Axel Klingenberg – Die Wahrheit über Niedersachsen – Verlag Andreas Reiffer 2016

Von Matthias Bosenick (12.10.2016)

Die Wahrheit über „Die Wahrheit über Niedersachen“ ist, dass Axel Klingenberg hier mit Fleiß und aus eigenen Erlebnissen einen zeitgleich sachlichen und unsachlichen Blick auf das zweitgrößte Bundesland der Republik wirft (Niedersachsen ist sogar größer als ganz Dänemark). Das etwa lückenhafte Ergebnis fällt aber nur denjenigen Lesern auf, die schon mal in diesem Land zwischen Bergen (Harz) und Meer (Nordsee) unterwegs waren (also in der Heide), denn Klingenberg zieht hier mit einer wohl platzbedingten Eile ins Feld, die über Lücken einfach hinwegfegt. Sein Tonfall wechselt dabei zwischen ironisch und bitterernst, den Themen angemessen. Als Reiseführer dient dieses Büchlein zumindest anteilig, das ist nicht die Hauptintention; in den meisten Fällen liegt das aber auch einfach am betrachteten Gegenstand: Wer nach Niedersachsen will, fährt eben schlicht in die Berge, ans Meer oder in die Heide und braucht dafür keine Details. Die es dennoch gibt und die den Blick lohnen.

Dem Buch ist deutlich anzumerken, dass es das Ergebnis einer immensen Fleißarbeit ist: Hier steckt eine Menge Recherche drin. Klingenberg wälzt Lexika (Wikipedia) und Literatur („Öde Orte“, Teile 1 bis 3), um seinem Leser zunächst die historisch-politischen Grundlagen für das Niedersachsenverständnis und dann darauf aufbauend den Blick auf die tatsächlich häufig öde Gegenwart zu lenken. Im satten Gegensatz zur Landesgröße steht die Relevanz der niedersächsischen Städte, das arbeitet Klingenberg anschaulich heraus. Zuletzt und auch zwischendrin immer wieder widmet er sich seinen Kollegen, den Schriftstellern, die Niedersachsen hervorbrachte oder die es bereisten. Er garniert sein Wissen mit eigenen Betrachtungen und gibt dem Buch damit eine übergeordnete Relevanz.

Als grober Rahmen dient eine in viele Kapitel unterteile „Rundreise durch Niedersachsen“, die Klingenberg an der Nordsee beginnt und ganz untouristisch gegen den Uhrzeigersinn fortsetzt. Dazwischen vertieft er spezielle Themen, etwa festgemacht an Ostfriesland und dem Ort Großenkneten, aus dem die Band Trio stammte, ein Kapitel über Musiker aus Niedersachsen. Weitere anschauliche Exkurse behandeln den Ostfriesenwitz, Das Kneipenleben, den Sport, Traditionen und Brauchtümer, Dialekte, erlebnisreiche Reisetipps sowie an den entsprechenden Orten Vertiefungen dortiger Besonderheiten, wie Politik im Wendland, Nazivergangenheit bei leider zu vielen Gelegenheiten, Universitäten in Celle (die Stadt entschied sich vor die Wahl gestellt lieber für einen Knast), Atomkraft an ebenfalls zu häufiger Stelle.

Man merkt beim Lesen, dass Klingenberg zum einen als gebürtiger Niedersachse eine leidenschaftliche Haltung zu seinem Herkunftsland hat, die er gern teilen will, und zum anderen, dass er manche Ecken selbst erlebt hat, oftmals vermutlich im Rahmen von Lesereisen. Aber immerhin. Das Land ist schließlich groß. Dennoch hat man bisweilen das Gefühl, so manches Kapitel befände sich nur der Vollständigkeit halber im Buch; der Hinweis, mit einem herablassenden Zitat sei alles über einen Ort gesagt, rechtfertigt die Nennung nicht, da wünscht man sich etwas mehr. Oder gleich eine Auslassung, die sich dann in einer Art Fußnote wiederfindet; Orte wie Bispingen oder Diepholz finden auch nur am Rande Erwähnung, andere (vielleicht auch nur gefühlt) gar nicht, wie Verden, Vechta, Schneverdingen. Nun, für ein umfassendes Kompendium ist der Platz zu gering, dafür bekommt man einen großen Fundus an Allgemeinwissen kredenzt, der den Leser sogar staunen lässt und die Reiselust weckt. Doch wünschte man sich, Klingenberg hätte in Niedersachsen selbst schon mehr erlebt und zöge nicht so viele Zitate heran. Gut ist, dass er für dieses Buch seine verachtende Haltung nicht durchzieht, sondern seine Zuneigung nicht verhehlen kann. Ist ja doch ganz nett hier.