Von Matthias Bosenick (24.02.2014)
Dieser Artikel ist auch erschienen auf Stefanie Krauses Seite Kult-Tour Braunschweig.
Earthship aus Berlin eröffnen für das umwerfende Doppelpack, bestehend aus den Black-Metallern Der Weg einer Freiheit aus Würzburg und den Allesdurcheinandermoshern The Ocean aus Berlin und der Schweiz. Was die drei Bands musikalisch eint: Progressivität, Komplexität, Brutalität. Innerhalb der Metal-Szene liegen sie stilistisch allerdings doch ungewöhnlich weit auseinander. Macht nichts: Die einen blasen das Gehör frei, die anderen verwirren den Nacken mit gebrochenen Rhythmen.
Earthship starten reichlich vor der angegebenen Zeit, daher erlebt man selbst als Pünktlichkommer nur wenige Minuten von der Band. Riffs und Breaks bestimmen den Sound, damit erzeugen Earthship eine aggressive Stop-And-Go-Härte. Mit den Anlehnungen an Stoner Rock sind sie zwar recht dicht an The Ocean (was nicht wundert, war doch deren Kopf Robin Staps einst Mitglied bei Earthship), aber bei weitem nicht so komplex, sondern deutlich geradliniger. Ungewöhnlich an der Band ist, dass ihr mit Jan und Sabine Oberg ein Ehepaar vorsteht. Der Diskurs zu Eheleuten in Bands sei hier verkniffen, aber selten genug und damit positiv auffallend ist der Umstand schon.
Nur kurze Zeit später wird es dunkel, auch musikalisch: Der Weg einer Freiheit präsentieren eine Stunde lang ihre moderne Variante von Black Metal. Der Zugang zu jener Musikrichtung ist für kritische Geister nicht einfach. Vorteilhaft ist, dass die Würzburger nationalsatanistische Elemente weit von sich weisen. Sie verzichten auch auf optische Spielereien wie Corpse Paint oder neunzöllige Nieten. Dafür bedienen sie sich bei dem, was den Black Metal künstlerisch ausmacht: Blastbeats, schöne Melodien, athmosphärische Riffs und – leider – auch Keifgesang. Dabei belassen sie es aber nicht, sondern reichern den Sound mit klaren Parts, progressiven Spielereien, Grooveflächen und ambientartigem Post Rock an.
Genau da wird die Sache nämlich interessant. Für ungeübte Ohren ist das klassische Black-Metal-Gebolze zumeist nicht mehr als eben das: Gebolze. Die Drums knüppeln konturlos vor sich hin, die Gitarren sind nichts weiter als schnell, dazu etwas kreischen, und fertig. Erst der Umweg über Bands wie Opeth, Gojira oder Alcest offenbart manchem Hörer die Intention: Das muss so, das Geknüppel und die Speedgitarren erzeugen einen Klangteppich, der sich nach einiger Gewöhnungszeit als ausgesprochen atmosphärisch erweist. Von dort aus ist es tatsächlich nicht mehr weit zum Post Rock und zum Ambient. Diese Entwicklung machen viele Black-Metaller mittlerweile, und als Nicht-Purist kann man daran viel Freude finden. Ja, Freude an Black Metal. Die verbreiten auch Der Weg einer Freiheit: Wenn man sich nicht gerade in angenehm schwingende Soundhängematten fallen lässt, kann man zu anderen Stücken tatsächlich tanzen. Groß.
In der Black-Metal-Szene sind Der Weg einer Freiheit umstritten, hauptsächlich, weil sie nicht puristisch sind. Dennoch feiern sie offenere Geister als die neuesten Helden des Genres. So ist es umso bewegender, dass es diese Band ins abgeschiedene Braunschweig geschafft hat.
Auch, wenn man natürlich festhalten muss, dass die meisten im Publikum wegen The Ocean da sind. Zwei altertümliche Glühlampen umrahmen die Bühne, dazwischen versinken The Ocean im Nebel. Aber nur optisch. Die Musik ist, hm, eine Art Progressive Stoner Math Core? Es klingt, als habe jemand ein Möbellager unsortiert auf die Bühne geworfen. Ständig purzeln andere Elemente zusammen und unterbrechen sich gegenseitig. Mal ein paar Takte lang mitnicken ist kaum möglich, ein paar Hartgesottene tun es trotzdem, die Mehrheit des Publikums steht unbewegt und ergriffen zuhörend im Raum herum. Wie schon bei Der Weg einer Freiheit sind die Songs im Schnitt zehn Minuten lang. Anders als bei denen sind die von The Ocean allerdings so vollgestopft, wie es ganze Oeuvres anderer Bands nicht sind. Das ist komplex, intellektuell, versiert, staunenswert – aber auf Dauer enorm anstrengend, insbesondere das Geschrei des Sängers. Man fühlt sich gelegentlich an einen Mix aus Kyuss und Tool erinnert, wenn es mal etwas weniger turbulent zugeht. Mit der Zeit bekommt man allerdings das schmerzhafte Gefühl, als würfe jemand die Möbelstücke unsortiert von der Bühne zurück.
Um arbeitnehmerfreundliche 23 Uhr, also ebenfalls nach nur einer Stunde, sind auch The Ocean fertig. Allmählich verwehen die Räucherstäbchenschwaden, die ein einfallsreicher Geist vermutlich als Antwort auf den Schweißgeruch im Publikum frühzeitig entzündete. Die Konzerte haben Spaß gemacht, und hier muss es mal eine Schelte an Undercover geben: Micha und Jens, promotet bitte nicht nur Eure Kassenschlager, sondern auch Euren Beifang. Eine Werbung für das Konzert fand subjektiv nicht statt. Früher, als der Papst noch auf dem Baum geboxt hat, wäre diese Kombination im FBZ gelaufen und locker als Highlight in die Jahresplaner diverser Indie-Hörer eingegangen. Jetzt war die Größenordnung der Bands ganz klar unterschätzt. Veranstaltungen wie diese fehlen mittlerweile grundsätzlich in Braunschweig, auch abseits der Metal-Szene. Also mal danke dafür!