Hardy Crueger – Schlachthaus – Hardy Crueger 2020

Von Matthias Bosenick (27.02.2020)

Wenn schon ein sympathischer Mensch auf solch menschenverachtende Ideen kommen kann, mag man sie sich gar nicht in den Köpfen solcher Leute vorstellen, wie Hardy Crueger sie in seinem neuen Thriller „Schlachthaus“ beschreibt. Um die größenwahnsinnige Motivation von Serienmördern geht es, und Crueger beweist sich als Fachmann sowohl in Täter- als auch in Opferpsychologie. Das Buch ist spannend und abstoßend zugleich, man mag es nicht lesen, aber auch nicht aus der Hand legen. Ein schmerzhafter Parforceritt für die empfindsame und empathische Seele.

Man wundert sich über die Fachkenntnis des Autoren. Crueger berücksichtigt Details, auf die man als Lesender niemals geachtet hätte. Er dichtet seinen Protagonisten eine perfide Umsichtigkeit an, mit Details, von denen man entsetzt hofft, potentielle Nachahmungstäter bekämen diese Lektüre nie zu Gesicht. Man begleitet ein mordslustiges Duo bei der Arbeit und bekommt mit einem gekühlten Blick erzählte physische wie psychische Torturen vorgesetzt. Absolut keine leichte Kost und für Leser, die Crueger für seine zwar gern auch schonungslosen, aber doch zumeist hoffnungsvollen Geschichten liebt, sicherlich ein mittelschwerer Schock.

Das Psychogramm steht vor dem reinen Splatter, das spürt man diesem Buch an und das ist auch genau der fesselnde Aspekt daran, trotz aller schriftstellerischen Freude an der Grausamkeit. Natürlich liegt dem Blutbad ein Unterhaltungswert inne, aber zum Glück zumeist lediglich in kulturell aufgearbeiteter Form, weil man als Teil einer halbwegs funktionierenden Zivilisation in der Regel nicht auf die Idee kommt, seinen Mitmenschen aktiv Schaden zuzufügen (von finanzkräftigen sowie den hier beschriebenen psychisch geschädigten Ausnahmen abgesehen).

Damit beginnt diese Geschichte: Kevin ist als Finanzbeamter von seinem Leben sowie von den blutigen Horrorfilmen und Webseiten gelangweilt, er will echtes Blut sehen und kontaktiert im Darknet einen Serienmörder, der ihn bei einer, wie er es nennt, Opferung mitmachen lassen will. Dieser Predator funktionierte sein abgelegenes Haus zu einem Folterkeller um. Dort wollen die beiden die eigens entführte Melli langsam und natürlich qualvoll abschlachten.

Zunächst erschüttert, wie selbstverständlich Crueger die Vorhaben und die Taten der beiden Killer hier darstellt: Natürlich verwischt man Spuren, natürlich trifft man Sicherheitsvorkehrungen, natürlich tarnt man sein Auto, natürlich vergewaltigt man das Opfer, bevor man den ersten Finger abhackt. Solche schockierenden Elemente erzählt Crueger zwar, aber weidet sich nicht an ihnen; das erleichtert den Ritt durch den Text etwas. Dennoch fügt er seinem Opfer irreparable seelische Schäden zu und beschreibt dabei nachvollziehbar, wie es sich fühlt und mit welchen Methoden es sich von der Aussicht auf baldigen Tod psychologisch zu schützen versucht. Damit erhellt der Autor das Innenleben nicht nur der kaltblütigen Täter, sondern auch der geschundenen Opfer.

Und begeht dabei einen überraschenden Spagat, indem er moralische Bedenken auf beiden Seiten umkehren lässt, und das ebenso nachvollziehbar, wie sie ursprünglich auftreten. Damit dreht er die Geschichte in unvorhersehbare Richtungen und lässt sie doch nicht so geradlinig erscheinen, wie er sie selbst im Vorfeld darstellte.

Zudem kann Crueger bei aller vermeintlicher Einfachheit des Plots nicht aus seiner Haut als grandioser Erzähler heraus. Auch die spärlichen Nebenfiguren bekommen hier Profil, er beweist eine überzeugende Ortskenntnis von Königslutter über Kassel bis hin nach Rotterdam und er ist im Innenleben seiner Figuren zu Hause. Zudem erhöht er mit abgehackten kurzen Satzfragmenten das Erzähltempo an den entscheidenden Stellen und steigert damit eine Spannung, der man sich dann trotz des abstoßenden Blutdurstes bereitwillig hingibt.

So dient Crueger das vordergründige Gemetzel vielmehr als Vehikel für das Psychogramm von selbstermächtigten Serienmördern. Diese verehrt er nicht, er verurteilt sie, ist aber in der Lage, ihre Motivation nachzuvollziehen; Anschauungsmaterial gibt die Geschichte leider ausreichend her, und die studierte Crueger intensiv. Ebenso andere Kulturprodukte wie die zitierten Filme, der er teilweise sogar empfiehlt. Es gibt eben einen erheblichen Unterschied zwischen Vorstellung und Tat, und Crueger verharrt bei ersterem und lehnt letzteres ausdrücklich ab. Damit ist man dann schlussendlich auch wieder versöhnt, nach dieser furchtbaren Lektüre. Die einen noch lang beschäftigt, gerade weil man viel zu viel Einblick in die Beweggründe der Täter bekommt.