Alfred Hilsberg: Das Zickzack-Prinzip – Talk im Kunstverein Wolfsburg am 12. Mai 2016

Von Matthias Bosenick (13.05.2016) / Auch veröffentlicht auf Kult-Tour Der Stadtblog

Alfred Hilsberg ist gebürtiger Wolfsburger? Das wusste ich nicht. Und wer pfeift es vom Dach? Natürlich der Kunstverein Wolfsburg unter Leitung von F.S.K.-Musiker Justin Hoffmann, einmal mehr, nachdem er bereits bei den Müller-Brüdern Max und Wolfgang die Wolfsburger Wurzeln freilegte. Anlässlich des Buches „Das Zickzack-Prinzip“ über Hilsbergs gleichnamiges Label veranstaltet der Kunstverein in seinem „Raum für Freunde“ im Wolfsburger Schloss einen Talk mit Gastgeber Hoffmann, Co-Autor Christof Meueler sowie Anita Placenti-Grau vom Institut für Zeitgeschehen und Stadtpräsentation. Geschichte wird gemacht, wir sind dabei.

Mit Hilsberg haben wir einen kulturhistorischen Ankermenschen zu Gast in der VW- und VfL-Stadt Wolfsburg. Nicht nur erfand er den Begriff „Neue Deutsche Welle“, auch verlegte er auf seinem Zickzack-Label Musik, die zu jener Welle zwar beitragen sollte, ihr aber nie angehörte, weil sie dafür viel zu unbequem war, inhaltlich wie musikalisch. Und dieser Mann sitzt hier im verwinkelt ausgestatteten „Raum für Freunde“, im Prinzip hinter der Kunst, eingequetscht zwischen Kulissen und Möbeln, und legt Zeugnis ab. Ein gigantisches Stück Popgeschichte hat hier Platz genommen. Und es interessiert gerade mal zwei Handvoll Zuschauer, davon viele aus Braunschweig.

Die Konstellation der Protagonisten ist ausgesprochen attraktiv: Hilsberg zur Seite sitzt sein Biograph Meueler, der letztlich als Haupt-Autor des Buches gilt, das eigentlich Hilsberg selbst zusammenstellen wollte. „Herz aus Stein“, die erste 7“ von Hoffmanns Band F.S.K., trug die Katalognummer 6 in Hilsbergs Label; damit qualifiziert sich der Moderator als versiert und kenntnisreich. Placenti-Grau punktet mit ihrem Fachgebiet, der Stadtgeschichte, mit der sie den Stargast zum Geleit konfrontiert.

Was Hilsberg einiges Grummeln entlockt: Grantelnd kommentiert er schwarzweiße Stadtansichten, die Placenti-Grau ihm präsentiert. Er macht es mehr als deutlich, dass er für seine Geburtsstadt nicht sonderlich viel übrig hat. Sein Granteln ist nicht mal als Lästern zu betrachten, sondern als unverhohlene Missbilligung. Als er dann auch noch das quasi-eigene Buch schlechtmacht, weil der Verlag es ihm aus vermeintlichen Zeitgründen aus der Hand riss, fragt man sich, worauf Hilsbergs Talk hinauslaufen würde; auf einen störrischen Schmähabend hätte ich keine Lust. Doch so bleibt es nicht.

Nicht nur, weil es Placenti-Grau gelingt, Hilsberg erhellende Erinnerungen zu entlocken. Besonders spannend sind die linken und kommunistischen Aspekte der Stadtgeschichte, die ansonsten eher nicht so im Bewusstsein der Öffentlichkeit verankert sind. Mit salbungsvollen Worten betont Hilsberg den positiven Einfluss des Politikers Frank Helmut Zaddach, der bis heute ein aktives und geschätztes Mitglied der Wolfsburger Bürgerschaft ist. Hilsberg ist also doch Mensch, man muss nur die richtigen Themen finden.

So relativiert Hilsberg auch seine Haltung dem Buch gegenüber, indem er Meueler kein Haar krümmt, sondern ihm im Gegenteil den Raum gibt, seine eigenen Ausführungen zu ergänzen sowie Passagen zu rezitieren. Hoffmann stellt erheitert fest, dass „Das Zickzack-Prinzip“ eine der wohl wenigen Biographien ist, in deren Verlauf die porträtierte Person verschwindet. Das Buch ist somit eben auch ein Zeitdokument, besonders mit Blick auf die Musik.

Zu der kann der gastgebende Moderator viel beitragen, und das ist einer der vielen Pluspunkte dies Talks: Hoffmann ist selbst Protagonist der Prä-NDW-Szene und bis heute als Musiker des Untergrunds aktiv. Er weiß, wovon Hilsberg spricht, und scheut auch nicht unbequeme Fragen, wie etwa die eine, auf die alle Gesprächsteilnehmer immer wieder sinnierend zurückkommen, ob nämlich die Musealisierung des Untergrundphänomens Zickzack gerechtfertigt sei. Darin sind sich alle einig, dass man dies nur bejahen könne; Hilsberg bemerkt, dass man heute zwar alles machen könne, dass dies aber niemand mehr so breitenwirksam wahrnehme wie weiland die Umbrüche Ende der Siebziger, Anfang der Achtziger, dass dieses Merkmal also nicht wiederholbar sei und man sich dessen heute zwingend erinnern sollte. Dem stimmt auch Fachfrau Placenti-Grau zu.

Der Blick der Gesprächspartner auf die Musik reicht bis in die Gegenwart. Fallen anfangs Namen wie Palais Schaumburg, Pyrolator, Einstürzende Neubauten und DAF, schwärmt Hilsberg später von Blumfeld, die er auf seinem zweiten Label What’s So Funny About veröffentlicht, und Jens Friebe. Hoffmann erinnert sich, dass viele Zickzack-Protagonisten der ersten Stunde nach dem Abebben der Neuen Deutschen Welle den Stil wechselten, etwa zu Metal oder wie im Falle seiner F.S.K. zu Country. Das passt alles in die kurze Erklärung, was Hilsberg unter dem „Zickzack-Prinzip“ versteht: als Label permanent Unerwartetes zu tun.

Hilsbergs Laune hat sich längst gebessert, das Gespräch fließt, die Informationen kommen geballt, die wichtigen Namen fallen wie nebenbei. Für diesen zweistündigen Talk haben sich definitiv die Richtigen gefunden. Man kann Hoffmann und den Kunstverein nur preisen für diesen Abend. Nicht nur für diesen; der Kunstverein ist eine bodenständige, nicht kunsthörige Einrichtung. Seine Warmherzigkeit ist in der zeitgenössischen Kunst nicht üblich, in der man eher dazu neigt, sich abzuheben. Ein runder Abend.