Von Matthias Bosenick (31.07.2022)
Ein Abend voller Liebelingslieder, auch solcher, die man vorher noch gar nicht kennen konnte. Mit Schlagzeug aus der Konserve, diversen Saiteninstrumenten und Megaphon kredenzt das Duo Fly Cat Fly in Harrys Bierhaus eine Sorte Indierock, die viel breiter aufgestellt ist als nur durch das, was man sich unter dem Wort vorstellen mag. Epische Ausmaße nehmen die Songs an, transportieren Dunkelheit und Tanzbarkeit, Leben, Energie, Aufruhr, Widerstand, Resignation und Aufrappeln. Oft zweistimmiger Gesang, viele wavige Gitarrenflächen, sich steigernde Energie und einnehmende Melodien – Bassistin Sina Lempke und Gitarrist Cord Bühring überwältigen ihr Publikum mit eigenständiger, besonderer, großartiger Musik. Um es im Twitter-Deutsch zu fragen: Wann neues Album?
Bei der Konstellation kann man sich Abweichungen, Improvisation, Soli gar nicht vorstellen: Da Fly Cat Fly seit Jahren zum Duo geschrumpft ihr Schlagzeug vorprogrammieren, alternierend synthetisch und selbst eingespielt, sind die Grenzen ihrer Livesongs im Grunde gesetzt, man folgert mithin, dass sich die Liveversionen nicht von den Studioversionen unterscheiden dürften. Welch ein Irrtum! Allein die Instrumentenwahl, die Gesangsintensität, die Heftigkeit der gespielten Gitarren lässt Raum für Eigenständigkeit, und das Duo offenbart, welche Energie es eben live in die eigenen Stücke zu legen weiß.
Die Grundlage mag stets Indierock sein, aber: Zum Eingang performt das Duo einen Song ausschließlich zu Metronom und Akustikgitarre, und da zeigt sich schon, wie hoch energetisch die beiden agieren. Sobald Drums hinzukommen, gestalten sie ihre Stücke episch, geben ihnen Raum, zum atmen, sich zu entfalten, zu wachsen, sich zu entwickeln, in ungeahnte Richtungen: Da wird aus dem elfminütigen „Eight Minute Run“, das ähnlich wie „Psychonatut“ von den Fields Of The Nephilim mit einer repetetiven Saiteninstrumentenmelodie beginnt, nach vielen Minuten erst zum wuchtigen Progrocker, und man fragt sich, warum es nicht viel mehr so mutige, experimentierfreudige, verspielte Bands gibt. Fly Cat Fly haben ein Alleinstellungsmerkmal – und das ist ihre Musik.
Rund die Hälfte der dargebotenen Stücke sind neu, Vorboten des in Arbeit befindlichen Albums. „Die sind ein bisschen anders“, sagt Cord, und eigentlich stimmt das nicht: Auch wenn ein Stück mit stampfenden Beats tanzbarer ist als die älteren Songs, ist der Doppelgesang von Sina und Cord gleich wieder sehr Fly Cat Fly. Der Aufforderung „Dance With Us“ kommt man indes nicht nur bei einem Uptempostück wie diesem nach, man versinkt in Trance, auch wenn es langsamer wird, denn der Sog der Musik ist immens. Und am Ende ist es Flut. Auf ihrer Setlist notierte Sina hinter einigen Titeln „Mega!“; man möchte es hinter jeden schreiben, aber hier bedeutet es, dass sie im entsprechenden Stück das Megaphon für ihren Gesang einsetzt. Auch das kommt mega.
Für Fly Cat Fly ist es eine Rückkehr zu den Anfängen – sowohl ihrer selbst als auch des Bierhauses: Als Werner und Annette es seinerzeit übernahmen, hatten sie für das Eröffnungswochenende am Samstag eine Band gebucht. Da kamen Sina und Cord vorbei und fragten, ob sie nicht schon am Freitag spielen dürften. Werner gab die zu kurzfristige Werbezeit zu bedenken, doch das Duo versicherte ihm, das zu übernehmen. Er sagte zu – und das Bierhaus war am 24. April 2015, noch einen Tag vor der eigentlichen Eröffnung, schon rappelvoll. Ebenso jetzt im Juli 2022, und ringsum sind nur glückliche Gesichter zu sehen. Bei einer mehrheitlich nicht so fröhlichen Musik ist das große Kunst. Der dürfte schon jetzt das Konzert des Jahres gewesen sein – aber es gibt harte Konkurrenz: Am 1. Oktober spielen Fly Cat Fly im Kufa-Haus, mit dem Krügerglantzquartett, und feiern dann ihr Zehnjähriges.