Vi sidder bare her – Live im Bremen Teater, Kopenhagen, am 4. November 2014


Von Matthias Bosenick (06.11.2014)

Jørgen Leth hat getanzt! Nach einem sowieso schon enorm umjubelten ersten von drei ausverkauften Auftritten des Trios Vi sidder bare her im Bremen Teater war das die Krönung für das Publikum. Leth, in Dänemark beliebt für seine poetischen Kommentare der Tour de France und umstritten wegen seiner Berichte über eine Beziehung zu einer Minderjährigen in Haiti, außerdem ein ein gefeierter Regisseur und Dichter, ergänzt auf nunmehr drei Alben die Musik der beiden deutlich jüngeren Musiker Frithjof Toksvig und Mikael Simpson, indem er sie mit seinen altersweisen Betrachtungen anreichert. Das funktionierte live sogar noch besser als auf CD, besonders für jene Zuschauer, die kaum Dänisch verstehen, weil die Interaktion zwischen Bühne und Publikum eine zusätzliche, hilfreiche und mitfühlbare Atmosphäre beisteuerte.

Die Bühne sah fast kahl aus. Um die sich gegenüber gelegenen Plätze von Toksvig und Simpson scharten sich allerlei Instrumente, davor lümmelte sich Leth auf seinem Thron und blätterte in seinen Aufzeichnungen. Auch das Licht unterstrich die Sonderrolle, die dem angebeteten Mann zugedacht war: Leth war in gleißendes Weiß getaucht, die Musiker in reduziertes Rot. Das Publikum hing dem 77-Jährigen an den Lippen, jedes Wort saugte es auf – die Musik trat dabei fast in den Hintergrund, man sah nur wenige Köpfe mitnicken. So hatte es Vor- und Nachteile, fast kein Wort zu verstehen: Zwar erfasste man nicht die Stimmung des Gesagten, dafür konzentrierte man sich mehr auf die Stimmung der Musik. Simpson und Toksvig kreierten nur vereinzelte verhaltene Beats, vorrangig aber Atmosphären, Teppiche, Sounds. Bisweilen ertappte man sich bei dem Wunsch, sie sollten doch endlich mal den Hund von der Leine und die Sau raus lassen. Taten sie aber nicht. Das wäre dem Gesamtwerk auch unangemessen, als Bonus-Track aber sicherlich nett gewesen. Nichtsdestotrotz reichte es für Nicksessions, ansonsten ließ man sich gerne von den Stücken und der Stimme davontragen. Einige Sounds kamen vorbereitet aus elektronischen Tastenapparaten, sie dienten als Grundlage für das, was die Musiker dann von Gitarre, Mundharmonika oder anderen Instrumenten erzeugten. Dabei handelte es sich grob um eine Art hawaiianischen Ambient-Dub, wenn nicht einfach nur um Ambient mit vielen Schattierungen. Zwar standen die Texte ganz offenkundig im Vordergrund, doch belegt allein die Tatsache, dass den drei bisherigen Alben stets eine Instrumentalversion beliegt, dass dem Trio die Musik nicht nebensächlich ist. Am Merchandisestand gab es als limitierte Fassung sogar eine Instrumental-LP zu erwerben.

Dennoch, die Stimme des Meisters zog die Mehrheit in den Bann. Vereinzelte Worte und die Reaktionen der Zuschauer gaben Indizien, worum es ging und welche Haltung Leth ausdrückte. Die Dänische Landschaft war etwa Thema, in „Gennem Danmark“ vom jüngsten Album „Ingen regning til mig“. Er sprach über Haiti, seine liebste zweite Heimat, und erinnerte sich an Lebensmittel seiner Kindheit. An einigen Stellen lachte das Publikum, an wenigen Stellen sogar sehr ausgelassen und herzlich, und an der Art des Lachens ließ sich erkennen, dass Leth nicht für Schenkelklopfer sorgte, sondern mit hintergründigem Humor aufwartete. Die Mixtur aus einnehmender Stimme und transzendenten Sounds ließen die anderthalb Stunden des Auftritts auch für Nichtversteher im Fluge verstreichen. Ein fantastischer Auftritt in jedem Fall, ein besonderes Konzept ohnehin.

Für Details empfahl es sich, seine Begleiterinnen auszufragen. Danach ist Leth nicht ironisch, wenn er seine Betrachtungen äußert, etwa seine Fahrt durch sein Mutterland. Er meint, was er sagt. Wenn die Zuschauer lachten, dann in der Regel über Bemerkungen, mit denen er sich selbst bedachte, insbesondere über sein Alter. Die besonders belachte Passage hielten die Begleiterinnen jedoch eher für tragisch als für komisch, als Leth betonte, dass es ihm immer wichtig gewesen sei, seinen Weg zielsicher geradeaus zu gehen, und dass ihm sein Körper dieser Tage genau dieses nicht mehr ermögliche und er es nicht ertragen könne, den Weg nun schwankend zurücklegen zu müssen.

Eine Verbindung zwischen Musik und Text gab es eher nicht, die Sounds waren nicht an die Inhalte angepasst. Lediglich zwischen den Haiti-Texten und den Südsee-Klängen bestand eine Relation. Den dritten Track absolvierte Leth sogar ganz ohne Begleitung – dabei handelte es sich offenbar um eine spontane Erzählung, die das Publikum sehr erheiterte. Den Tanz am Ende hielten die Begleiterinnen für nicht geprobt: Eine von ihnen hatte Vi sidder bare her bereits live gesehen, da war Leth bei dem Stück nicht über die Bühne getänzelt.

Kleiner Celebrity-Fact am Rande: Leth freute sich, seinen Freund Torben Ulrich im Publikum zu wissen. In den 50ern bis 70ern war Ulrich ein extrem erfolgreicher Tennisspieler gewesen – und ist außerdem Vater von Metallica-Schlagzeuger Lars Ulrich. Kleiner Celebrity-Stolz des Rezensenten: Bei der Autogrammesession am Merchandisestand fiel Simpson der deutsche Akzent auf: Mit Augenzwinkern machte er darüber einen Witz, den er grinsend mit der Ghettofaust quittierte. Doch, die Faust ist inzwischen wieder gewaschen.

PS: Tillykke med fødselsdagen! 🙂