Von Matthias Bosenick (26.10.2014)
Lärm. Kaum mehr als das. Zweieinhalb Stunden lang. Mehr Lärm als Musik, und in der Musik mehr Rhythmus als Melodie. Eigentlich ist die Musik der Swans sehr simpel: repetetive Strukturen, unterlegt von Geräusch. Und doch hat diese Musik so viel Seele und Ausdruckskraft wie kaum eine andere, besonders im extremen Sektor. Die Menge wogte sich in Trance, die Band spielte sich in Glückseligkeit – zuletzt sah man den Grantler Michael Gira sogar grinsen. Ein einzigartiges Konzertereignis, das eigenwillige Vergnügen sprang auf die Besucher über. Und das bei solcher Musik, die eigentlich über lange Zeit keine ist.
Los ging es mit fast einer halben Stunde Geräusch. Zug um Zug stellten sich die Musiker handwerklich vor, zunächst mit dem Gong, nach einer Viertelstunde kam der Schlagzeuger dazu, dann der kaugummikauende Tasteninstrumentbediener, dann die drei Saiteninstrumentemalträtierer. Sie alle fielen in die tosende See, die der Gongoperator vorzeichnete, und ließen sie zu einer Sturmflut anschwellen. Abrupt schwenkten die sechs nach einer halben Stunde in einen stoischen Takt, zu dem sie nur einen Akkord spielten. Dieses Stück variierten sie in seiner Intensität, in sonst nichts, und das eine weitere Viertelstunde lang. Selbst, wenn es ewig so weitergegangen wäre, hätte es niemanden gestört. So ging es aber nicht weiter.
Erstaunlicherweise wirkte die Band anfangs gar nicht so recht sympathisch. Der Tastenmann kaute spöttisch grinsend Kaugummi, während er die Regler auf Anschlag drehte und infernalischen Lärm erzeugte. Michael Gira, der angesichts seiner zumeist deutschsprachigen Mitmusiker seinerseits Deutsch sprach, wenn auch nur wenig, wirkte arrogant, wie er mit dem Tonmann schimpfte und ansonsten kaum auch nur Kontakt zu irgendwem hatte, der Rest agierte konzentriert vor sich hin. Eine seltsame Bande, die da das gesamte Konzert über in gleißend weißem Licht die dazu konträre Musik auf die Zuschauer losließ. Doch der Eindruck gab sich mit der Zeit. Zwar fand Giras Ärger mit den zu hohen Frequenzen seiner Monitorbox erst nach amtlichen anderthalb Stunden ihren Höhepunkt und unterbrach den Gig, aber kurz vor Schluss ging er sogar grinsend auf Zuschauerfragen ein: „Why are we playing here? I don’t know.“ Berechtigte Frage: In Hannover! Aber gut so, Konzerte solchen Kalibers fehlen in der Region.
Mit „A Little God In My Hands“ wurde die Band kurzzeitig klar und hörbar. Stumpfer Midtempo-Takt, vier Töne auf dem Bass, Giras durchdringende, charakterstarke, wundervolle Stimme. Die Swans wissen, wie schöne Klänge gehen. Sie wissen aber auch, wie Lärm geht, und der kommt in dem Stück auch vor. Dafür packte der optisch an Gimli erinnernde Multiinstrumentalist, der zuvor den Gong bearbeitet hatte, eigens die Trompete aus und ergänzte so den heavy Gitarrenkrach. Der abrupte Wechsel zwischen Häschenwiese und Inferno gab den schönen Passagen noch mehr Wirkungskraft. Aber den Lärm, den mochten die Musiker an dem Abend besonders gern. Ob mit oder ohne Beat, Hauptsache Krach, und wenn der Drummer mit der Trillerpfeife oder der Percussionist mit dem Amboss auf Stahlrohren nachhelfen mussten.
Wenn Songs zu erkennen waren, stammten sie vom jüngsten, großartigen Doppelalbum „To Be Kind“, darunter neben dem Titelstück und dem oben genannten auch „Just A Little Boy (For Chester Burnett)“. Es ist schon erstaunlich. Die Swans gibt es seit 1982, sie waren in den 80ern Einfluss für extrem viele andere Bands, so benannten sich die Young Gods nach dem Label der Swans. Musikalisch gingen die Swans diverse Inkarnationen durch, vom schleppenden Death Metal über Folk und Techno bis – ja, was ist das eigentlich für Musik, die die Band heute macht? Gottlob zu sperrig für die Schublade. Und das auf Album drei nach der Reunion. Die wenigsten Bands, die sich nach einer Pause wieder zusammenfinden, erschaffen danach relevante Musik. Die Swans tun dies. Auch wenn es sich bei den Swans heute personell natürlich nicht um die Swans damals handelt. Und auch wenn live nicht immer von Musik die Rede sein kann. Was machen diese sechs alten Männer anders, dass man ihnen ihre Strukturlosigkeit nicht nur freundschaftlich abnimmt, sondern sie sogar noch feiert? Zunächst ist da die musikalische Qualität jedes einzelnen auf der Bühne. Wer so brillant schöne Passagen spielen kann, überlässt im Lärm nichts dem Zufall. Vielleicht ist es das spöttische Grinsen des Tastenmannes, das einem als Gegensatz zum konzentriert-stoischen Gebaren des Bandchefs signalisiert, dass die Band eigentlich Spaß an dem hat, was sie da treibt. Und erinnert uns Menschen dieser Lärm nicht vielleicht sogar unbewusst an die brüllende Blutzirkulation im Mutterleib, als alles noch gut und die grausame Welt noch ein ferner Ort war? Es mag auch am Tempo liegen: Die Swans überfordern den Hörer nicht mit zu vielen Details. Auch wenn die Songs tanzbar sind, geschieht in ihnen nicht so viel Ablenkedes, dass man nach zweieinhalb Stunden das Gefühl hat, eigentlich zehn Konzerte erlebt zu haben. Es fügt sich alles stimmig zusammen und bildet eine solide Einheit. Als Kontrast zum Alltag ist so eine handfeste Trance zudem ganz entspannend. Schließlich macht die Band die Trance körperlich erlebbar. Die Musik dringt mit Lautstärke und Wucht in die Hörer ein. Man fühlt sich wie in einer Supernova. Und beschenkt.
Zuletzt stand die Band „wie Schauspieler“, so Gira, am Bühnenrand und ließ sich feiern. Die vermeintliche Arroganz war verflogen. Das glückliche Gefühl nicht. Später sah man die Musiker im Foyer durch die Menge streifen. Der Tastenmann erklärte dem Rezensenten, dass Kaugummikauen den Spielrhythmus nicht beeinträchtigt, wenn man es wie er schon jahrelang geübt hat und sich vom Kaurhythmus nicht ablenken lässt, sondern den an die Musik anpasst. Und Michael Gira signierte Objekte und erläuterte entschuldigend, dass er von der Frequenz des Monitors fast taub geworden wäre. Wir auch, Michael. Danke für den Abend.
Den leitete übrigens Margaret Chardiet alias Pharmakon ein, eine extreme Soundkünstlerin aus New York, die eine Art 70er-Jahre-Industrial mit Geschrei erzeugte. Zunächst malträtierte sie Dinge und wechselte anscheinend unmotiviert den Klangerzeuger, dann ließ sie dumpfe Rhythmen erschallen und schrie sich taumelnd durch die Zuschauermenge. Was das sollte, war die Frage, die sich stellte – doch erhielt die Künstlerin für ihre halbstündige Performance massiven Applaus. Es passte auf jeden Fall zu dem Swans.