Christopher Tauber/Hanna Wenzel – Rocky Beach: Eine Interpretation – Kosmos 2020

Von Matthias Bosenick (24.09.2020)

Wie sähe es aus, wenn die Drei Fragezeichen so erwachsen wären, wie sie in den Hörspielen längst klingen? Machen sie unendlich so weiter und merken gar nicht, dass sie altern, oder finden sie sich beispielsweise nach einer verheerenden Erfahrung mit tödlichem Ausgang entzweit und auf die düstere Realität von Mittvierzigern in der Krise zurückgeworfen? So jedenfalls stellt es sich Christopher Tauber vor und lässt diese Vision, seine „Interpretation“ von „Rocky Beach“, von Hanna Wenzel atmosphärisch passend als schwarzweiße Graphic Novel umsetzen. In weiten Strecken gelungen, mit Abstrichen, und auch ohne Vorkenntnisse gut lesbar. Wie klänge wohl ein Hörspiel davon?

Gehört eine Graphic Novel, die sich mit einer möglichen Zukunft etablierter Serienhelden auseinandersetzt, nicht eigentlich in die Fan Fiction? Im uralten Universum der Drei Fragezeichen erarbeitete sich Autor Christopher Tauber bislang jedenfalls erst einen Eintrag, und zwar mit der nunmehr zweitjüngsten Graphic Novel „Das Ritual der Schlangen“. Ihm jetzt also eine Vision der erwachsenen Juniordetektive zuzugestehen, wirkt etwas beliebig. Und so ist das Ergebnis eben auch nur eine von unendlich vielen möglichen Zukünften des Trios, und, das muss man Tauber zugutehalten: eine bemerkenswerte. Und einen Absolutheitsanspruch hat Tauber gar nicht, das schlägt sich bereits im Titel nieder: „Eine Interpretation“, nur eine und nicht mehr als eben das. Für die Umsetzung seiner Vision verpflichtete Tauber die Graphikerin Hanna Wenzel, die inhaltlich passend einen Noir-Stil mit dunkler Stimmung kreiert, so erwachsen wie das Thema und so schwarzweiß wie die Welt, die sich Justus, Peter und Bob hier präsentiert.

Ein dunkelhäutiger politischer Aktivist verschwindet, ein Verlierertyp mit sekundärem Familienanhang lässt sich angetrieben von falschen Freunden auf einen Versicherungsbetrug ein: Mit Handlungssträngen, die nicht zuvorderst mit den Drei Fragezeichen zu tun haben, beginnt diese Geschichte. Dann ist Peter gefragt, der als Versicherungsdetektiv von Phoenix, Arizona, aus den Auftrag bekommt, den Fall mit einem hochversichert verbrannten Schuppen zu übernehmen. Dabei kreuzt er im Polizeirevier den Weg des erfolgreichen, aber gefrusteten Hollywood-Drehbuchautoren Bob, den Streifenpolizisten betrunken im Auto schlafend aufgegriffen hatten. Sie beschließen, Justus in seinem Krimibuchladen einen Besuch abzustatten, und erwirken so das erste Treffen der Drei Fragezeichen seit über 25 Jahren.

Viel hat sich geändert: Die „miesen Bullen“ in Rocky Beach sind korrupt und agieren willkürlich, der Schrottplatz ist nun das Hauptquartier von Drogendealern, Titus ist alt und Mathilda offenbar verstorben, einen Inspektor Cotta, einen Morton und einen Blacky gibt es nicht mehr, Jeffrey betreibt eine Kneipe, alle drei Protagonisten neigen zum Saufen, Justus nimmt sogar undefinierte Drogen, Bob hat Sex mit seiner Frau, Peter ein distanziertes Verhältnis zu seiner Kelly. Nach und nach erinnern sich die drei, was sie einst nach Hunderten von gemeinsam gelösten Fällen auseinanderbrachte: Das Mitansehenmüssen des Mordes an einem Kumpel von Skinny Norris. Der Tod hält nun auch in dieser Geschichte Einzug, als sich die drei mit Peters zugegebenermaßen nicht besonders überraschenden oder komplexen Fall befassen und nicht nur Leichen finden, sondern auch bei einer tödlichen Schießerei anwesend sind. Die Drei Fragezeichen tragen zwar schwer an ihren jeweiligen Leben, sind aber trotz allem wieder ein schlagkräftiges Ermittlerteam. Das Gute gewinnt hier aber nicht mehr wie früher, zumindest nicht umfassend – Tauber lässt Lücken und die Hintermänner davonkommen. Und Raum für potentielle Fortsetzungen, was aber nicht nötig wäre; interessanter nähme sich da eine „DreiTag“-Variante aus, mit alternativen Szenarien von anderen Autoren.

Denn Tauber nimmt sich zwar viele schlüssige, aber doch einige befremdliche Freiheiten heraus. Im Grunde verdreht er die Biographien der Drei Fragezeichen: Der sportliche Peter ist Detektiv, nicht etwa Surflehrer oder wie sein Vater in Hollywood erfolgreich. Das wiederum ist Rechercheur Bob, und nicht etwa wie sein Vater Journalist oder etwa Bibliothekar oder Buchhändler. Das wiederum ist der deduktiv überbegabte Justus, und nicht etwa Detektiv bei einer Versicherung. Überdies spricht Justus hier leider nicht mehr so ausufernd wohlformuliert, wie man es von ihm gewohnt ist, das will so gar nicht passen und erzeugt die Mutmaßung, Tauber selbst sei dazu gar nicht in der Lage (auch wenn die Rechtschreibung und Zeichensetzung in den Sprechblasen korrekt sind, überraschend genug heutzutage; eine fehlende Zeile hat das Lektorat dennoch übersehen). Erzfeind Skinny Norris macht Tauber hier zum „Stadtrat“; eine merkwürdige Bezeichnung, da es sich bei einem solchen eigentlich um ein Gremium handelt, nicht um eine einzelne Person. Den Alkoholkonsum wiederum nimmt man den Figuren ab, die Midlifecrisis ebenfalls: Es sind halt Menschen, und Schwächen hatten die drei ja schon immer, nur andere. Der „Schisser“ etwa findet auch hier Erwähnung.

Ansonsten erwecken Tauber und Wenzel ein überraschendes US-Gefühl, wie es die Bücher und Hörspiele seit dem Wechsel der Autorenschaft von den USA nach Österreich und Deutschland nicht mehr hinbekamen: Man wähnt sich in Kalifornien, es sieht so aus, wie man es mindestens aus Serien und Filmen kennt. Die düstere Stimmung der Bilder trägt die düsteren Inhalte ebenfalls mit, die Thriller-Optik beherrscht sie überzeugend, und doch überzeugt Wenzels Arbeit nicht in allen Punkten: Manche Zeichnungen wirken amateurhaft, wie Skizzen, wie Kindermalerei, ungenau, missverständlich; trotzdem lassen sie in Summe ein überzeugendes Bild entstehen. Und was unklar bleibt, ist gottlob nicht handlungsrelevant. Außer bei den vielen nicht zugeordneten Sprechblasen; das zieht sich durch die gesamte Geschichte und erschließt sich erst beim zweiten Lesen.

Dazu gibt Wenzel den Drei Fragezeichen ein Bild, das von dem abweicht, das man als Lesender, Hörender oder Sehender Fan selbst hat. Darauf muss man sich einlassen, klar, und das funktioniert auch recht gut. Die gesamte Graphic Novel hat außerdem etwas Filmisches, und dazu passt auch, dass die drei bereits wie bekannte Schauspieler angelegt sind; zu Justus fällt einem zuerst Bud Spencer ein, Peter sieht aus wie Ben Stiller und für Bob gibt es sicherlich ebenfalls eine Analogie. Auch zu der Ausgangslage, dass sich Jugendfreunde nach Jahrzehnten wiedersehen und sich alten und neuen Monstern stellen müssen: Das erinnert an „Es“ von Stephen King.

Dabei lässt Tauber diesem alten Monster, nämlich den mitverfolgten Mord an einem Kumpel, genug Spielraum, um inhaltlich vage, aber emotional klar zu bleiben und als Menetekel über den dreien zu schweben. Erzählerisch wagt er ohnehin Auslassungen, die der Geschichte guttun und die das eigene Denken befördern. Zweimal Lesen hilft auf jeden Fall beim Verständnis und lohnt sich sowieso. Trotz Schwächen wie der, dass die Junkies auf dem Schrottplatz jahrelang die Zentrale nicht entdecken, aber nach einem verdächtigen Geräusch sofort einen Zugang dazu finden.

Tauber und Wenzel gönnen sich den Scherz, vorherige Graphic Novels in den Panels unterzubringen, gleich zweimal: Justus hat „Das Ritual der Schlangen“ und „Das Dorf der Teufel“ in seinem Laden vorrätig. Überdies ist inzwischen angekündigt, dass letzteres Buch demnächst in Planetarien als Hörspiel zum Einsatz kommt; davon kann man sich einiges versprechen, war doch die Umsetzung des ersten Comics „Der dreiäugige Totenkopf“ bereits eines der beste Hörspiele seit um die 100 Folgen. Und: Spannend wäre es, die drei Hörspielsprecher in ihren altersmäßig viel besser passenden Erwachsenenrollen aus dieser Graphic Novel zu hören zu bekommen. Hard Boiled und Noir, da dürfen sie endlich mal wieder schauspielern und nicht nur sich selbst performen.