‘ Patterns als auch von Krügers Wortbeiträgen, und damit erzeugen die beiden dann auch ihre Ohrwürmer. Dabei liegt dem Sprechenden – nur seltenen Fällen hebt er zum Singen an – das Theatralische sehr im Blute, ohne zu überagieren: Das Stück „To Go“ etwa schließt mit einem einseitig mitgehörten Telefonat aus der Kantinenschlange heraus – großartig.

Die „Zum Gehen“-Gesellschaft nun also ist eines der Themen, mit denen sich Krüger und Glantz auseinandersetzen. In „Berlin Tapes“ greifen sie die von Kraftklub losgetretene Kritik am bundesdeutschen Kulturzentralismus auf und überdehnen sie, indem Krüger mit der Ignoranz des Emporkömmlings ruft: „Ich geh nicht nach Berlin, ich geh gleich nach Halloween.“ Erfrischende Sprachspiele dieser Art finden sich viele auf dem Album, so erfindet das Duo etwa nebenbei die „Glasfasertapete“. Thematischer Schwerpunkt ist aber die „Seuche“ und der rücksichtslose bis dumme Umgang vieler Zeitgenossen mit ihr. So wird „Hey, was geht?!“ mittendrin ein oberflächlicher Partykracher, der dem Hedonisten reflektiert ein entrüstetes „Hey, geht’s noch?!“ entgegnet.

Die Pandemie hat dabei für das Quartett einen realen Nachteil: Es kann das Album nicht live promoten. Der Vertrieb erfolgt ausschließlich über die bandeigene Webseite audioschau.de, nicht mehr wie noch die beiden Vorgängeralben „Verfassung“ und „Alles in Bestform“ via Bandcamp. Ebenso wie jene beiden besticht „Keine Verhältnisse“ überdies mit einem ästhetisch-grafischen Cover. Und live ist es zudem durchaus möglich, dass das Duo zu einem Quartett anwächst, wenn nicht sogar zu noch größerer Runde. Jérôme, ich muss los!

[Edit 20.06.2021] Peter M. Glantz weist mich darauf hin, dass ich eine Textzeile falsch verstanden habe: Nicht „nach Halloween“, sondern „nach Heroin“ geht das „Ich“ in dem Lied!