Axel Klingenberg – Die Wahrheit über Wolfenbüttel – Verlag Andreas Reiffer 2018

Von Matthias Bosenick (25.10.2018)

Stimmt, das fehlte sogar noch: Ein Buch mit 111 Gründen für „Die Wahrheit über Wolfenbüttel“. Und wer wäre dafür besser geeignet, als Braunschweigs Lokalliterat Nummer Eins, Axel Klingenberg? Mit dieser kurzweiligen Zusammenstellung historischer Ereignisse und Personen aus der kleinen Nachbarstadt verabschiedet sich der Punk aus dem Literaturbetrieb, wie er sagt. Bauen wir auf den Scorpions-Moment, nicken das kurz ab und widmen uns dem Kompendium, das anlässlich des 900. Geburtstags Wolfenbüttels entstand. Wolfenbüttel in einem Wort: Lessing! Jägermeister! Also in zwei Worten, okay. Nein, Klinge findet noch einige mehr und trägt sie akribisch und unterhaltsam zusammen. Das ist sicherlich auch für die meisten Wolfenbütteler ansprechend lehrreich.

Der gemeine Braunschweiger weiß über Wolfenbüttel ungefähr so viel wie der gemeine Deutsche über Österreich. Zumeist lächelt er über den Nachbarn, und das tut auch Klingenberg, jedoch mit der Ansage, dies nicht böse zu meinen, denn als der Klinge‘schen Schreibe Unkundiger könnte man seinen ironischen Unterton fälschlich für Lästerei halten, dabei ist es lediglich sein normaler Sprachgebrauch. Darauf muss man sich einlassen, wenn man ihn mit einem historischen Abriss seiner Stadt beauftragt, dass in ihm trotz aller Gewissenhaftigkeit, Akribie und Akkuratesse immer der kleene Punker mitläuft. Eben auch durch Wolfenbüttel.

Eine merkwürdige Stadt, in jeder Auslegung des Wortes: Viele der aufgeführten Namen sind dem Leser nicht vertraut, die Geschichten dahinter indes sind es wert, im Langzeitgedächtnis gespeichert zu werden. Und Klingenberg entlockt sie alle dem Weltengeist. Na, fast alle, aber doch überraschend viele, die tatsächlich eine globale Relevanz haben, mindestens allgemeingültige Ideen vertreten, und doch teilweise nicht zum kollektiven Gedächtnis gehören. Dazu gehören der Erfinder der Schellackplatte, der Begründer der Vereinheitlichung der Deutschen Sprache, der Erfinder des Kindergartens und die Gründerinnen von entsprechenden Lehrinstitutionen, sowie Freigeister, Fürsten, Forscher, Fabrikanten – also auch Lessing und Jägermeister. Dabei hält sich der Autor nicht mit eigener Ansicht zurück, gespeist aus einer grundsätzlich linkspolitischen Einstellung, wird aber nie grundlos despektierlich. Wolfenbüttel kommt trotz humoriger Zwischentöne und Bildunterschriften gut bei ihm weg.

Den Löwen- oder besser: Wolfanteil nimmt die Historie ein, die Klingenberg nach Personen strukturiert und sich bei aller Fülle knapp hält, was bisweilen einen leicht eiligen Eindruck macht, aber den Vorteil hat, dass er sich nicht unnötig an Kleinigkeiten aufhält. Ein Kapitel widmet Klingenberg zudem der Nacherzählung populärer Geschichten von Till Eulenspiegel sowie drei weitere Kapitel Spaziergängen mit den Schwerpunkten Museum, Kultur und Gastronomie. Darin entdeckt man selbst als Unkundiger kleine Lücken aus der jüngeren Zeit, aber die nimmt in den 900 Jahren ja nur einen kleinen Raum ein: die Kuba-Halle, die Lindenhalle, die Eiszeit in Salzdahlum und natürlich die tragische Geschichte vom Kravchuk – und war da nicht mal eine Art Kneipe, in der Braunschweiger gern Lesungen abhielten?

Darunter sicherlich auch Klingenberg selbst, aus einem seiner jüngsten Bücher, wie dem vorliegenden oder „111 Orte im Braunschweiger Land, die man gesehen haben muss“, „365 Tipps für einen schönen Tag in Braunschweig, Wolfenbüttel, Wolfsburg und Umgebung“, „Die Wahrheit über Niedersachsen“, „Schmorwurst am Brocken“, „Döner mit Braunkohl und Bier“ oder oder oder – in Sachen Lokalliteratur ist Klingenberg in Braunschweig und Umgebung die Nummer Eins. Schade, dass er ankündigt, mit der Literatur zugunsten seines Brotjobs aufzuhören – aber für eine Reunion mit sich selbst ist das Leben ja noch lang genug.