Gojira – The Flesh Alive – Rough Trade 2012; Gojira – L’enfant sauvage – Roadrunner 2012

Von Matthias Bosenick (15.07.2012)

Da jubelt das Herz. Man entdeckt eine bereits etablierte Band für sich neu, von der man über Umwege hörte, kauft sich blind eine Live-Doppel-DVD, und sofort, ab dem ersten Ton, ist man mittendrin und hat das Gefühl, das schon immer gewesen zu sein. Die Musik von Gojira ist vertraut, von vorn bis hinten, und man weiß gar nicht, warum es einem so geht, schließlich kann man sie nicht kennen. Gojira ist eine Band aus Frankreich, die Metal macht, und zwar progressiven Death und Thrash Metal. Anders als andere eher schwer zugängliche Vertreter dieser Mischung lassen Gojira Strukturen zu, die sie dem Pop entnehmen, und mischen sie mit ihrer metallenen Vision. Die Rechnung geht aber sowas von auf. Und Joe Duplantier hat aber auch eine geile Stimme. Und überhaupt ist alles an Gojira vertretbar.

„The Flesh Alive“ ist das Live-Dokument zur Tour nach dem mittlerweile vorletzten Studioalbum „The Way Of All Flesh“. Einen guten Eindruck macht, dass die vier Musiker schon verschwitzt sind, noch bevor sie einen Ton spielen. Das sieht nach Arbeit aus. Und die leisten sie in der Folge auch, auf jeder DVD (es sind zwei) mindestens eine Stunde lang. Die Tracklist der zwei dokumentierten Konzerte unterscheidet sich nur marginal, allem liegt eine CD mit einem Zusammenschnitt der Konzerte bei. Beide Gigs überzeugen nicht einfach, sie reißen mit, entwickeln einen Sog, schreien nach mehr, nach Lauterdrehen. Eigentlich kann man kein genaues und einziges Genre benennen, wenn man die Musik von Gojira beschreiben will. Es kommt alles darin vor, was man aus dem Metal kennt: Tapping aus dem Power Metal, Blast Beats aus dem Black Metal, Riffs aus dem Thrash Metal, Gitarreneffekte aus dem Hairspray Metal, Vertracktheit aus dem Progressive Metal, Melodien aus dem Pop, Energie aus – tja, wenn man das wüsste, man würde die Quelle auch anzapfen. Die Mischung jedenfalls ist komplex wie die von Meshuggah und doch so eingängig wie die eines Charts-Hits. Das sagt sich seltsam, ist aber großartig. Vor allem, weil die Band ihrer ansonsten kraftvollen Musik auch Entspannung und Ruhe gönnt und so die Stilwechsel schön abwechslungsreich hält. Dazu kommt die wandelbare und charakterstarke Stimme von Joe Duplantier. Sie ist nicht ganz so variabel wie die von Michael Åkerfeld oder Burton C. Bell, reicht aber dicht heran. Und „A Sight To Behold“ mit Vocoder und Blesrhythmus ist echt mal ein Hit.

Dieses Erfolgsrezept setzen Gojira auf „L’enfant sauvage“ fort. Es ist kein reiner Aufguss von „The Way Of All Flesh“, aber ein schlüssiges Folgealbum mit der gleichen Stilmixtur und dem gleichen Wohlfühlfaktor. „The Wild Healer“ ist das neue „A Sight To Behold“, auch der Rest überzeugt mit Mosh und Kraft und Shouts und Chören. Als Bonus gibt es einen weiteren Livemitschnitt der Tour zu „The Way Of All Flesh“ auf DVD sowie auf dem Hauptalbum zwei Bonustracks.

Da bekommt man also zwei dicke Pakete mit Gojira-Material in einem Jahr und staunt über so viel gutes Neues, das einem widerfährt. Mit der Recherche kommt zutage, dass sich Gojira mit Umweltschutz und gesellschaftlichen Schwierigkeiten auseinandersetzen, also nicht den üblichen Metal-Posen verfallen. Auch optisch nicht, die Shirts sind schwarz oder tragen Aufschriften wie „Power To The People“. Nicht von ungefähr benennt die Organisation Sea Shepherd ihr neuestes Anti-Walfang-Schiff nach der Band, die wiederum so heißt wie Godzilla im japanischen Original und sich für die Ehre noch in diesem Jahr mit einer „Sea Shepherd EP“ revanchieren will.

Und dann der Blitz. Beim Nachsummen der besten Stücke wird einem plötzlich klar, woher einem mindestens die Stimme so vertraut vorkommt: Joe Duplantier singt „Bring Them To Light“, eines der besten Stücke auf dem Apocalyptica-Album „7th Symphony“. Ach, und den Namen kennt man von der Besetzung des Projektes Cavalera Conspiracy. Und mit Devin Townsend arbeitete er auch schon zusammen, auf dessen letztem Album „Deconstruction“. Alles deutete also darauf hin, dass man Gojira früher oder später wahrnimmt. Es musste einfach so sein. Und es ist gut so.

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