Von Matthias Bosenick (05.11.2012)
Als ich dann endlich stolzer Besitzer eines Tickets und damit in der Halle war, konnte ich über die anderthalb Stunden davor nur lachen. Doch während ich noch an einem kalten Freitagabend im November vor dem Pumpehuset auf und ab ging, in der allmählich sinkenden Hoffnung, auch nur einer der ankommenden Gäste würde sein Ticket zu dem lange ausverkauften Gojira-Konzert vielleicht erschwinglich an mich abtreten wollen, waren Blut und Wasser das wenigste, das ich schwitzte. Immerhin hatte ich nur einen Leidensgenossen und damit Konkurrenten, der sich zu meinem großen Glück allerdings als mein Unterstützer und Retter erwies. Und das Konzert war auch gut.
Noch bevor ich meine alljährliche Reise nach Kopenhagen antrat, las ich zu meinem Entsetzen im Internet, dass das Gojira-Konzert ausverkauft war. Seltsam genug, kennen doch in Deutschland nicht mal Metalheads die französischen Prog-Death-Metaller. Und in Kopenhagen war das Konzert sogar ausverkauft, an 600 Fans, wie es vor der Tür jemand sagte. Dabei hatten Gojira erst im Sommer beim Copenhell-Festival gespielt, man sollte also meinen, die Dänen hätten bald genug gehabt. Mitnichten. Tja: Eine Abendkasse gab es nicht, eine Warteliste auch nicht, also war meine letzte Chance, vor dem Eingang die Leute abzufangen.
Der Druck, womöglich das Ersehnte gar nicht zu erleben, ließ mich den Tag etwas verkrampft durchleiden. Und ich verkrampfte umso mehr, je näher der Konzert-Beginn rückte, der für 21 Uhr angesetzt war. Gegen 18.30 Uhr probierte ich es im Backstagebereich, da hieß es, komm in einer Stunde wieder, da machen die Leute von der Ticket-Gesellschaft die Pforten auf. Nach einer Runde um den Block stand ich aber schon um 19 Uhr wieder vor dem Pumpehuset. Die ersten Gäste trudelten bald ein. „Hast Du ein Ticket über?“, war meine Standardfrage, auf Englisch. Mich überraschten die Reaktionen: kein gehässiges Kichern, sondern offenes Mitgefühl bei den Gojira-Fans. Die gar nicht wie die typischen Metaller aussahen und zu einem wiederum überraschend großen Teil weiblich waren. Mit vielen kam ich ins Gespräch. „Viel Glück“, sagten die meisten, „für eine Million“ wollten nur zwei ihr Ticket loswerden.
Dann der Schreck: Mit Kenn gesellte sich ein zweiter Ticketloser zu mir. Doch er schlug einen Pakt vor: Wir fragten ab sofort nach zwei Tickets und informierten im Glücksfalle den anderen gleich mit; wer nur ein Ticket bekommt, hat eben Glück gehabt. Abgemacht. Kenn kam aus einem Kopenhagener Vorort und kannte gefühlt jeden zehnten Ankommenden. Viele blieben bei uns stehen, einige seinetwegen, andere, weil sie auf Freunde warteten, wiederum andere, weil sie meine Geschichte hören wollten. „Wie, extra aus Deutschland angereist wegen Gojira?“, nein, so romantisch war es nicht. Indes, ein Ticket fiel dabei nicht ab, dafür viele lustige Gespräche. Nach etwas über einer halben Stunde hatte dann Kenn Glück: Einem Schweden kaufte er dessen Ticket ab. Dafür musste er allerdings noch Geld wechseln gehen, weil der Schwede die 242 Kronen exakt haben wollte, anstatt auf die zwei überhängenden zu verzichten. „Das musste wohl sein“, stellte Kenn anschließend breit grinsend mit Blick auf das personalisierte Ticket fest: Der Schwede hieß auch Kenn. Meine Enttäuschung war groß. Und Kenn ein echter Freund: „Ich bleibe bei dir, bis wir auch für dich ein Ticket gefunden haben.“ Respekt, und danke! Er sprach schließlich Dänisch und hatte da mir gegenüber einen Vorteil.
„Immer noch kein Ticket?“, stellten Leute fest, die vom Essen- oder Bierholen zurückkamen. Immer noch kein Ticket. „Wir müssen 600 Gäste ansprechen“, alberten Kenn und ich herum. Ein Kenn bekanntes Trio trank seine Biere bei uns. Einer mit langen Zotteln, einer mit einem ZZ-Top-Bart, einer normal aussehend, alle mit Anekdoten und Musiktipps. Drei Frauen hatten sich Kaffee besorgt: „Immer noch kein Ticket?“ Nee. Ein leicht gruftiges Paar stand bei uns und unterhielt sich ab und zu mit mir, wenn ich nicht gerade Leute ansprach, stets vergeblich. Zwei andere Jungs warteten auf einen Freund, der ihre Tickets mitbringen wollte. Einer von ihnen rief einen Kumpel an, der im Pumpehuset arbeitet, ob der mich umsonst reinlassen könnte, doch der Kumpel hatte genau an dem Abend dort keinen Dienst. Meine erstaunte Güte, so viel Anteilnahme! Und die Zeit verrann.
Dann war es wieder Kenn. Ich hörte nur einen lauten „Ey!“-Schrei und wusste, dass ich gemeint war. Kenn stand bei einer Kopenhagenerin, die sich nicht einig war, ob sie das Konzert überhaupt sehen sollte. Sie habe am Sonntag Geburtstag und ihre Wohnung aufzuräumen und deshalb gar keine Zeit. Sie sei also noch unentschieden? Ja, noch unentschieden. Was könne denn ihre Entscheidung beeinflussen? „Wie viel würdest du mir denn für das Ticket geben?“ Oh nein, sie will pokern. Was sage ich, ohne geizig zu wirken, aber ohne zu viel zu bezahlen? 260 Kronen? Sie zögerte. „Okay.“ Okay? „Okay.“ Juhu! Ich rief nach Kenn, dass er die Suche aufgeben könne. Er hatte den nächsten Einwand: Lassen mich die Türsteher mit einem Ticket rein, auf dem ein Frauenname steht? Die Idee: Einfach die Leute vom Veranstalter fragen. Die Security ließ uns eintreten. Die Frau und ich standen am Tresen, ein Mitarbeiter unterhielt sich auf Dänisch mit ihr. Er nickte nicht, er sprach nur ausdruckslos mit ihr. Ich konnte nicht erkennen, welche Haltung er hatte. Kenn kam dazu und fragte ihn über den Kopf der Frau hinweg direkt: „Und, geht es?“ Der Mann sagte: „Es geht.“ Das musste ich nochmal hören: Geht es? „Ja, es geht.“ Die Frau und ich gingen vor die Tür, um den Deal klarzumachen. Ich gab ihr 265 Kronen, weil ich so glücklich und sie so freundlich war. Wir quatschten noch kurz, aber ich wollte die Chance nicht vertun und dringend rein, damit sich niemand etwas anders überlegt oder die Abmachung vergisst. „Denk warm an mich, wenn sie ‚Born In Winter‘ spielen“, sagte sie. „Nur für den Song wollte ich Gojira sehen.“ Ich versprach’s, wünschte ihr eine tolle Feier am Sonntag und löste mein Ticket endlich ein.
Alles war gut. Ich war drin. Die Treppe hoch, in den locker gefüllten, hellen Raum. Anderthalb Stunden lang hatte ich auf diesen Moment gewartet, ganz abgesehen von den Tagen davor, seit ich wusste, dass das Konzert ausverkauft war. Da fiel ganz viel von mir ab. Als wäre dieses Gefühl nicht geil genug, machten es die Gäste im Pumpehuset noch geiler. „Hey, du hast ein Ticket bekommen“, riefen Leute. „Du hast ein Ticket!“, „Hey, du hast ein Ticket gekriegt!“ Ich konnte kaum eine Runde drehen, ohne mir zumeist völlig unbekannt vorkommenden Leuten die Geschichte von der Frau erzählen zu müssen. Ich traf die drei Frauen wieder, das gruftige Paar, das Metal-Trio. Sie alle strahlten mich an: „Hey, du hast ja ein Ticket!“ Unfassbar. Ich war doppelt glücklich.
Aber so verhielten sich die Leute auch untereinander, eine Tatsache, die mir in Kopenhagen, in Dänemark immer wieder auffällt: Man spricht sich einfach an, irgendwo, überall, immerzu. Man hilft sich, auch bei ungewöhnlichen Vorhaben: Rings um die Halle war in Überkopfhöhe eine Holzbalustrade angebracht, auf die sich einige Gäste setzen wollten, darunter auch aus dem Frauen- und dem Metaller-Trio von vor der Halle, was nie ohne Beeinträchtigung des Umfelds vor sich ging, schließlich zappelten Füße auf Kopfhöhe herum. Aber keine Spur von Ärger: Die Umstehenden halfen den Leuten beim Klettern, immerzu, egal, wie oft sie hoch- und herunterkletterten. Mit meinem Stehnachbarn sprach ich über französischen Metal. Er kannte noch eine Band mehr als nur Trust, deren Namen ihm aber nicht mehr einfiel. Wir lernten bei dem Konzert noch eine weitere kennen, denn Gojira waren nicht alleine da.
Kaum fünfzehn Minuten, nachdem ich den Raum betrat, und damit eine knappe halbe Stunde vor dem eigentlichen Beginn, eröffneten Klone den Abend. Und die Dänen waren sofort dabei, Party, wohin man nur blickte, Mattenschütteln, Leisefüchse. Klone erinnerten an eine straightere Variante von Tool, waren sehr heavy und hatten einen Typen mit Blasinstrument dabei, der allerdings nicht zu hören war und vermutlich nur interessante Bühnendeko. Die Musik war kompakt und gewaltig mit wirkungsvollen Breaks. Die vielen Frauen im Publikum nickten anerkennend mit. Mit einem schleppend-doomogen „Army Of Me“, im Original vom Björk, schlossen Klone und überzeugten alle.
Trepalium folgten, eben Franzosen wie Gojira, aber weniger eingängig. Zwei Todesengel blickten von der Bühne herab, nach Tod klang auch die Musik: Death Metal erster Kajüte, allerdings, wie der Sänger treffend unterschied, „Boogie Death Metal“. Stimmte, man konnte zu den Stücken tanzen, wenn man sich erstmal an das brutale Brett gewöhnt hatte. Und was war das Brett brutal. Die Frauen rückten etwas ab, dafür flogen umso mehr Matten im Moshpit. Geile Breaks, klare Riffs, Dreivierteltakt zum Abschluss: Die Party brannte.
Von der „The Flesh Alive“-DVD kannte ich sie schon, die rhythmischen „Go-ji-ra!“-Rufe des Publikums. Mein Metaller-Trio und Kenn hatten die schon auf der Straße skandiert, noch bevor Kenn sein Ticket hatte. Und jetzt stimmte ich mit ein: „Go-ji-ra!“. Und Gojira legten los. Sie bewiesen, dass sie trotz aller Progressivität aus dem Death Metal kamen. Meine Herrn! Die gutgelaunten Tapping-Melodien kamen erst später richtig zur Geltung. Party pur. „That’s fuckin‘ awesome“, brüllte mir der Bartträger aus meinem Metal-Trio zu, als er von der Balustrade kam und neues Bier holen wollte. Allerdings, da hatte er Recht.
Das neue Album „L’enfant sauvage“ stand im Mittelpunkt der Show. „Wer kann es aussprechen?“, fragte Joe Duplantier die Dänen. Die Antwort war zwar kaum zu verstehen, aber er fand es „schon ganz gut“. Ältere Stücke spielten Gojira auch, unter anderem das fantastische „Oroborus“, das die „The Flesh Alive“-DVD eröffnet, kopierten deren Tracklist aber nicht. Mein Favorit „A Sight To Behold“ etwa fehlte, aber nicht so schlimm. Zwischendurch tobte sich der Drummer mit einem Solo aus. Der baumgefüllte Kopf vom Cover des neuen Albums war übrigens die einzige Bühnendeko, auf die die Band dann gelegentlich kleine passende Filmchen projizierte. Hinter dem Kopf prangte ein romantischer Sternenhimmel. Auch Gojira kommen ohne die üblichen Metal-Insignien aus.
„Ich denke, dieser Typ spricht Dänisch“, sagte Duplantier an einer Stelle und überließ einem Kerl mit blankem Oberkörper sein Mikro. Womöglich; die zwei Silben, die der Typ brüllte, ergaben für mich keinen Sinn. Einige Leute aus dem Publikum antworteten irgendetwas mir ebenso Unverständliches. Der Typ wiederholte das so oft, bis die Antwort chorartig laut zurückschallte. Dann ließ er die Meute rhythmisch einen „Hey“-Ruf skandieren, der exakt ins nächste Stück von Gojira passte, und verließ die Bühne einfach wieder.
Um Mitternacht war Schluss. „Wirklich, ihr könnt nach Hause gehen“, rief Duplantier. Machten die 600 dann auch. Draußen traf ich Kenn wieder, der jetzt den Auftrag hatte, Demo-CDs zweier Bands, Sticker und Flyer an die Leute zu verteilen. „Hey, du hast ja ein Ticket bekommen“, riefen mir wildfremde Leute nach. „Hej tyskerne“, hörte ich von den Zweien, die mich über einen Kumpel umsonst reinbringen wollten. Ich kann der Frau nur dankbar sein. „Born In Winter“ spielten Gojira zwar nicht, aber ich dachte trotzdem warm an sie. Danke, Pernille!
Setlist Gojira:
Explosia
Flying Whales
Backbone
The Heaviest Matter Of The Universe
L’enfant sauvage
The Art Of Dying
Toxic Garbage Island
Tron
Wisdom Comes
Oroborus
Drum Solo
Clone
The Axe
Vacuity
The Gift Of Guilt
Hej Du, Hört sich ja Spitze an!
Tja, so sind Wir Dänen:-))
Kærlig hilsen Hanne
Det er derfor jeg elsker danskerne 🙂
\“Denk warm an mich\“…..\“tænk varmt på Mig\“
Perfekt:-)))))
Du hast das Vermögen so zu schreiben, dass ich glaube selbst dabei gewesen zu sein:-))
Kærlig hilsen Hanne