Von Matthias Bosenick (29.03.2014)
Mory Kanté singt jetzt bei The Velvet Underground mit, und er hat ein paar Freunde mitgebracht. So klingt es zumindest, grob zusammengefasst: Zu acht grooven Tamikrest, bestehend aus Tuaregs vornehmlich aus Mali, im Kulturzentrum Hallenbad. Sie verbreiten allerbeste Laune und laden zum ausgelassenen und selbstvergessenen Tanz ein. Zwar tobt der Saal und explodiert nach jedem Song vor Begeisterung, doch ist das mit dem Tanzen nicht so einfach: Der Saal ist bestuhlt und nur wenige stehen auf und bewegen sich am Rand des früheren Schwimmbeckens. Dennoch, die Resonanz ist bombastisch und die Musik sowieso.
Die Lieder sind allesamt selbstkomponiert, also mitnichten traditionelle Folklore der Nomaden aus der Nordsahara, aber doch eng daran orientiert. Das Unerwartete liegt vielmehr darin, dass die Band ihre Songs – abgesehen von vielen Rhythmusinstrumenten – nicht mit ihrem, sondern mit Rock-Instrumentarium darbietet. Aus der Wüste übrig bleiben vertrackte Rhythmen, für europäisch geschulte Ohren ungewöhnliche Gesangsmelodien und repetetive Songstrukturen, artfremd kombiniert mit dem unverzerrten Sound von Bass, Drums und zwei Gitarren, gelegentlich Keyboard. Das erinnert an The Velvet Underground, nur ohne deren Hang zur Depression, im Gegenteil, die Stimmung bei Tamikrest ist eher positiv. Auch erinnert es an frühe 70er-Spacerock-Combos, manchmal an Rare Earth, mal an Jasper van’t Hof. Der Bass neigt zum Grooven, die eine Gitarre flirrt, die andere unterstützt die Rhythmiker. Zwei Sängerinnen, die deutlich seltener trillern als noch vor vier Jahren in Braunschweig, ergänzen das Line-Up. Vielleicht hätten sie häufiger getrillert, wenn das Publikum vor der Bühne nicht gesessen hätte. Im Laufe des Konzertes wählten gottlob zusehends mehr Zuschauer die Option, am Rande zu tanzen. Für die Band muss das seltsam gewesen sein. An der explosiven Resonanz der Sitzenden änderte das nichts: Jeder Song erhielt allertosendsten Beifall.
Abgesehen von den überraschenden auf Deutsch vorgetragenen Ansagen „Guten Abend“, „Danke schön“ und „Alles klar?“ sprach Sänger, Gitarrist und Bandchef Ousmane Ag Mossa bestenfalls Französisch. Er ließ sich seine Botschaft von einem der Percussionisten auf Englisch übersetzen: Die Band gehört zum Volk der Tamaschek und spricht die gleichnamige Sprache. Dieses Volk ist im Zuge der postkolonialen Grenzziehungen über fünf Länder verteilt und hat daher keine Rechte. Die Lieder handeln nun von den Problemen, als Tamaschek zu leben. Dennoch verbreitete die Musik eher gute als den Inhalten gemäß deprimierende Laune. Zwischendurch reduzierten Tamikrest zwar auch mal ihre Besetzung und damit die Energie einzelner Songs, insgesamt verfielen sie aber in eine ausufernde Psychedelik und ansteckende Lebensfreude. Die Musik atmete häufig den Geist der bedröhnten Post-Hippie-Ära – es fehlte eigentlich nur der Geruch süßlicher Rauchschwaden. Interessanterweise griffen Tamikrest auch Gitarrensoli der frühen Hardrock-Zeit auf, ebenso Reggae-Rhythmen. Verquickt mit nordafrikanischen Melodien, erschien die Musik dennoch nach und nach weniger fremdartig, mehr und mehr vertraut. Der frenetische Applaus nach über anderthalb Stunden war mehr als berechtigt, die Schlange am CD- und Schallplattenstand auch.