Von Matthias Bosenick (20.06.2021)
Das erste Livekonzert des Jahres war für Die Müller-Verschwörung auch gleich das längste der – inklusive ihrer ersten Inkarnation als Müller und die Platemeiercombo – inzwischen 19-jährigen Karriere dieses Quartetts. Für das Open-Air-Sitzpublikum im Braunschweiger Spunk reduzierte die Verschwörung die Anzahl ihrer Lieder mit lateinamerikanischen Rhythmen zugunsten „stadiontauglicher“, so die Band, Blues- und überhaupt Rocksongs. Da war das Sitzenmüssen definitiv ein Nachteil! Und das Konzert ein furioser Auftakt für die Post-Dritte-Welle-Konzertsaison.
Meiers durchdringender Bass war das erste, was man vom Ringgleis aus hören konnte. Pohls Schlagzeug und Müllers Gitarre folgten als nächstes, dann nahm man Kremers röhrenden Gesang wahr. Aufgrund der lärmempfindlichen Nachbarschaft war der Beginn des Auftritts so kurzfristig vorverlegt worden, dass Fußballgucker und Facebookabstinenzler das bedauernswerte Zuspätkommen hatten. Fast zwei Stunden Programm hatte man trotzdem noch zu genießen, und das gestaltete die Band mit Songs der jüngsten zwei Alben, der nächsten EP und ausgewählten Klassikern.
Es gab mit dem Personalaustausch und der Umbenennung vor einigen Jahren einen Stilbruch: Seit Kremer von Müller Gesangsanteile übernimmt, haben die Songs, auch die alten mit nun seiner Beteiligung, einen anderen Charakter. Kremers Performance ist nach Außen gerichtet, während Müllers frühere Texte den Blick nach Innen wenden. Heute fügt sich alles und die neuen Lieder sind gemeinsame Arbeiten; die gesellschaftliche und politische Haltung bleibt, nur anders dargeboten. Und der Humor sowieso. Außerdem bereichert der Theaterperformer Kremer die Band auch als Multiinstrumentalist, und das tat er ja als Gast auch schon immer bei der Platemeiercombo. Geblieben ist also die Kombination von Meiers Signaturbass und Müllers psychedelischer Gitarre, und dankenswerterweise übernimmt Pohl nicht einfach traumwandlerisch die Polyrhythmik von Plate, sondern erweitert sie auch noch mit seinem eigenen Stil. Die vier Musiker bilden also eine Kombination, die mitreißender kaum sein könnte.
Und sie reißt mit. Die Spielfreude hört man dem Quartett deutlichst an, befeuert auch von dem Umstand, dass es quasi endlich wieder losgeht, und ebenso dankbar sind die Gäste. Auch die jenseits des Grundstückszauns, die sich auf die Steine am Ringgleis oder auf den Rasen setzen und den herumgereichten Hut auch von dort aus mit ihrem Obolus bestücken. Rock‘n‘Roll steht bei diesem Gig ganz vorn, weniger die kontemplativen, innerlichen Songs mit Aussage und andernorts aus der Mode gekommenen lateinamerikanischen Rhythmen, für die die Platemeiercombo noch stand. Was kein Grund ist, deren Songs nicht ins Programm zu übernehmen und auch neue Lieder wieder als Bossa Negra zu komponieren. Oder mit einem Siebzehn-Drölftel-Takt zu versehen, von dem die Band selbst keine Ahnung hat, worum genau es sich dabei handelt, „ich singe es nur“, sagt Kremer schulterzuckend, und das ist der beste Hinweis, wie unverkopft Müller seine Songs angeht, trotz aller psychologischer Raffinesse in den Inhalten: Die Musiker können einfach gut, auch ohne akademischen Unterbau. So geht das.
Und so rocken auch der klassische „Privatier“ und das genial rebellische „Ich gehöre nicht zu euch“ wieder durch den Sommerabend, bekommt das Beziehungsdrama „Keine Rose ist keine Rose“ eine Mundharmonika in den eskapistischen Instrumentalteil implantiert und erfährt das 18 Jahre alte, noch den Geist der Trottelkacker atmende „Blümeranz par Excellanz“ einen Bluesrockanstrich, der weder nach der alten Version noch nach der neuen Verschwörung klingt. Da kann man nur staunen. Wie ohnehin Veränderung und Improvisation im Blut des Quartetts liegen, als Dauerbesucher seiner Konzerte bekommt man keinen Auftritt doppelt dargeboten. Hawaiihemden, Spielfreude, Humor in den Ansagen und bester Rock‘n‘Roll: Der Konzertauftakt mit der Müller-Verschwörung hätte besser nicht ausfallen können.