Jahresrückblick der drei KrautNick-Autoren: 2023 in Ton, Wort und Bild

Von Onkel Rosebud, Guido Dörheide und Matthias Bosenick (30.12.2023)

Seit mehr als einem Jahr wird KrautNick von drei Schreibenden gestaltet: Guido Dörheide, Onkel Rosebud und dem Herausgeber Matthias Bosenick, der sehr glücklich darüber ist, dass die anderen beiden beständig so wunderbare Beiträge liefern. Daher regte der Onkel an, dass wir drei uns nach von ihm vortrefflich ausgewählten Kategorien rückblickend mit dem Jahr 2023 befassen:

Onkel Rosebud


Persönliches Event

23.09. DJ MBB feat. Mr. Blueroom im Bärenzwinger zu Dresden. Matze hat tatsächlich das Abenteuer auf sich genommen, um mit mir in meiner ehemaligen DJ-Residenz auf einer Privatparty aufzulegen. Wir hatten einen denkwürdigen Abend. „Nemo me impune lacessit“.


Song

Loverman „Into The Night” (PIAS)

Aus Gründen, auf die ich hier nicht näher eingehen will, fuhr ich an einem trüben Dezembermorgen auf einer mecklenburg-vorpommerischen Allee-Landstraße hinter einem Laster her. Die Sonne schaffte es nicht, sich gegen den Schneegriesel durchzusetzen. Auf Radio 1 lief dieser Song.

Insbesondere als er (Sasha Papadin, nennt sich „Loverman“, keine 30 Jahre alt, aus Bath) mit Singen anfängt, war ich… ja, was war ich? Berührt.

Lola Young „Don’t Hate Me” (Universal)

Kae Tempest + Adele = Lola Young. Sie wird mal ganz groß.

Ludwig von 88 „Houlala” (Bondage Records)

Es mussten 37 Jahre vergehen, bis ich auf diese sensationelle französische Punkband aufmerksam geworden bin. „Houlala“ ist ein Smasher und gehört in jede Schultüte.


Peinlichstes Lieblingslied

Power Plush „Butterfly“ (Beton Klunker Tonträger)

Ratet mal, woher diese Band kommt? Amsterdam, Kopenhagen, Oslo, Chemnitz? Letzteres stimmt. Seitdem ich das weiß, höre ich den Song anders und bin irgendwie Stolz auf diese Pop-Perle.


Album

Various Artists „Silberland – Vol. 2 – The Driving Side Of Kosmische Musik 1974-1984” (tapete records)

Zweiter Teil der Zusammenstellung des Labels bureau b, welches Stücke aus den Bereichen Krautrock, Avantgarde Pop und Elektronik vereint. Ein buntes, äußerst unterhaltsames Allerlei zwischen Berliner Schule, Wave-Kraut und Kraftwerk-artiger Elektronik in experimenteller Ausführung.

David Eugene Edwards „Hyacinth” (Sargent House)

Sagt Euch die Band „16 Horsepower“ noch was? Mr. Edwards stand ihr vor. Wie auch bei „Woven Hand“, etikettiert mit dem Stempel „Gothic Country“. Seit 2018 ist er solo unterwegs und das 2023er Album ist ein wirklich großer Wurf. Die Aeronauten sangen einst trefflich „Mit der Zeit fängt man an, sich für Countrymusik zu interessieren“.

Kollektiv Turmstrasse „Unity Of Opposites” (Not Sorry Music)

Nico Plagemann aus Wismar aka Kollektiv Turmstrasse ist mein Lieblings Minimal-Techno-Künstler. In dem 2023er Album „Unity Of Opposites“ hat er mehrere Interluden zwischen die Tracks gebastelt, die sehr poetisch und weise sind. Betwixt!


Kinofilm

„Anatomie eines Falls“

Sandra Hüller aus Suhl ist die Beste. Ever. Sie kann so herrlich zerknietscht gucken. Und dann auch noch in einem wirklich tollen Film.


Serie

„Shameless“

In 134 Folgen (verteilt auf 11 Staffeln) wird das Alltagsleben einer prekären Familie behandelt. Die Serie kennt keine Tabus, schafft es immer, zugleich sehr witzige und derbe wie auch emotionale Momente zu schaffen, in denen die schrulligen Figuren mit jeder Folge wachsen und sich authentisch weiterentwickeln. Dazu gibt es demnächst hier noch einen Extra-Text.


Buch

Wolf Haas „Eigentum“ (Carl Hanser Verlag)

Jetzt ist schon wieder was passiert. Aber halt, unser Steirischer Lieblingsgrantler hat keinen neuen Brenner-Roman verfasst, sodern unterhält sich mit seiner Mutter drei Tage vor ihrem Tod.


Podcast

„Wendepunkte auf Vinyl“. So der Name meiner Radiosendung in der 2. Staffel (nach „Konzerte aller Zeiten“) für schlagseite auf Coloradio mit meinen besten Kumpels. Pro Sendung stellen wir uns gegenseitig eine Schallplatte vor, die unser Leben verändert hat.


Gestorben und betrauert

Rainer Erler, 8. November 2023. Regisseur von „Fleisch“, dem ersten P14-Film, den ich im Kino gesehen habe. Weil ich nicht aussah wie 14, habe ich mir in der Woche auch noch „Flammendes Inferno“ und „Das fliegende Auge“ angesehen. Später wurde sein Sohn einer meiner besten Freunde.

Guido Dörheide


Persönliches Event

Im Affenwald Straußberg mit meiner Freundin und ihrer Tochter

Trotz Navi habe ich mich auf dem Hinweg 3x verfahren (und bin dabei nicht wie sonst bei meinem Garmin üblich über die Adolph-Roemer-Straße geleitet worden). Im Wald selber wurden wir dann angepisst, was bei der Liebsten und mir einen ziemlich heftigen Lachanfall verursachte (und bei der nicht angepissten Tochter erst recht). Und beim Eis essen in Braunlage auf dem Rückweg habe ich dann noch gelernt gekriegt, dass man niemandem im Internet vertrauen soll. Ein wunderschöner und lustiger Tag, vielen Dank an Euch beide!


Song

Ich höre Musik nicht song-, sondern albumorientiert, daher habe ich mich hier schwergetan. Letzten Endes bin ich die Alben von 2023 durchgegangen und habe mich für drei Songs aus drei meiner Lieblingsalben entschieden:

  1. Baroness – Beneath The Rose / Choir
    Es ist allein schon schön, wie der Song sich langsam und leise mit Gitarre und Schlagzeug aufbaut, dann ertönt ein dreckig bratzendes Riff, das nach kurzer Zeit hochtönend und melodiös wird. John Dyer Baizley spricht zunächst mehr, als dass er singt, dann lässt er seinen Signature-Gesang ertönen, der sich immer nach „Ich stehe 3 Meter hinter dem Mikro und gröhle mal los, und ab und zu schreie ich auch mal“ anhört. Immer nach dem Gesang hören Baizley und die großartige Gina Gleeson sich dann so an, als hätten sie früher mal bei Thin Lizzy gespielt. Am Ende von „Beneath The Rose“ ist dann wieder das bratzende Riff zu hören, das nach einer kurzen Brigde dann auch den Anfang von „Choir“ bildet. Hier spricht Baizley dann noch eine Tonlage tiefer. Der Song plätschert und rattert schön unspektakulär vor sich hin und bildet somit so etwas wie den Schluss des Songs davor.
  2. entfällt, da unter 1. bereits zwei Songs abgehandelt wurden
  3. Lana del Rey – Did You Know That There’s A Tunnel Under Ocean Blvd.?
    Nein, das wusste ich nicht, aber es stimmt. Außer nutzlosem Wissen bringt uns dieses Stück alles, was Lana del Reys Musik ausmacht: Ihr leidend hingehauchter und dennoch kraftvoller Gesang, eine wundervoll traurige Melodie, kulturelle Querverweise ohne Ende und niemals kitschige, aber doch ergreifende Musikuntermalung. Und derbe Sprache natürlich.

Peinlichstes Lieblingslied

Doja Cat – Wet Vagina

Dazu meine achtjährige Tochter: „Worüber singt die da?“ Ich habe diese Frage nicht beantwortet.


Album

Diese Liste beinhaltet nicht die drei besten Alben aus 2023, dafür ist einfach zu viel Gutes erschienen. Ich habe mal wahllos drei meiner 2023er Lieblingsalben herausgesucht, und zwar alles welche, über die ich keine Rezension geschrieben habe:

  1. Billy Nomates – Cacti [doch, hast du, am 16. Januar 2023, Anm. v. Matze]
    Drumcomputer, Gitarre, Gesang und eine Haarfrisur, die im Gedächtnis bleibt – mehr braucht Tor Maries nicht, um ein simples, unspektakuläres und mit nachdenklichen und selbstbewussten Texten angefülltes Album zu machen, das für mich zu den Highlights des sich verabschiedenden Jahres zählt. Wer in den 80ern unter anderem die Smiths und alles mit Jimmy Somerville gehört hat, schließe jetzt die Augen und stelle sich vor, wie diese 80er im UK aussahen. „Cacti“ hat mit beider Musik nichts zu tun, liefert aber einen prima Soundtrack dazu.
  2. Slowdive – Everything Is Alive
    Eine der Musikgruppen, die auf Schuhe starrt, meldete sich 2017 nach 22jährigem Nichtveröffentlichens mit einem selbstbetitelten Album zurück. Weitere sechs Jahre später erscheint „Everything Is Alive“ – und, ist es? Ja, es ist. Ein ruhiges Album mit schönem Gesang von Rachel Goswell und Neil Halstead, verspielten Gitarren und flirrenden Keyboards, ich mag das sehr.
  3. Pere Ubu – Trouble On Big Beat Street
    David Thomas’ merkwürdige Post Punk/Art Rock/Avantgardeprotopunkindustrialrock-Band ist seit 1975 nicht totzukriegen und hat auch 2023 mal wieder ein Album veröffentlicht. Es beginnt mit so etwas wie einem Song („Love Is Like Gravity“), auf dem Thomas in der ihm eigenen Art zu „singen“ von Mond, Erde und Schwerkraft quietscht, krächzt und ächzt, während die Instrumente sich drum herum in eine Kakophonie von Gitarren, Saxophonen, Bass, Schlagzeug und wahrscheinlich irgendwo auch dem unvermeidlichem Theremin hineinsteigern. Aber so zugänglich bleibt es nicht, Songs wie „Moss Covered Boondoggle“ klingen nicht nur vom Titel her, sondern auch sonst so wie Captain Beefheart in seinen besten Tagen; kurz gesagt: Das Album macht 100% Laune und unterstreicht die Existenzberechtigung dieser Band auf das Eindrucksvollste.

Oh Scheiße, es ist kein Metal in der Liste, deshalb beende ich diese Rubrik mit dem Hinweis, ruhig mal in die 2023er Werke von Dying Fetus, Cirith Ungol, Blut aus Nord, Cattle Decapitation, Suffocation, Sulphur Aeon oder Alkaloid reinzuhören. Es lohnt sich. Und natürlich in „Re-Set“ von Shakin’ Stevens.


Kinofilm

When It Melts / Het smelt

Eine junge Frau kehrt zurück in ihren Heimatort, mit einem schmelzenden Eisblock im Kofferraum und schwelenden Rachegedanken im Kopf. Und während Veerle Baetens’ Film von dieser Rückkehr erzählt, wird nach und nach offenbar, was Eva seinerzeit in ihrem Heimatort erlebt hat. Irgendwann merken die Zusehenden, worauf alles hinauslaufen wird, und genau darauf läuft es auch hinaus. Ein wunderschön fotografierter und komponierter Film, der nicht umsonst auf dem diesjährigen Braunschweiger Filmfestival denn Volkswagen Financial Services Filmpreis und den HEINRICH gewonnen hat.


Serie

Good Omens (Staffel 2)

Erzengel Gabriel hat sein Gedächtnis und seine Kleidung verloren und ist nun überaus liebenswürdig (und ebenso vertrottelt), ansonsten ist in Staffel 2 alles beim alten geblieben: Aziraphale und Crowley retten die Schöpfung und hauen dabei einen klasse Dialog nach dem anderen raus, die Handlung ist noch irrer als in der ersten Staffel, ein schönes Angedenken an Terry Pratchett.


Buch

Hardy Crueger – Der Flussmann

Natürlich, was sonst! Crueger schreibt wie immer fesselnd und voller Regionalbezug, baut dabei eine schlüssige und spannende Geschichte voller Irrungen und Wirrungen auf, bei der auch die cruegertypische Brutalität und das abgrundtief Böse anschaulich zur Geltung kommen und die handelnden Personen in einer Tiefe charakterisiert werden, dass die beschriebenen Schreibmaschinenseiten dafür eigentlich gar nicht ausreichen dürfen (ressourcenschonende Literatur ist das Stichwort) und liefert damit den Thriller des Jahres ab.


Podcast

Das Werder-Märchen 2004. Die Double-Saison reloaded. (ARD Audiothek)

Ich bin kein Fußballfan und verstehe von diesem Sport auch nur sehr wenig. Dennoch musste ich mir in meiner Kindheit einen Lieblingsverein aussuchen, zur Auswahl standen Bayern München, der HSV sowie der Braunschweiger Turn- und Sportverein von 1895. Und Werder Bremen. Letzteren habe ich genommen und Otto Rehagel und Rudi Völler so tief in mein Fußballbanausenherz geschlossen, dass ich ihnen sogar einen Ehrenplatz in der Bildergalerie meines in den Farben grün/weiß gestalteten Altbaubadezimmers eingeräumt habe (s. Foto). Der NDR2-Sportjournalist Moritz Cassalette lässt in seinem Podcast die Bundesligasaison 2003/2004, in der Werder das Double aus Meisterschaft und DFB-Pokal an die Weser holten, in Echtzeit Paroli laufen. Seit August 2023 erscheint jeden Mittwoch eine neue Folge und das geht noch bis ins Frühjahr hinein so weiter. Mit haufenweise Kommentaren der damaligen Akteure wie Thomas Schaaf, Klaus Allofs und natürlich immer wieder Ailton wird die größte Zeit für Werder Bremen lebhaft nacherzählt und es werden auch bisher unbekannte Geschichten erzählt, Geheimnisse gelüftet und mit Mythen aufgeräumt. Und das in einer Art und Weise, die selbst den hartgesottensten Fußballverweigerer unweigerlich zum Werder-Fan macht.


Gestorben und betrauert

Shane MacGowan

Normalerweise habe ich in der Vorweihnachtszeit immer einen Weihnachtslieder-Ordner auf dem mp3-Player in meinem kleinen roten Auto, der vorwiegend Heavy-Metal-, Punk- und Country-Weihnachtslieder enthält. Und natürlich „Fairytale Of New York“ von den Pogues und Kirsty MacColl. In diesem Jahr kam ich nicht dazu, den ganzen Babel auf den Gerät zu kopieren, weil ich im Auto immerzu Podcasts höre (über Fußballgötter, Serienmörder und Michael Schumacher). Nun ist Shane MacGowan, der Autor von „Fairytale“, tot. Die Bravo gab ihm ob seines weingeisthaltigen Lebenswandels schon in meiner Kindheit (vor knapp 40 Jahren) nur noch wenige Monate zu leben, nun sind es doch noch einige Jahrzehnte geworden. Die Zeit, in der MacGowan mit den Pogues sozusagen die Meisterschaft und den Pokal gleichzeitig holte, währte nur von 1984 bis 1988 (nach „If I Should Fall From Grace With God“ folgte nichts mehr, das diesem sowie „Red Roses For Me“ und „Rum, Sodomy And The Lash“ auch nur annähernd das Wasser reichen konnte), aber in dieser Zeit hat er Songs geschrieben, die selbst die Ewigkeit noch überdauern werden. Wenn ich jetzt in meiner Altbauküche Pogues-Alben auflege, muss ich zunächst immer weinen. Anschließend genieße ich die wunderbaren Lieder und Shanes unglaublichen Gesang.

Matthias Bosenick


Persönliches Event

Das waren derer zwei, die kulturell herausstachen. Der Gig von De Staat am 14. April in der 60er-Jahre-Halle im Faust, Hannover: Guido und ich verfolgten diese Mischung aus religiös-fanatischer Messe und Motivationsworkshop mit wechselvoller unkategorisierbarer Musik. Mit „Witch Doctor“ inmitten des Circle Pits und Döner im Anschluss. Das Auflegen auf Einladung von Onkel Rosebud alias Mr. Blueroom am 23. September im Bärenzwinger in Dresden: Wo andere Leute (und ich selbst) Urlaub machen, ausnahmsweise mal zur Arbeit zu gehen, von der Neu- in die Altstadt, über die Elbe, in den Club in der Stadtmauer, in der der Onkel dereinst der Hausbeschaller war, und dort einen nachhaltig bemerkenswerten gemeinschaftlichen Abend verleben, war ein Geschenk.


Song

Ren – Hi Ren (Ren Gill, Download-Single)

Mein Freund Addi, der zu VW-Zeiten dort mein Software-Admin war und den ich selbstredend über Musik näher kennenlernte, empfahl mir diesen jungen Rapper, der in „Hi Ren“ zur Akustikgitarre rappend achteinhalb Minuten lang seine Odyssee durch Nervenheilanstalten schildert. Mitreißender, als es sich liest. Leider nicht auf dem Album „Sick Boi“ enthalten.

Myrkur – Mothlike (Relapse Records, auf „Spine“)

Amalie Bruun aus Kopenhagen brachte als Myrkur mehrfach die Trve-Black-Metal-Gemeinde gegen sich auf: Zunächst damit, dass sie es als Frau wagte, in dem Genre zu reüssieren, dann, dass sie plötzlich Kammerchormusik und Folklore unter dem Label Black Metal veröffentlichte, und nun, indem sie den brillanten Pop von den Landsnachbarn Abba in ihren Metal einbettet. Und das auch noch so großartig. So geht das.

De Staat – What Goes, Let Go (Virgin/Universal, auf „Red/Yellow/Blue“)

Günther alias Doktor 420 spielte vor sechs Jahren erstmals „Kitty Kitty“ auf einer Veranstaltung von unserem vierköpfigen DJ-Team Rille Elf. Was mir seit Jahrzehnten kaum wiederfuhr, geschah sofort: Ich fiel augenblicklich in Liebe. Und verabscheute trotzdem das dazugehörige Album „Bubble Gum“. Das neue, „Red/Yellow/Blue“, und der ältere Hit „Witch Doctor“ versöhnten mich mit De Staat. Die zu so etwas überzeugend Sanftem wie „What Goes, Let Go“ ebenfalls in der Lage sind.


Peinlichstes Lieblingslied

Electric Callboy – Hurrikan (Century Media)

Schlager nach 1980 verabscheue ich (danke, Flippers), Metalcore ist nicht meine Tasse Bier – die Kombi aus beiden, garniert mit diesem Video zwischen dem Wendler und George A. Romero, fesselt mich wie andere Zeitgenossen ein Verkehrsunfall auf der Gegenfahrbahn der Bundesautobahn.


Album

Yo La Tengo – This Stupid World (Matador Records)

Die alten Indierock-Held*innen aus Hoboken, New Jersey, bringen’s Mal um Mal wieder, ihre Mischung aus Noise und Twang, Pop und Zerstörung, Harmonie und Wiederholung, Chillig und Brockig überzeugend darzubieten. Verlässlich seit fast 40 Jahren.

Swans – The Beggar (Mute/Young God Records)

Die Swans sind eine der ganz wenigen Bands, die nach einer Reunion musikalisch relevante Musik veröffentlichten. Mittlerweile ist die Zahl der Comebacks so wenig zu beziffern wie die der Alben, die dann auch noch unendlich lang sind: „The Beggar“, nach eigener Zählung erst das 16. Album seit 1982, bringt es auf zwei Stunden, von denen das Titellied allein länger (und einfallsreicher) ist als ganze Alben anderer Bands. Lärm steht bei den Swans ganz vorn, kontrastiert von repetitiven Mantras, vorgetragen von Bandchef Michael Gira mit seiner durchdringenden Stimme. So bombastisch, dass selbst zwei Stunden zu kurz sind.

Sâver – From Ember And Rust (Pelagic Records)

Ein zweites Album ist ja musikhistorisch immer schwierig, ebenso aus anderer Sicht das dritte und eigentlich überhaupt jedes nach einem Überraschungserfolg. Das Trio Sâver aus Oslo umgeht diese Problematik, indem es sein zweites Vollzeitalbum „From Ember And Rust“ einfach geil macht, losgelöst von Erwartungen und Erfolgsdruck. Den hat man im Doom-Hardcore-Sludge-Bereich ja ohnehin nicht so.

Hier könnten noch so viele weiter Alben stehen, aber es sollen nur drei sein – daher fehlen etwa die ganzen Platten von Jörg A. Schneider, „Songs Of Silence“ von Vince Clarke, „Right Place, Wrong Time“ von Anuseye, „Bateau Ivre“ von 100 Guitares Sur Un Bateau Ivre, „Heat“ von Automat, „Provincetown“ von Man On Man, „Such Ferocious Beauty“ von den Cowboy Junkies, „Om hundrede år“ von Afsky, „Silver Haze“ von Sqürl, „X“ von Goethes Erben, „Privolva“ von Scared Son, „Montagne Explosion“ von Edredon Sensible, „Absent“ von Nac/Hut Report, „Ash“ vom AVA Trio, „Till Birth Do Us Part“ von Sermon, „Water, It Fells Like It’s Growning“ von Atsuko Chiba und diverse mehr. Aber bei drei ist ja Schluss.


Kinofilm

„Gondola“ von Veit Helmer

Eigentlich gehören hier an die erste Stelle auch „Fallende Blätter“ von Aki Kaurismäki, „Perfect Days“ von Wim Wenders und „The Old Oak“ von Ken Loach. Eins über allen ist jedoch die sprachlose Bilder- und Ideenexplosion „Gondola“, in der Helmer zwei georgische Seilbahnschaffnerinnen auf dem Weg in die Liebe begleitet. Aberwitzig! Und offiziell erst im März 2024 im Kino (lief beim Braunschweiger Filmfest).


Serie

„Kleo“ (Netflix)

Das kam unerwartet, dass eine neuere Serie mich mal so packt, und dann noch eine aus Deutschland. In „Kleo“ will die titelgebende Ex-Stasi-Killerin nach der Wende herausfinden, wer sie einst in den Knast brachte. Es rollen die Köpfe nicht einfach nur, und die Dialoge und sonstigen Ideen sind auch noch prächtig. Tarantino nickt anerkennend zu.


Buch

Hardy Crueger – Der Flussmann (CW Niemeyer)

Braunschweigs intensivster Thrillerautor schickt die Lesenden in die Irre: Wurde der Mann im Fluss wirklich ermordet, wie seine Frau glaubt? Ist sie womöglich selbst die Täterin? Bringt sie sich mit ihrer Social-Media-Methode unnötig in Lebensgefahr? Im Kopf des Autoren muss es unbequem zugehen, bei den vielen verstörenden Einfällen! Eine Ehre für mich: Ich durfte das Buch lesen, bevor es an den Verlag ging.


Podcast

Contendo Media – Hörspiele

Als Kind der Drei Fragezeichen und der Fünf Freunde sind es bis heute Hörspiele, die mich mehr reizen als TV-Serien (und Hörbücher und Podcasts). Von den Fünf Freunden braucht man nur die ersten 21 Episoden, von den Drei Fragezeichen gibt es seit über 20 Jahren kaum ein Dutzend brauchbarer Folgen, die Serien „Point Whitmark“ und „Gabriel Burns“ ruhen wegen des eingeschnappten Erdenkers Volker Sassenberg, die Sherlock-Holmes-Serie mit den neuen Fällen endete mit dem Tod der grandiosen Sprecher Christian Rode und Peter Groeger – da tritt plötzlich Christoph Piasecki auf den Plan, schreibt griffige Skripte für haufenweise Krimi-, Thriller-, Humor- und Horror-Serien und sammelt grandiose Sprecher um sich. Hat sich was mit Einschlafen zum Hörspiel!


Gestorben und betrauert

Kevin Geordie Walker

Stellte man mir die Frage nach einer Lieblingsband, sähe ich mich dazu genötigt, aus den Hunderten, die in Frage kämen, eine auszuwählen, und dies wäre Killing Joke. Gitarrist Geordie ist als einziger außer Sänger Jaz Coleman auf allen Alben zu hören und von Anfang an durchgehend dabei – es ist nicht auszudenken, wo dieses alte multifunktionale Postpunk-Schlachtschiff jetzt ohne ihn hinsteuert. Und ob überhaupt.