Von Matthias Bosenick (17.11.2024)
Da geht man mehr als 30 Jahre lang auf Konzerte und bekommt im Jahre 2024 etwas geboten, das weltweit sicherlich an einmalig grenzt: Inmitten des Planetariums geben die lokalen Spacerocker Grass Harp ihr erstes Konzert in Wolfsburg seit sieben Jahren, präsentieren ihre neue Fünf-Song-EP „Motodrome“ und lassen sich spektakulär von Projektionen in der Kuppel begleiten. Der vermutlich lediglich imaginierte Duft von frisch gerauchtem Gras hängt in der Kuppel, das Publikum hängt in den gemütlichen Liegesitzen und die Seele hängt im All herum. Einziger Wermutstropfen: Anders, als es das Weltraumthema suggeriert, ist das Konzert nicht unendlich.
Mit „Domestic Tasks“ von Sébastien Tellier senkt sich die Dunkelheit über das in der Kuppel sitzende Publikum. Ein tranciger Vocoder-French-House-Track eröffnet für die Stoner-Space-Psychedelik-Rocker? Ja, und es passt vorzüglich, denn auch Grass Harp integrieren bisweilen elektronische Drums in ihr Set. Bereits hier offenbart sich zudem, wie grandios der Sound im Planetarium ist, kraftvolle Bässe, klare Höhen, als befände man sich mitten in der Band. Im Grunde verhält es sich ja auch genau so: Lediglich Schlagzeuger Andy Silver sitzt genau an der runden Wand, alle anderen, Bassist Murgl Krüger, die Gitarristen Bo Müller und Fritz Aly sowie der mit weißen Handschuhen und einer spacigen Brille ausgestattete Sänger Gero Lütkemüller, performen in der Mitte des Kreises, den die ringförmig angeordneten Kuschelstühle frei lassen. Und über dem sich die weiße Kuppel erhebt, auf der die Band Dank dezidiert gesetzter LED-Leuchtbalken raumgreifend Schatten wirft, sofern keine Projektion zu sehen ist. So passt es auch perfekt, dass so ziemlich das erste Instrument, das man zu hören bekommt, das von Gero selbstgebaute und mit blau angeleuchteten weißen Handschuhen bekleidet gespielte Theremin ist, ein an Spacigkeit nicht zu übertreffendes Instrument.
Und wie schön alles zusammenpasst, die Bilder und die Töne! Selten bedienen sich Grass Harp für die Visualisierung bei abstrakten Motiven, zumeist sind es solche aus dem All, mit Planeten, Monden, Meteoriten, der Sonne, der Erde, fliegenden Sternen, Wurmlöchern, Milchstraßen. Einmal verglüht sogar die Erde in der Sonne. Mal spannen sich Planeten erdrückend über den Köpfen der Anwesenden, mal rotiert die Leere es Weltraums gemächlich um sie herum. Man versinkt in der Kombination aus Musik und Bildern, man driftet genau dahin, wo die Band einen haben will: in die innere Unendlichkeit, in die Selbstvergessenheit.
Mit der „Cosmodrome EP“ fand die Band 1994 ihre jetzige Besetzung, kurz nach der Veröffentlichung des Debüt-Albums; aus der Zeit der zurückliegenden 30 Jahre bediente sie sich daher auch für das Programm, inklusive dem Großteil der Songs der neuen „Motodrome“-EP, der ersten Veröffentlichung seit „Play It On The Hill“ 2006. Diese neuen Stücke sind etwas kompakter, rockorientierter als die älteren, die die Aspekte von Stoner, Space und Psychedelic elementarer hervorheben. Geros Ansage, die Band spiele mit „Meadow Glow“ ein älteres Stück, ist natürlich etwas kurios, schließlich sind alle Stücke von Grass Harp, bis auf eben diese fünf von „Motodrome“, älter.
Und wie geil die Band spielt! Wie dieser Bass fundamental hervortritt, wie die Gitarren einander umschwirren, wie das Schlagzeug Akzente setzt und Grooves voranbringt, und wie der Gesang mantraartig in den Soundkosmos einfällt. Und immer wieder greift Gero genau nicht auf das Theremin zurück, ansonsten wäre es schließlich nicht zu hören.
Ein überwältigender Abend in einer überwältigenden Kulisse. Mit überwältigendem Feedback, das Publikum fand aus dem Schwärmen und aus dem Planetarium kaum heraus. Was Wunder, so selten, wie hier solcherlei Aktivitäten stattfinden; doch nimmt es stets Wunder, wie glücklich das Wolfsburger Publikum immer ist, wenn es etwas Passendes geboten bekommt. Überall Dankbarkeit, überall strahlende Gesichter, überhaupt, es wirkte wie ein Klassentreffen glücklicher Menschen. Las Vegas hat seine Sphere, Wolfsburg eins mehr: Hier ist es Sphünf!