Inside Man – Steven Moffat/Paul McGuigan – Netflix/BBC 2022

Von Matthias Bosenick (07.11.2022)

Wer hat sich denn diesen Quatsch ausgedacht? „Von den Machern von ‚Sherlock‘“, aha. Der – zumindest in den Geschichten von Sir Arthur Conyn Doyle – sympathisch-überhebliche Kriminologe findet charakterlich auch in die Serie „Inside Man“ Einlass, und zwar in Form eines Todeszelleninsassen, der hinter Gittern mittels seiner kleinen grauen Zellen Fälle löst. Ein solcher Fall ist der im fernen England, in dem eine Journalistin ihre Freundin vermisst – die von einem völlig desolaten Pastorenehepaar im Keller festgehalten wird, weil das Drehbuch es so vorsieht und jeder rational denkende Mensch permanent komplett anders gehandelt hätte als diese dubiosen Dummbatzen. Trotz schöner Bilder, guter Schauspieler, einiger spannender Figuren und eines tollen Titelsongs von John Grant fällt es schwer, den Unsinn zu ertragen, den die „Macher“ hier zwischen die guten Einfälle quetschten. Das ist Verarschung.

Der Typ im Knast ist noch die interessanteste Figur: Glatzkopf Jefferson Grieff sitzt im Todestrakt, weil er seine Frau erwürgte und zerstückelte. Weil er so ein kluger Kopf ist, konsultieren Leute aus aller Welt den zynischen Angeber, um ihn bei kniffligen Fällen um Rat zu bitten; wie auch immer es dazu überhaupt jemals gekommen sein mag. Ihm zur Seite sitzt der Frauenmörder Dillon, der ein fotografisches Gedächtnis hat und damit quasi Grieffs Protokollant darstellt, und das eigentlich auch nur, damit der Hobbyermittler seine brillanten Erkenntnisse nicht tumb vor sich hin brabbelt, damit der Zuschauer sie nachvollziehen kann, denn eigentlich ist Dillon überflüssig – und nicht mal seine pseudo-schwarzhumorigen Gags zünden. Grieffs Herleitungen sind reichlich ins Blaue geraten, aber in sich so logisch, wie es mysteriöse Fälle seit Agatha Christie und Arthur Conan Doyle eben sind. Klar ahnt so ein Typ vom Knast aus beispielsweise, dass die anonymen Zahlungen, die der ratsuchende Senator erhält, von der Sekretärin der Ehefrau kommen, die ihr Handydisplay auf Lupe stellte und die eigentlich per SMS den Auftrag erhielt, den Therapeuten zu bezahlen, den die Gattin nun nach jedem Koitus braucht, weil sie begreift, dass ihr Mann ein Vergewaltiger ist, und die Sekretärin liest statt „pay therapist“ aufgrund des Zeilenumbruchs nun „pay the rapist“ und überweist das Geld an den Senator. Das ist hanebüchen, aber lustig, deshalb nimmt man es erheitert in Kauf.

Aber dann gibt es ja noch den fucking Priester, wie er sich selbst nennt: Sein aufgrund seiner dominanten Mutter suizidgefährdeter Küster bittet ihn panisch, einen USB-Stick mit Pornos vor der drachenartigen Erzeugerin zu verstecken, und als die Nachhilfelehrerin seines Sohnes daheim Daten von ihrem Laptop teilen will oder so, schnappt sich Sohnemann den versehentlich in der Schlüsselschale gelandeten Stick und reicht ihn ihr zu diesem Behufe. Der Priester ahnt, um welchen Stick es sich dreht, und versucht, zu retten, was zu retten ist, und so geben sie den Stick als den des Sohnes aus, nicht ahnend, dass die Lehrerin bereits sieht, dass es sich um Kinderpornos handelt; warum auch immer sie Dateien auf fremden Laufwerken überhaupt öffnet, damit geht das Hanebüchene ja schon los. Nun will der Pfaffe aber sowohl seinen nun in die Schusslinie geratenen Sohn schützen als auch den beknackten Küster und – naja, irgendwie landet die Lehrerin im Keller, wo der Priester und seine Frau sie nun festhalten und versuchen, irgendwie mordfrei aus der Sache wieder rauszukommen. Vielleicht. Das, Kolleginnen und Kollegen, ist mindestens so bescheuert realitätsfern konstruiert wie der Anfang von „Die Jagd“: Pfaffe Harry hätte Lehrerin Janice einfach nur ins Vertrauen ziehen müssen, spätestens jedoch den USB-Stick vernichten, dann gäbe es keine Beweise für welche Aussage auch immer. Aber nein: Harry und Gattin Mary wirbeln permanent hysterisch zwischen ihren Entscheidungen und Beklopptheiten herum, dass es körperliche Schmerzen bereitet, sich diesen Quatsch anzugucken.

Und dann gibt es noch eine verbindende Ebene: Die junge, leider etwas naiv geratene Investigativ-Journalistin Beth lernt Lehrerin Janice zufällig in der Londoner Subway kennen, als diese einen übergriffigen Arsch mit einem Bluff vor die Cops führt. Ein schöner Racheakt, der auch nicht ganz realitätsnah ist, aber dennoch zur Selbstermächtigung ermutigt. Als Janice nun vom Priester angegriffen wird, versucht sie den Trick nochmal, mit dem Handy Beweise zu sichern, und schickt ein verwackeltes Foto an Beth – die sich damit, na klar, in den USA an den hyperintelligenten Kncki wendet, frisch nachdem er ihr Interviewgesuch abblitzen ließ. Der dann irgendwas von Moral faselt, Beth auf die Probe stellt – er bietet ihr an, bei seiner nächsten Sitzung dabei zu sein und darüber zu berichten, wenn sie die Sache mit Janice unter den Teppich kehrt –, die sich auf seinen unmoralischen Deal tatsächlich einlässt, worauf er sich wiederum einlässt, so viel zur Moral und so. Alles merkwürdig.

Man kann sich glücklich schätzen, dass „Inside Man“ nur vier je einstündige Episoden hat, aber selbst die ziehen sich zum Ende hin enorm. Dabei sind Figuren wie Janice, die ihre Peiniger geschickt gegeneinander ausspielt, Grieffs Helferin, die Beth in der Gegend herumführt, und eben Grieff interessant genug angelegt, um einen richtig guten Plot zu tragen. Den es jedoch nicht gibt. Dennoch überraschen einige Wendungen, die man indes schnell nachvollziehen muss, weil sie so rasch erfolgen, wohingegen des Priedigerpaars elendes Gejammer üppigste Screentime bekommt. Das Drama überwiegt, sogar über die Suspense- und Ermittlungs-Szenen – und auch über den Humor, der hier zwar schwarz sein will, aber vielmehr deplatziert wirkt, sodass er eher abstößt. Etwa, wenn Dillon fragt, wann er endlich hingerichtet wird, damit er sich nicht noch mehr Sums merken muss. Puh.

Auf der Habenseite stehen eben Schauspieler wie Stanley Tucci als Grieff (mit Synchronsprecher Lutz Mackenzie, der ungefähr genauso aussieht) sowie Figuren wie die intelligente, klug strategisch denkende und ambivalente Figur Janice. Ein überheblicher Kriminologe wie Grieff ist Freunden solcher Geschichten überdies nicht so unvertraut, ein Sherlock Holmes und ein Professor Dr. Dr. Dr. van Dusen platzen nur so vor Selbstgerechtigkeit und bieten mit ihren genialen Schlüssen auch allen Grund dazu. Die Idee wiederum, Fälle aus der Ferne zu lösen, erinnert an die Hörspielserie „Das Triumvirat“. Grieff nun hat Privilegien und Netzwerke außerhalb der Gitterstäbe, und mit denen lenkt er Leute und Geschicke; sein virtuelles Schachspiel macht Laune. Man sieht Grieff und Janice gern zu, und zum Sehen ist die Serie ohnehin tauglich, weil sie filmisch einiges zu bieten hat, Perspektiven, Details, Farben, Arrangements, da bekommt man etwas fürs Auge. Beispielsweise die Tryptichons, die Grieff in den Besucherräumen begleiten: drei kleine Fenster in der Tür, drei große Fenster im Raum, drei mittlere Fenster zum Nebenraum, das ist schön durchgängig. Auch wenn sich das aufgrund der Länge alsbald wiederholt. Musik bleibt angenehm selten und wenig aufdringlich eingesetzt; John Grant für das Traditional „God’s Gonna Cut You Down“ und David Arnold überhaupt für den Score zu gewinnen, war jedenfalls ein Glücksgriff.

Mit einem deutlich knapper gehaltenen Drehbuch und einem überzeugenderen Kernfall wäre „Inside Man“ beste Unterhaltung geworden, auch mit den trotzdem verbliebenen Defiziten. Die offenen Fragen bräuchten zudem auch gar nicht beantwortet zu werden: Der Twist um den verschwundenen Kopf von Grieffs Frau und das damit verbundene Geheimnis dürfen gern ein McGuffin bleiben, auch die Sache mit Janice’ Gatten ist einem letztlich eher egal. Hoffentlich kommt nicht doch noch jemand auf die Idee, eine zweite Staffel anzufertigen. „Sherlock“ war ja auch schon nicht so prall (Urteil nach zwei Episoden).