Von Matthias Bosenick (18.03.2019)
Müller und die Platemeiercombo ist tot, es lebe die Müller-Verschwörung, die aus grafischen Gründen im Original ohne Bindestrich auskommen muss. Da Heil und Plate keine Zeit mehr haben, reformierte Müller mit Meier die Combo und holte sich Roland Kremer als neuen Sänger sowie Olli als neuen Schlagzeuger dazu. Damit hat man trotz gelegentlichen Rückgriffen auf die Platemeierdiscographie eine neue Band vor sich und muss sich damit arrangieren, dass nun einiges anders ist. Die größte Veränderung liegt im Gesang und in der Folge daraus in den Texten. Es bleiben die außergewöhnlichen Rhythmen und Kompositionen, die psychologisch fundierte linke Haltung und mit jedem Konzert nicht nur eine amtliche Mitwippgarantie, sondern ein Anlass für die zahlreiche Gefolgschaft zur Zusammenkunft. Und Harrys Bierhaus bietet dafür genau die richtige Kulisse.
Müllers kritischer Geist weht auch durch die neuen Songs, die wohl noch im Laufe dieses Jahres als Album zu erwarten sind. Da Kremer aber anders singt als der bisher am Mikro glänzende Bandchef, erfordert dies auch eine Anpassung der Lyrik. Und die größte Herausforderung für den Hörer: Die Müller-Lieder waren bislang stets auf den glasklaren Gesang zugeschnitten und bildeten die perfekte Einheit mit der von der Band selbst als Cool Pop bezeichneten Musik, selbst in rockigen Passagen. Im Gesang hat Müller die Eigenschaft, quasi hinterrücks Nachdrücklichkeit zu transportieren, und mit seinen mehrbödigen Inhalten das Publikum auch beim Tanzen zum Zuhören zu bewegen und sich womöglich irgendwie angesprochen zu fühlen, bisweilen sogar irgendwie schuldig. In der Regel jedoch trifft Müllers analytische Kritik vorrangig Bevölkerungsgruppen außerhalb des Publikums, es sei denn, er bietet seinen Zuhörern eine Grundlage zur Legitimation von etwas, etwa, sich dem Erfolgsdruck zu entziehen.
Sobald Müller das Mikro weiterreicht, bekommen die Lieder einen komplett anderen Tonfall: Kremers Gesang ist rauh, kratzig und aufgekratzt, druckvoll, extrovertiert. Dazu passen die filigranen Texte Müllers nicht immer, deshalb sind die neuen auch anders ausgerichtet, einfacher, schneller auf den Punkt, beinahe parolenhaft. Mit derselben Haltung wie zuvor, aber etwas weniger verschachtelt. Mit Kremer als Sänger erinnert die Müller-Verschwörung eher an Bands wie Ton Steine Scherben als an vermeintlich eskapistischen Schlager aus den Fünfzigern mit hintergründiger Durchschlagskraft. Darauf muss man sich einlassen, und ganz weg ist der alte Müller ja nicht, er tritt immer wieder zwischendurch zurück ans Mikrofon. Mit dieser Teilung will Müller sich mehr aufs Gitarrenspiel konzentrieren, und Kremer bringt seine Erfahrungen aus dem Theater ins Spiel, mit denen er den Sound vom Nachdenklichen zum Mitreißenden entwickelt. Und das gelingt, überall im Bierhaus wippen die Köpfe mit oder bewegen sich auch auf knappstem Raum die Gäste rhythmisch.
Der neue Drummer, Olli, hat die Seele der Songs absolut verinnerlicht. Was Plate an Polyrhythmik vorlegte, setzt Olli verlustfrei um und bringt von sich aus Vergleichbares in die neuen Stücke ein. An der Musik selbst hat Müller also nichts verändert, zumal Meier wie gewohnt seinen Bass zum Grooveapparat macht und irgendwer immer auch Hände für Rasseln frei hat. Wer weiß, vielleicht bringt Kremer irgendwann ja auch mal seine Trompete mit.
Im Set finden sich, anders als noch zuletzt bei der Eiko-Show im Schimmelhof, nicht nur unveröffentlichte Stücke, sondern auch Platemeiersongs, darunter als ältestes „Geisterfahrer“ vom 2005er-Album „Der Mensch am Ende des Holozän“. Zum Abschluss, dem betrüblichen „Keine Rose ist keine Rose“ vom jüngsten Album „Castafiore“, verteilt der für die Dauer dieses grandiosen Songs arbeitslose Kremer rote Rosen an die Frauen im Publikum. Eine schöne Geste, die man unter Kenntnis des Textes noch mehr zu schätzen weiß.
Das Bierhaus ist voll, so sehr, dass viele Leute draußen stehen. Sobald Müller oder überhaupt jemand aus dem Umfeld von Grass Harp oder den Trottelkackern spielt, zieht das deren Gefolgschaft an, die die Gelegenheit zum Austausch nutzt, wenn sie sich nicht gerade hingebungsvoll auf die Musik einlässt. Es ist eine fröhliche Zusammenkunft mit einem fantastischen Soundtrack und das Bierhaus der passende Ort. Alles fügt sich.