blackhole-factory – Eisen + Stein – blackhole-factory 2024

Von Matthias Bosenick (22.02.2024)

Wir befinden uns in einer weltvergessenen Kathedrale und wir hören der Mutter Oberin dabei zu, wie sie die Geister der Moderne austreibt. So klingt „Eisen + Stein“, der Zusammenschnitt zweier Performances, die das Duo blackhole-factory vor 14 Jahren in einer leeren MIAG-Industriehalle aufführte, die direkt gegenüber ihrer damaligen Zentrale gelegen war, der Kunstmühle zu Braunschweig. Mit dem, was sie in der echoreichen Halle vorfand, generierte Elke Utermöhlen ein dem Found-Footage-Industrial nahes Rascheln, Rasseln und Knallen und sang dazu wortlose Melodien. Martin Slawig nahm das Ganze auf, sonst wäre uns diese 22-minütige Erinnerung an diese für deren Verhältnisse bodenständige Aktion entgangen. Eine Einladung zum gepflegten Gruseln!

Ohne die Bilder dazu verlässt man sich ganz auf sein Gehör und die Erfahrungen, die man mit dem Horror-Genre so macht, ob Film oder Hörspiel: Die Fantasie reißt sich los und sieht sich in einer überhohen Halle, deren Decke in der Dunkelheit verborgen bleibt. Man kann kaum wenige Schritte voraussehen und folgt einer körperlosen Stimme, die einen nur weiter ins Innere dieses einst sakralen Gebäudes lockt. Dabei veranstaltet die Stimminhaberin auch ohne Körper allerlei Geräusch, das sich nicht zuordnen lässt und das klingt wie der Versuch, auch als metaphysisches Wesen einen Kontakt zum Irdischen zurückzuerlangen. Als scheitere sie bei dem Versuch, Dinge aufzuheben, sie mit sich zu tragen, oder dabei, Geröll und Schutt zu überwinden. Als schleppe sie Objekte mit sich, eher versehentlich als bewusst, und beschwöre dabei den Ort, sie freizugeben. Ganz so, wie sie selbst mal fokussiert, mal ungestüm ihren Weg durch den verwünschten Raum fortsetzt, ertönen auch die Geräusche, die sie dabei erzeugt, wellenartig, mal komplett abwesend und reduziert, mal kakophonisch lärmend; auch der Gesang pendelt zwischen versunkener Schönheit und qualvollem Schmerz. Das Ziel dieser Unperson ist nicht eindeutig: Lockt die die Hörenden ins Elend, will sie ganz gegenteilig jeden davon abhalten, ihr zu folgen, beklagt sie lediglich ihren Zustand, beschwört sie tatsächlich etwas herauf oder will sie es endlich verbannen? Zum Schluss scheinen Glocken zu läuten – selbst da ist unklar, ob es sich dabei um erlösende kirchliche oder einen Sieg bekanntmachende Kriegsglocken handelt.

Für die Verhältnisse von Elke Utermöhlen und Martin Slawig sind die Versuchsaufbauten ungewöhnlich schnörkellos: Komplett frei von manipulierter futuristischer Technik oder gar dem Internet beschränkten sie sich bei der Umsetzung von „Eisen + Stein“ am 26. und 27. Oktober 2011 ausschließlich auf das, was in der leeren Industriehalle herumlag. Einiges davon kann man heraushören, aber für das Kopfkino ist es angenehm, im Unklaren zu bleiben. So bearbeitet Elke die Eisenplatte, die einen Schacht abdeckt, Heizkörper, Rohre, Kies und Ziegelsteine und erhebt dazu ihre Stimme. Erstaunlich: Nicht mehr als der Raum, diese wenigen Gegenstände und des Menschen Gesang bilden die Basis zu dieser Soundreise. Dabei erläutert das Duo in der Info sogar exakt, was Elke mit den vorgefundenen Elementen so veranstaltet, und das liest sich eher wie ein nüchterner Versuchsaufbau als wie das, was man am Ende zu hören bekommt: Kies gegen die Wände geworfen, mit Stiefeln schnell auf Schotter oder auf einer wackeligen Eisenplatte umhergehen, zur Stimme einen Industrieheizkörper bearbeiten, per Gesang den Raum in Bezug auf Hall, Polyphonie und Rhythmen erkunden, den Gesang am Geräusch ausrichten, das sich ergibt, wenn ein Ziegelstein auf einer Eisenplatte bewegt wird. Aber doch, auch losgelöst vom Wissen einer Versuchsreihe liest sich dies wie die Aktionen einer Geisterscheinung.

Zusätzlicher Grusel ergibt sich daher, dass der Ort der Aufnahme Anlass dazu gibt. Die Halle liegt gegenüber der Kunstmühle, die das Duo bedauerlicherweise nach zehn Jahren unlängst aufgab und Braunschweig verließ, und gehörte zur MIAG, Mühlenbau und Industrie Aktiengesellschaft. Eigentlich produzierte die MIAG Getreidemühlen, ließ sich in den Vierzigern jedoch auch dafür einspannen, Kriegsgerät herzustellen. Entsprechend wirkt das Abschlussläuten auf „Eisen + Stein“ wie ein Fanal, wie das Aufbäumen gegen das Unabwendbare, wie der innere Zwang, sich der Realität zu stellen und endlich erlöst zu werden. Da schweigen die Gesänge und in der Halle ist Ruhe.

Eisen + Stein