Dumbo – Tim Burton – USA 2019

Von Matthias Bosenick (25.04.2019)

Was hat sich der Künstler dabei gedacht? Wollte sich Tim Burton, wie weiland Peter Jackson mit „King Kong“, einen Kindheitswunsch erfüllen? Dann hätte er „Dumbo“ besser privat für sich drehen sollen. Sein Remake des Disney-Zeichentrickklassikers von 1941 lässt beinahe alles vermissen, was man von einem Burton-Film erwartet: das Märchenhafte, das Fantastische, das Spukige, das Skurrile, den subtilen Humor, die melancholische Tragik, die schlagfertigen Dialoge, die bemerkenswerten Charaktere. Burton versteckt seine wenigen guten Ideen in einer stressig aneinander montierten, in sich aber dünnen Geschichte, und findet erst am Ende die Ruhe, die der ganze Film verdient hätte. Außerdem lässt er den Titelhelden viel zu kurz kommen. Enttäuschend.

Da hat Burton alle Trümpfe in der Hand: ein Sujet, das ihm am Herzen liegt und das er im Auftrag des Rechteinhabers, der ihn einst sogar chasste, neu verwursten darf, eine lebenslange Erfahrung mit abseitigen Filmen in höchster Qualität und eine Fantasie, um die ihn Horden von Regisseuren und Drehbuchautoren beneiden, nicht nur in Hollywood. Und was macht er aus „Dumbo“? Eine stressige plakative Achterbahnfahrt durch die Kindheit eines Verständnisgehemmten ohne Vorstellungskraft.

Zunächst kreiert Burton eine Zirkuswelt, die nach dem Ersten Weltkrieg in den USA die wirtschaftlichen und körperlichen Folgen des Krieges zu tragen hat, also personell und finanziell ausgedünnt ist und mit einarmigen und alleinerziehenden Kriegsheimkehrern das Programm retten muss, gegen die Sparmaßnahmen des Direktors. Dieser Direktor verhökerte, was dem Kriegsheimkehrer heilig war, und degradiert den zum Elefantenpfleger. Natürlich bevölkern so einen Zirkus jede Menge Freaks, Meerjungfrau, Kraftmensch, Magier, Schlangenmensch, Fakir und so weiter. Kennt man. Dann kommt Hans Christian Andersen und kredenzt dem Zirkus einen schwangeren Elefanten, der ein hässliches Entlein gebiert, mit unförmigem Schädel und Riesenohren. Die halbwaisen Kinder des erziehungsunfähigen Einarmigen entdecken die Flugfähigkeit des ungeliebten Dickhäuters und machen das Wundertier manegentauglich. Der Zirkus ist gerettet – und gerät ins Visier eines Vergnügungsparkinhabers, der die Menagerie komplett aufkauft und den Direktor zum Compagnon macht. Nun kommt, was sich offenbar so gehört: Der neue Chef ist geldgierig, geht über Elefantenleichen und setzt die mitgeschleppte Belegschaft vor die Tür. Die braven Ausgestoßenen starten mit Hilfe der akrobatischen Geliebten des demaskierten Vergnügungsbosses eine elefantöse Befreiungsaktion und am Ende siegt das instagramkompatible Selbstvertrauen.

Aus dieser Konstellation hätte man so viel machen können. Die einzelnen menschlichen Zirkusattraktionen könnten mit ihren archetypischen Fähigkeiten individuell in die Geschichte eingearbeitet werden, bekommen aber lediglich in der Befreiungsaktion drei knappe Momente. Alles verbleibt in Stereotypen, vom Artisten bis zum Bänker, der auch noch mit seiner Arschlochmentalität als Guter aus der Story gehen darf. Nicht zuletzt bekommt Dumbo selbst viel zu wenig Raum, um Profil zu entwickeln; lediglich in den spärlichen Flugszenen sowie beim Training mit der Akrobatin rührt er ein Wenig an. Burton klatscht lauter stressige Situationen aneinander und erhöht damit zusätzlich den Stressfaktor. Danny Elfmans permanentes Gedudel trägt einen wesentlichen Anteil dazu bei. Anstatt also eine zauberhafte Geschichte mit besonderen Figuren zu erzählen, erfüllt Burton lediglich die Sehgewohnheiten modernen Kinopublikums und verzichtet auf die eigene Handschrift, die er dem Blockbustervolk ansonsten so gern untermogelte. Ja, visuell macht der Film etwas her, aber auch das können dank CGI alle anderen Hollywoodfilme auch.

Immerhin kann man festhalten, dass Danny De Vito als Zirkusdirektor fabelhaft spielt – und damit eigentlich als einziger. Ex-Batman Michael Keaton performt den Bösewicht, wie man es erwarten würde, bis hin zur slapstickhaften Dekonstruktion, nur ohne tiefdunkle Abgründe, sodass man es am Ende auch für nicht gerechtfertigt hält, dass ausgerechnet sein an Disneyland erinnernder Traum dem Erdboden gleichgemacht wird; so schlimm war er nun auch wieder nicht. Geschäftsmann halt. Und der tatsächlich menschen- und tierverachtende Bänker geht, wie gesagt, straffrei aus.

Erst mit der Befreiungsaktion lässt Burton seiner Fabulierkunst etwas mehr Leine. Die läutet aber schon das Ende ein, kommt also viel zu spät. Und was sich der Rettung anschließt, inszeniert Burton dann so, wie man sich den ganzen Film gewünscht hätte: stimmungsvoll, romantisch, einfallsreich, entspannt. Außerdem bricht er eine Lanze für die Befreiung von Zirkustieren aus ihren Käfigen und bringt damit noch so etwas wie Haltung unter. Seine Figuren hingegen haben wenig Format, Burton gönnt ihnen im Tohuwabohu der Geschehnisse nicht mal den Raum für die wenigen Lustigkeiten, die er ihnen tatsächlich zugesteht. Das mit dem angeklebten Schnauzbart und der aus dem Nichts erscheinenden Taube ist lustig, geht aber unter – und hätte noch einiges mehr seiner Art mitbringen dürfen. Als wären dem Fantasten die Ideen ausgegangen. Zudem richtet sich das Geschehen so sehr an Kinder, dass man als Erwachsener wenig Spaß daran findet, anders als etwa an den Lego-Filmen. Aber Spaß hatten eigentlich auch die Kinder im Kino nicht. Man fühlt sich von Burton um ein fantastisches Kinoabenteuer betrogen.