Front Line Assembly – Wake Up The Coma – Metropolis 2019

Von Matthias Bosenick (17.04.2019)

Da ist Bandchef Bill Leeb sowas von stolz auf das neue Album seines musikalischen Hauptbetätigungsfeldes, insbesondere auf die erste Coverversion in der Geschichte von Front Line Assembly, holt sich Mitgründer Rhys Fulber zum dritten Mal zurück und garniert sich mit Gästen aus allen Dunkel-und-düster-Richtungen, und dann ist das Album so merkwürdig durchwachsen. Da kann der Herr Fulber sonstwas in seiner Biografie gerissen haben – der Tod von Jeremy Inkel wiegt schwer, den Zauberer kann er nicht ersetzen, seitdem schwächelt die alte EBM-Institution. Einmal mehr.

Die Namen der Kooperationspartner immerhin glitzern beim Lesen: DAF-Musiker Robert Görl veredelte die Vorabsingle „Eye On You“, deren Remixe – von Terence Fixmer und Orphx – leider interessanter sind als das meiste auf dem Album, Nick Holmes von Paradise Lost und Bloodbath steuert den Gesang zum Titeltrack bei und als Rausschmeißer darf Chris Connelly im FLA-Gewand nach David Bowie klingen. Liest man sich die Namen der weiteren Beteiligten durch, erhärtet sich der Eindruck, es bei dem Album mit einer Resteverwertung aus dem FLA-Probekeller zu tun zu haben: Gitarrist Jarred Slingerland ist – leider – seit über drei Jahren nicht mehr in der Band, Inkel verstarb bekanntlich vor zwei Jahren. Dafür sind jetzt mit Jeff Swearengin ein neuer Keyboarder und mit Jason Bazinet erstmals ein fester Schlagzeuger in der Band. Mit Sasha Keevill und Craig Johnsen arbeiteten sich zudem weitere Programmierer an den Tracks ab, ohne aber zur Band zu gehören.

Die vielen Köche schaffen es nicht, den Brei verdaulich zu halten oder wenigstens eine stringente Menüfolge zu kredenzen. Unausgegoren reihen sie Skizzen, Ideen und Soundpatterns aneinander, deren musikalisch hohes Niveau grundsätzlich unbestritten ist, die aber als Album keinen Fluss ergeben. Zudem sind die Stücke selbst relativ medioker, insbesondere verglichen mit dem restlichen Oeuvre der Band. Da hatten sie schon fettere Beats, geilere Syntheffekte, knackigere und überraschendere Kompositionen. Schon der Vorgänger, der Gamesoundtrack „Warmech“, wiederholte lediglich bereits entwickelte Ideen, klang aber zumindest homogener. „Wake Up The Coma“ ist ein Elektrosammelsurium, dem der Biss fehlt. Ausnahmen gibt es, einzelne Songs stechen hervor, doch ist das Gesamte getrübt.

Und dann gibt es da ja noch „Rock Me Amadeus“, die erste Coverversion von Front Line Assembly. Und wie stolz der Herr Wilhelm Schröder darauf ist! Ist er doch, wie Johann Hölzel, gebürtiger Österreicher, nennt sich aber seit seinem Umzug nach Vancouver Bill Leeb und trägt bisweilen Stücke auf Deutsch vor. Gute Voraussetzungen für eine gelungene Adaption, mag man hoffen, aber: Musikalisch ist das Cover komplett einfallslos, weder Fisch noch Fleisch, weder guter Pop noch guter EBM. Und den Gesang übergibt Leeb an Jimmy Urine von Mindless Self Indulgence, der nicht nur kein Deutsch kann, sondern den Text gar nicht verstanden hat. Man möchte skippen und wünscht sich die „Eye On You“-Remixe an Stelle dieses unschönen Stücks.

Und man wünscht sich zurück in die Zeit der jüngeren Alben, „Improvised Electronic Device“ und „Echogenetic“. Da stimmte alles, Dramaturgie, Songdichte, Hitpotential, Härte, Durchschlagskraft. „Wake Up The Coma“ erfüllt vielmehr die Ansprüche moderner Musikhörer: Die Reihenfolge ist egal, man pickt sich im Stream eh die Favoriten heraus. Da muss wieder etwas passieren, Leeb braucht wieder die besseren Mitmusiker und Ideengeber. Der Weckruf gilt also nicht nur der Welt, sondern auch ihm selbst.