Von Guido Dörheide (15.12.2024)
Bereits zum 26. Mal laden The Twang heuer zu ihrer Country- und Western-Weihnachtsveranstaltung ein und wie zu erwarten müssen Hank Twang (voc), Marshall Twang (git), Randy Twang (b), Rusty Twang (dr), Beano Van Twang (git), „Der namenlose Karsten Twang“ (an der Pedal Steel und der Trompete – aber eigentlich ist Karsten doch ein Name, oder, Carsten?) und der Reverend (git, voc) nicht lange bitten – das Event ist bereits seit Oktober ausverkauft. Dank meines Kollegen Micha (ihn ihm sein richtiger Name ist der Redaktion bekannt) komme ich noch wenige Tage vor dem Ereignis (Occurrence, gell, Micha?) in den Genuss, zwei der längst nicht mehr zu kriegenden Karten zu erstehen: Dem Kollegen, nennen wir ihn der Einfachheit Micha, und seiner Liebsten kam was dazwischen, meine Liebste musste arbeiten, und so übernehmen Freund&Kollege Carsten und ich die beiden Karten, und was soll ich sagen? Wir amisüren uns prächtig.
Zunächst einmal sorgen wir für das gastrologische Wohl und gehen lecker essen – das ansonsten über jeden Zweifel erhabene Restaurant ist aber Dank der obwaltenden Weihnachtsfeiersaison sowas von mit Gästen angefüllt, dass a) Bestellen, b) Essen und c) Bezahlen deutlich mehr Zeit in Anspruch nehmen als geplant, und so stürzen wir erst Punkt 8 Uhr in die Brunsviga, schmeißen unsere Winterjacken auf die Garderobe und betreten den verdammt gut gefüllten Saal genau in dem Moment, in dem Hank Twang die Frage an das Auditorium richtet, ob es denn auch artig gewesen sei. Frage bejaht und The Twang legen mit einem amerikanischen Weihnachtslied los. Hank trägt zu diesem Behufe neben dem üblichen an den Seiten hochgebogenen Cowboyhut einen knallroten Anzug, von dem er später versichert, er sei aus Polyester und nicht eben atmungsaktiv, weshalb er einen Deal mit einer örtlichen Autowaschanlage habe und des Öfteren mit dem Anzug und ausgebreiteten Armen durch diese hindurchlaufen dürfe, was zunächst gewöhnungsbedürftig, aber im Endeffekt hilfreich wäre. Schwamm drüber, der Anzug putzt auf jeden Fall ungemein.
Um die Zuhörenden nicht vergessen zu lassen, dass sie sich inmitten einer Weihnachtsveranstaltung befinden, fragt Hank gleich relativ zu Anfang die Namen von Santa Claus’ Rentieren ab. Blitzen war den meisten bekannt, bei Dasher, Dancer, Prancer, Cupid und Vixen wurde es dann schon schwieriger, und am Ende enthüllte der Reverend, dass es auch ein Rentier namens Nixon gegeben hätte. Dieses sei allerdings schon in den frühen 70er Jahren von seinem Amt zurückgetreten. Überhaupt der Reverend: Seine permanente Interaktion mit Hank ist es, die das Western Wonderland neben der dargebotenen wunderbaren und über jeden verdammten Zweifel erhabenen Country-Musik zu etwas völlig Einzigartigen und Zauberhaften macht: So machen die beiden zum Beispiel gleich zu Anfang Andeutungen, dass es eine Person namens Jörg gäbe, die einen wichtigen Einfluss auf den Reverend ausübe und die der Veranstaltung auch hinter der Bühne beiwohne, in einem Pferdetrailer mit Whirlpool und Pferdetränke. Mehr wird erstmal nicht verraten und stattdessen gibt es Musik. Haufenweise Weihnachtslieder, die mit der Pedal Steel das richtige Maß an Countryfizierung erfahren (und wenn das nicht reicht, greift der Reverend zum Banjo und der namenlose Karsten zur Mariachi-Trompete), aber auch weltliche Gesänge: So zum Beispiel „Blowin’ In The Wind“, kombiniert mit der Musik von „Take Me Home, Country Roads“. Oder auch „Ace öf Spades“, das übergangslos in „Feliz Navidad“ und dann in „We Are The World“ übergeht, um dann wieder bei „Ace öf Spades“ zu landen. Oder The Twang beginnen „Walk On The Wild Side“ von Lou Reed, machen (innerhalb desselben Songs) weiter mit „I’m Walking“, dann kurz „Without Me“ von Eminem und auf einmal sind wir wieder bei „Walk On The Wild Side“. Wie machen die das?
Nun – sie machen es ganz hervorragend. Musikalisch sind The Twang wirklich hochklassig – sie beherrschen nicht nur beide Musikrichtungen, sondern sind locker in der Lage, egal welchen Song (und wenn ich sage, egal welchen Song, meine ich exakt egal welchen Song) zu countryfizieren, als wäre er nie einem anderen Genre zuzuordnen gewesen. Und springen dabei selber noch von Genre zu Genre (ohne den Country dabei wirklich zu verlassen), dass einem der Atem stockt: So bekommt zum Beispiel Marshall Twang gegen Ende des Sets die Gelegenheit, seine Heavy-Metal-Vorlieben auszuspielen, und haut dem Auditorium wundervolle harte Riffs und Soli um die Ohren, derweil Hank mittels einer Fernbedienung eine pyrotechnische Apparatur zündet, die direkt vor des Marshalls Telecaster einen Funkenregen in die Höhe sprühen lässt, und Marhall Twangs Augen leuchten ob dieses Spectaculums vor geradezu weihnachtlich-kindlicher Freude, soowas Schönes!
Irgendwann wird dann auch das Geheimnis um den geheimnisvollen Jörg enthüllt: Jörg ist ein Shetland Pony, mit dem der Reverend seit einiger Zeit zusammenlebt. Shetland Ponys, so erläutert der Reverend, seien eigens dafür gezüchtet worden, in den Minen die Wagen zu ziehen. Shetland Ponys seien also Arbeiterklasse und gewerkschaftlich organisiert. Hank deutet – wenn auch deutlich vorsichtiger formuliert – an, dass die Beziehung zwischen Jörg und dem Reverend leicht toxische Züge trägt, was sich dahingehend manifestiert, dass Jörg und der Reverend gegen Ende der Show ein Telefonat führen, in dem der Reverend dem treuen Tier versichert, dass man nun beim vorletzten Song angekommen sei und der Reverend nun bald Jörg im Pferdetrailer noch einen Möhrensaft servieren würde. An dieser Stelle wird auch der Vorverkauf für die nächste Weihnachtsshow von The Twang eröffnet, die den Titel „Fairytale Of New Jörg“ tragen werde. Namentliches „Fairytale Of New York“ wird dann auch zum Besten gegeben – mein allerallerliebstes Weihnachtslied aller Zeiten von dem unsterblichen zweitgrößten Songwriter aller Zeiten, Shane MacGowan. McGowans Rolle wird hier vom Reverend übernommen und Hank Twang singt die Zeilen, die im Original von Kirsty MacColl gesungen werden. Mehr Weihnachten geht nicht.
Muss auch nicht, denn The Twang haben noch so viel mehr Musik im Köcher, die hier auch endlich mal raus muss, und dazu Anekdoten über das Leben als Solches und im Wilden Westen im Besonderen. Wie zum Beispiel die Geschichte, die Hank Twang über Marshall Twang erzählt: Letzterer war seinerzeit an der Grenze zwischen Texas und Mexiko unterwegs, über ihm die Geier und vor ihm die Koyoten, Wasser, Wasser überall und kein einziger Tropfen zu trinken. Alsdann begab er sich in eine Bar, dort schauten ihn der Barmann, ein Koyote und zwei Geier an, Marshall verlangte Wasser und bekam zur Antwort, dass eine Dame aus Hagen (bekleidet mit einer Spandex-Hose und dort in der Ecke sitzend) alles Wasser ausgetrunken hätte und somit die Anfrage abschlägig beschieden werden müsse. Hank beginnt mit „Die Dame sagte“ und der Reverend vervollständigt „Ich bin total verwiert!“, was Hank zu einem ziemlichen Kicheranfall und der Replik „Ich werd’ verrückt, wenn’s heut’ passiert“ nötigt. Und dann spielen The Twang natürlich nicht „Nur geträumt“, sondern „99 Luftballons“.
Und so geht es die ganze Zeit zwischen Hank und dem Reverend: Beide bringen sich gegenseitig spontan zum Lachen, hier wirkt nichts einstudiert, sondern spontan rausgehauen, und dazwischen gibt es Musik von einer großartigen Band, die wunderbar aufeinander eingespielt ist, und die es feiert, dem Publikum eine wunderschöne Einstimmung auf die Weihnachtszeit zu bieten. Die besser nicht eingeläutet werden kann. Von Jörg und einem Hippopotamus.